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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 5. 2009 - 21:43

Journal '09: 18.5.

"Man darf nicht den Menschen die Schuld geben, wenn sie aus einem System Vorteile ziehen." - über Herrn Straches kuscheliges Rechtfertigungssystem der niederen Instinkte im Kernland der Blockwarte.

Politik könnte so funktionieren: Man erarbeitet eine Linie, anhand derer man sich durch die eh schon kompliziert genug daherkommenden Außeneinflüsse manövriert.

Politik in Österreich sieht leider so aus: Man (z.B. das Wissenschafts-Ministerium) verfügt über keinerlei Linie, sondern handelt nach der Methode des kurzfristigen Löcherstopfens, z.B. im akuten Fall des CERN-Ausstiegs.
Wenn man wegen des (womöglich öffentlichen) Entsetzens der zuvor unzureichend oder gar nicht konsultierten Fachleute dann mit den Konsequenzen konfrontiert wird, blockt man, unter Einsatz angewandten Sophismus.

Politik in Österreich sieht des weiteren so aus, dass die Stelle, die für die große Linie zuständig wäre, sich aber mit derlei Gedöns nicht wirklich beschäftigen mag, erst ab dem Moment eingreift, wo sich eine öffentliche Mehrheits-Meinung abzeichnet. Dann traut sich der Chef ein Machtwort zu und overrult den überforderten Minister, vorher nicht. Das ist eine klassische Maßnahme des Populismus - sich nicht bewegen, ehe nicht eine Haltung zu orten ist, die von Medien, Mächtigen und Lobbys ausdefiniert wird.

Weil Politik ist Österreich leider so (und nicht wie sie sollte) funktioniert, wird sie zunehmend zum Spielball derer, die sich ganz nahe und direkt an die Feuchtgebiete der Menschen anzudocken vermögen, also an die niederen Instinkte.

Die Entschuldigung der niederen Instinkte

Ein politisches System, das sich an von selbsternannten Volkstribunen ausgesetzten Vorurteilen orientiert und peinlich genau die Auswirkungen jeglicher Aktion auf Popularitäts-Werte abklopft, anstatt das fachlich Richtige zu unternehmen, selbst wenn es unpopulär ist, setzt sich selber außer Kraft.
Und es liefert sich dem aus, der das (das Anbiedern an die niederen Instinkte) am besten beherrscht.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache antwortet in einem derstandard.at-Interview das heute im Gesamt-Paket der aktuellen Debatte zu lesen war, auf eine Frage nach seinem "Ausländerwahlkampf" mit etwas ganz anderem; wie immer, wenn man sowas tut, will man eine zentrale Botschaft anbringen, ganz dezidiert.

Strache sagt: "Lassen Sie mich klarstellen: Man darf nicht den Menschen die Schuld geben, wenn sie aus einem System Vorteile ziehen. Es sind die Politiker, die Bürgermeister, Landeshauptleute und Regierungsmitglieder, die verantwortlich sind für die Fehlentwicklung, dass Menschen ein System, das löchrig ist, ausnützen können."

Dieser Ansatz entschuldigt alles.
Er spricht alle frei.
Nicht der, der eine Situation unverschämt ausnützt, nicht der Ellbogen-Gesellschafter, nicht der Schlupflochsucher ist schuld, sondern ein abstraktes Gebilde namens Politik. Ein Buhmann wie Brüssel oder die Ostküste.

Freispruch von jeglicher Verantwortung

Und das, diese Botschaft auszusenden, ist Straches Absicht.

Dieser Schuld-Freispruch gilt für das von NS-Blockwarten übersäte Österreich im 3. Reich, er gilt für alle Ausnützer, Pfuscher, alle Kavaliersdelikt-Begeher, alle Juden/Schwulenwitz-Erzähler, alle Vernaderer, Steuerhinterzieher, Schnell- und Schwarzfahrer, alle, die sich ununterbrochen als untergebuttert und missverstanden erachten, also alle zwischen Größenwahn und Minderwertigkeits-Komplex gefangenen Österreicher, die etwas vor Selbstmitleid triefendes wie eine Inländer-Hotline brauchen.
Die satte absolute Mehrheit.

Indem Strache ihnen allen sagt, dass es nicht notwendig ist, sich wie ein Citoyen, ein mündiger selbstverantwortlicher Bürger, wie ein Demokrat mit Moral, wie ein guter Mensch zu benehmen, erlöst er sie von ihren Sünden.

Und ihre Sünden sind mannigfaltig und das wissen sie.
Und natürlich ist es ihnen lieber, freigesprochen zu werden, als sich mit den Konsequenzen ihres demokratiepolitisch fahrlässigen und seit jeher nur scheindemokratischen Verhaltens auseinanderzusetzen.
Man sourct diese Gefühle einfach aus.
Strache erlaubt es.

Das Werben um das migrantische Klientel

Er geht noch einen Schritt weiter im Benutzen des kollektiven schlechten Gewissens. Er peilt nicht nur das, das den gebürtigen Österreicher per Vererbung peinigt, an, sondern auch noch ein zweites. Und bedient sich dabei eines anderen altgedienten Effekts, des Radfahrer- oder Louis de Funes-Typus.
Strache sagt im Standard: "Wir erleben in der FPÖ einen sehr massiven Zulauf von Menschen, die nach Österreich zugewandert sind, sich integriert haben und unser Land als ihre Heimat empfinden, die fleißig arbeiten und Steuern zahlen. Diese Leute geben uns vollkommen recht und wählen die Freiheitlichen, weil sie selber erleben, dass es hunderttausende andere Zuwanderer gibt, die diese Integrationsbereitschaft nicht mitbringen."

Vor Jahren hatte Lukas Resetarits einen Sketch, in dem er eine wiederkehrende Figur des Yugo-Gastarbeiters angesichts der Ankunft eines tiefer gerankten türkischen Neuankömmlings zu einem braven Gefolgsmann, der die fremdenfeindlichen Sprüche des österreichischen Cheffes wie ein liebdienender Kapo nachplapperte, werden ließ.

Diese sich derzeit formierende und von sonst niemandem ernsthaft bearbeitete Klientel ist das zweite Ziel der Zangen-Taktik von Strache.
Die Migranten, egal welcher Generation, "die warten nur auf einen Mittler. Die Leute müssen im System ankommen, jemand muss die Tür öffnen.", wie ein Bekannter von mir es treffsicher fomuliert.

Well it's a dirty job, but someone's gotta do it

Und um diesen Job drängt sich aktuell nur einer: Strache.
Weil er weiß, wie man Menschen am besten abholt, bei ihrem schlechten Gewissen, ihren Vorurteilen und ihren niederen Instinkten, wird er auch in dieser neuen Zielgruppe erfolgreich sein.

Migranten, egal ob erste, zweite oder dritte Generation, sind nämlich keineswegs per se gute Menschen. Sie sind in ihrer Mehrheit ebenso Rassisten, Sexisten, Durchschummler, Kavaliersdelikt-Begeher wie alle anderen.
Da das Gros der in Österreich ankommenden Migranten aus Gegenden kommt, in denen Tradition, Nationalismus, angestaubte Werte, Antisemitismus und schwach entwickelte Demokratie-Anlagen vorherrschen, sind die klaren Botschaften Straches die beste Andockstelle.

Es ist gut, zu sehen, dass sich aktuell alle, inclusive das Haider-BZÖ, mit Abscheu vor deutlich als antisemitisch zu verstehenden Anpatzereien und den Relativierungen der Ebensee-Blamage abwenden und der Strache-FPÖ kollektiv die rote Karte zeigen.
Trotz der Ausrede, dass im Wahlkampf alles erlaubt sein müsste, zeigt das Strache-Camp deutliche Anzeichen von Nervosität: Das, was mit Augenzwinkern im diesbezüglich immer noch unterschwellig verseuchten Österreich gern genommen wird, droht auszuufern. Im grell ausgeleuchteten Nazi-Eck will man trotzdem nicht gerne stehen und wehrt sich aufgeregt.

Die Entscheidung an der Flanke

Dort allerdings, an der selbstverständlichen Front des Anstands gegenüber der Nazi-Vergangenheit und der sogenannten Lausbuben-Verharmlosung der Gegenwart, spielt sich der wahre Kampf der Kulturen allerdings nicht ab.

Der wird an den Flanken entschieden, in der aktuell von Strache klar ausgeführten Zangenbewegung: In der Entschuldigung des Blockwartetums, der freigesprochenen Systemausnützer, also dem Gegenmodell des Bürgers einerseits und dem noch nicht in der Gesellschaft (und auch der österreichischen Demokratie) angekommenen migrantischen Bewusstseins andererseits.