Erstellt am: 20. 5. 2009 - 09:00 Uhr
Eine Hundewelt
Und dann tanzt der Mann mit der violetten Perücke und der pinken Glitzerbrille mit einer Rebe Plastiktrauben zwischen den Beinen zu einem ABBA-Song. Die letzten Minuten meines vorgestrigen Weinseligkeits-Abends verbringe ich damit, darüber nachzudenken, ob die beiden sympathischen schwulen Inhaber einer kleinen, höhlengleichen Vinothek in der Altstadt von Cannes wirklich glücklich sein können in diesem französischen Florida mit all seiner aufpolierten Biederkeit. Hinter mir liegt ein Abend voller Gestöhne und Geschnaufe, Geschrei und Gelächter, hinter mir liegt Lars von Triers Antichrist, damit auch einer der meisterwarteten Filme des diesjährigen Filmfestivals von Cannes.
Festival Cannes
„Ich versteh’ es nicht.“ „Das kann er nicht machen!“ „Irrsinn!“ Kommentare von Menschen, die das Drehbuch zum „Antichristen“ gelesen, mir schon vor Monaten davon erzählt haben. Die Seiten wurden herum geschickt, denn es ist üblich, dass nationale Verleiher solche „heißen“ Waren lediglich aufgrund einer Ahnung und eben einem Drehbuch einkaufen. Jenen, die zugeschlagen haben (in Österreich ist das Polyfilm) dürften jetzt graue Haare wachsen. Denn zum einen ist ein Horrorfilm (auch wenn er keiner ist, wird er als solcher vermarktet) von einem etablierten Kunstfilmer schwierig zu positionieren, weil das Kernpublikum nicht klar festzumachen ist. Zum anderen dürften die allermeisten Kritiken zum „Antichristen“ spöttisch bis negativ ausfallen.
Willkommen in meinem Albtraum!
Dieser Satz von Lars von Trier, der sich in der Pressekonferenz einmal mehr als bester Regisseur weltweit, ohne Zweifel, bezeichnet hat, eröffnet das Pressebuch zum Film: recht blumig schreibt der Däne in seiner Einführung davon, dass er jetzt den Vorhang öffnen werde, dass das Publikum in die dunkelsten Abgründe seiner Seele blicken könnte. Ich habe immer gedacht, das war schon in seinen anderen Filmen der Fall. In Riget habe ich mich damals verliebt, weil die Balance zwischen Humor und Grausen stimmt, weil er so verdammt gute Schauspieler hat. Auch deshalb war ich gespannt auf seinen „Antichrist“.
Wer sich die Spannung nicht nehmen lassen will, sollte hier jetzt aufhören zu lesen. Da dieser Film aus wenig mehr besteht als einer Aneinanderreihung von Schockmomenten und (kalkuliert) provokanter Thesen, kann ich auch nur darüber schreiben. Von Trier eröffnet „Antichrist“ mit gemalten Credits, die Tonspur verspricht eine Höllenfahrt. Er (Willem Dafoe) liebt sie (Charlotte Gainsbourg) unter Dusche: man sieht einen steifen Schwanz, der eindringt. Ein Kunstporno: schwarz weiße Bilder, hartes Licht. Ein Kleinkind geht auf ein geöffnetes Fenster zu: es schneit draußen. Es fällt. Es ist tot. Trauma.
Festival Cannes
Höllenkreis, der erste
Das erste Kapitel (ja, von Trier strukturiert wie bei „Dogville“): Trauer. Sie bricht zusammen, schlägt sich den Kopf am Waschbecken blutig, will sich umbringen. Er, ein Psychotherapeut, redet auf sie ein, fragt sie nach dem Ort, vor dem sie sich am meisten fürchtet. Sie: vor dem Wald. Beinahe naturalistisch wirkt diese erste Station des Infernos: weinen und schreien. In einer Traumsequenz – wieder in Zeitlupe – entwirft von Trier Untergangstableaux: auf der Tonspur surrt es, Gainbourg geistert durch den Wald voll mit toten Bäumen, man denkt an Bosch und Goya. Die Natur ist der Tod. Die Frau ist die Natur. Später, im zweiten Kapitel, fällt ein Küken aus einem Nest, wird von Ameisen zerpflückt, von einem Adler ergriffen und gefressen.
Schmerz: das zweite Kapitel. Verzweiflung: das dritte Kapitel. Sie wird paranoid. Geister im Wald. Hat Angst, von ihm verlassen zu werden. Hört Kinder singen. Wird wahnsinnig. Schlägt ihm einen Holzscheit auf den steifen Schwanz. Holt ihm einen runter: er ejakuliert Blut. Im Salle Debussy in Cannes schreien die ersten: viele lachen einfach nur ob all dieser Provokationen. Man lernt: sie studiert, hat eine Arbeit verfasst über systematische Frauenvernichtungen, den Gynozid. Bilder zeigen Hexenverbrennungen. Sie weiß, Lars von Trier will wissen: die Frau ist von Natur aus böse. Nach der Vorführung höre ich Journalistinnen schreien über diese „Frechheit“. Der Däne hat wieder gewonnen, hockt vermutlich in einem Keller und lacht darüber, dass sein Kalkül voll aufgegangen ist, dass ihm die Weltpresse aus den Handflächen frisst.
Le Scandale
EPA - Christophe Karaba
Den „Skandal“ schreibt er, dessen Filme immer schon der Misogynie angeklagt worden sind, weil seine, für mich ohnehin unerträglich gezeichneten Frauenfiguren Martyrien über sich ergehen lassen mussten, der Lars sich auch aufgegeilt hat an diesen Leidensbildern, ohnehin selbst mit. Und dann plärren alle wegen Folterpornos: von Trier dreht sie schon seit Jahren und bekommt dafür Awards in Hintern geschoben. Wieso sollte er sich also nicht freuen? Gainsbourg dreht schließlich vollkommen durch. Ihr persönliches Trauma erweitert sich zu einem historischen Trauma: sie verstümmelt ihre Schamlippen, schneidet sie mit einer Schere ab. Wieder Schreie, ich lache.
Unter normalen Umständen wäre mir der „Antichrist“ nicht mal eine Zeile wert, obwohl er unterhaltsam ist. So unterhaltsam wie jeder Exploitationfilm, nur nicht so ehrlich, auch nicht so sympathisch. Aber weil jeder auf den Zug aufspringt und überall „Skandal“ steht und selbst intelligente Menschen auf diese Provokation eines trotzigen Kindes reinfallen, wollte ich hier schreiben, wie sich der Film entwickelt. Gefühlt habe ich dabei wenig: „Antichrist“ ist nicht besonders spannend, auch nicht wirklich atmosphärisch. Einige visuelle Ideen gehen auf, andere nicht. Für Lars von Trier ist das Kino, so kommt es mir vor, ein großer Witz. Ein wenig Hoffnung habe ich doch noch: vielleicht beginnt jetzt das demente Alterswerk des Dänen. Vielleicht sind die Zeiten von aufgequollenen Platitüden wie „Dogville“ endlich vorbei.