Erstellt am: 18. 5. 2009 - 17:14 Uhr
Nowhere Train
Klagenfurt
Phillipe und Sebastian haben uns mit dem Auto von Amerika zum Hauptbahnhof gebracht. Amerika, so haben die Bauern am Stopar-Hof früher einmal den Ort genannt, an dem ihre Felder waren. Der lag nämlich so weit entfernt von den Wohngebäuden und Stallungen, dass der beschwerliche Weg dorthin ein bisschen gewirkt hat, als würde man auswandern.
Pörtschach am Wörthersee - Velden am Wörthersee
Su geht es heute nicht so gut. Sie ruft aus Wien an. Frenk singt ihr übers Telefon "Happyness is just a teardrop away" vor. Es hilft.
Villach
Seit 1977 wird der Stopar-Hof, 1000 Meter über Bad Eisenkappel/Železna Kapla von "Longo Mai" bewirtschaftet. Das ist eine landwirtschaftliche Kooperative mit den Schwerpunkten Imkerei und Schafzucht. Hühner, Schweine, Holz laufen nebenbei. Ihren Ursprung hat die Idee in der Provence. Ich setze mich sofort in den erstbesten Fettnapf, indem ich frage, ob es schwierig sei, die Kinder zu überzeugen, dass sie die Landwirtschaft weiterführen. Helmut und Gabi, die Eltern von Sebastian, erklären mir sehr zurückhaltend und geduldig, dass es bei "Longo Mai" auch sehr viel darum geht, das Tradierungsprinzip Familie aufzuheben. Der Landbesitz soll idealerweise an Menschen weitergegeben werden, die damit etwas in ökologischer und sozialer Hinsicht Sinnvolles anfangen wollen.
Wenn Sebastian und Helmut nebeneinander sitzen und sich bemühen, füreinander da zu sein, drängt sich die Vermutung auf, dass es nicht immer ein Honiglecken ist, das Prinzip Familie brechen zu wollen. Auf dem Stopar-Hof ist man Besuchern gegenüber sehr aufgeschlossen. Imkerei- und Schafschurkurse werden angeboten, der Hauptverband der freien Radios hält in der pittoresken Bauernstube manchmal seine Konferenzen ab. Sogar ein Gästehaus gibt es. Im Vorraum liegt ein Info-Folder auf: "…in den verlassenen Berggebieten Europas wollten sie Pioniersiedlungen aufbauen, in denen ein selbstbestimmtes Leben auf der Grundlage der Menschenrechte und der Solidarität möglich wäre." Ich ertappe mich dabei, wie ich diese Worte als Werbetext lese und dahinter einen Abgrund aus zwischenmenschlichen Irrtümern, Beklemmung und Dogmatik vermute.
Es ist eine Katastrophe, wie weit die Vereinnahmung des Ausdrucksmediums Sprache durch den Begriff Kommunikation und dessen Profiteurinnen und Profiteure fortgeschritten ist. Wie soll man da eine gute Idee formulieren? Neben dem Folder bietet sich auch noch ein Band mit gesammelten Lebenserinnerungen von Helena Kuchar, Partisaninnendeckname "Jelka", an. Sie hat lange vor "Longo Mai" auf dem Stupar-Hof als Magd gearbeitet. Johanna Dohnal, bei Erscheinen des Buches 1984 Staatssekretärin für Frauenangelegenheiten, schreibt im Nachwort: "Männer im Widerstand konnten sich als einzelne in einer langen Reihe von Menschen sehen, die gegen Unterdrückung und Terror gekämpft haben. Frauen konnten das nicht, obwohl es auch für sie zutraf. Das ist ein Grund, warum ich Bücher wie das vorliegende für wichtig halte: Wir Frauen dürfen uns unsere Vorbilder nicht schon wieder unterschlagen lassen." Vielleicht so.
Spittal - Millstättersee
Deisi, Frenk, Ian, Jakob und Stanzel musizieren im Kinderspielabteil. Die Stimmung ist gut. Eben ist eine Gruppe von ungefähr 15 jungen Menschen zugestiegen - acht Zuschauer mehr als gestern Abend. Und das, obwohl Thomas Woschitz, seines Zeichens Max Ophüls Preisträger, nebst Mama und die höchst schwangere Esther netterweise vorbeigeschaut haben. Heike war leider zu müde. Sie ist die Imkerin am Hof und die Waben stehen ganz oben auf einem unfassbar steilen Hang. Beate war nur kurz da. Sie steht sehr früh auf. Phillipe hat Hühnersuppe gekocht. Im Anschluss an das Abendessen wurde in der Stube folgendes gegeben:
- "Nowhere Train" (Ian Fisher)
- "Marie" (A Life, A Song, A Cigarette)
- "Just Because" (Love&Fist)
- "I Take you in" (Frenk Lebel)
- "Folsom Prison Blues" (Johnny Cash)
- "Near" (A Life, A Song, A Cigarette)
- "Annabelle" (Gillian Welch)
- "Ship Song" (Nick Cave)
- "Behind the Times" (Love&Fist)
- Ein namenloses, provenzalisches Volkslied über jemanden, der im strömenden Regen spazieren geht. Er trifft ein völlig durchnässtes Mädchen und bietet ihr unter seinem Schirm, den er einem Freund gestohlen hat, Schutz vor der Witterung an. Sie akzeptiert und so spazieren sie zum nächsten Dorf, wo das Mädchen zuhause ist und sich verabschiedet (Phillipe Mitrouillet)
- "World Without" (Frenk Lebel)
Mallnitz – Obervellach – Bad Hofgastein – Dorfgastein – Schwarzach St. Veit
Wir sind in einen Regionalzug ohne Steckdose und Fahrplan umgestiegen. Solange der Vorrat reicht, werde ich noch versuchen, das Konzert von gestern Abend zu beschreiben. Die fünf Musiker kennen einander unterschiedlich gut und es gab vier Proben, von denen eine um drei Stunden verzögert wurde, weil das Schloss an der Proberaumtüre sich entschlossen hatte, nicht mehr länger zum vorhandenen Schlüssel zu passen. Die definierte Konzertsituation muss dementsprechend noch wachsen. Man sucht sehr intensiv die Nähe der Mit-Musikanten und dreht dem interessierten Publikum phasenweise, in Konzentration auf das Treffen der richtigen Töne versunken, den Rücken zu. Auch die Dauerpräsenz der Kamera weiß man in der Performancesituation noch nicht recht zu deuten.
Das alles spielt überhaupt keine Rolle, sobald das Konzert die Musikanten findet und nicht umgekehrt. Wenn also, wie vorhin im Kinderabteil, die jungen Menschen neugierig vorbeischauen, wer denn da so einen Lärm macht, und hingerissen verweilen. Immerhin haben wir es hier mit Menschen zu tun, die ihre Instrumente inklusive Stimme sehr im Griff haben, mit diesem Können aber nicht hausieren gehen, sondern es als Werkzeug der Suche nach Ausdruck unterordnen. Das zieht an.
Ich verspüre immer wieder den starken Drang, "dabei zu sein". Als Schreiber erfährt man die Reaktion auf das Hervorgebrachte weitaus weniger unmittelbar. Und die Reaktion ist an diesem Abend sehr liebevoll konzentriert. Phillipe nähert sich mit hungrigen Augen Millimeter für Millimeter der Lap Steel Guitar von Stanzel an, bis er in einer Rauchpause vorschlägt, er könnte auch ein Lied spielen. Das löst dann die etwas angespannte Grundverfassung der fünf angenehm auf, mündet aber trotzdem nicht in einer Jamsession. Da versucht man sich lieber an Coverversionen. Es geht um Songs.
![© Jenseide Schaukeln im Wald](../../v2static/storyimages/site/fm4/20090521/nowheretrain_schaukel_body.jpg)
Jenseide
Manchmal halten die Musiker während längerer Songpassagen kollektiv die Augen geschlossen. Ich frage mich, ob man sich leichter tut, ein Lied zu singen und sein Publikum dabei anzuschauen, wenn man von einem Scheinwerfer geblendet wird. Für diese Annahme würde sprechen, dass nach dem Konzert nahezu ekstatisch in völliger Dunkelheit die beste Schaukel der Welt genützt wird. Das sind zwei Seile, die an einem der unteren Äste eines Baumes angebracht sind, der so aus dem steilen Abhang herauswächst, dass man das Gefühl hat, man wird in den Himmel katapultiert, wenn man ordentlich Schwung nimmt und dann kurz zehn Meter über dem Boden schwebt. In der Nacht ist das noch besser, weil der kristallklare Kärntner Nachthimmel sich hervorragend zum Hineinkatapultiert werden eignet. Es macht auch fast nichts, dass man die Sterne ja doch nicht berühren kann und immer wieder zurückschwingen muss.
Taxenbach – Rauris – Zell am See u.ä.
Allte Etappen:
fm4.orf.at/nowheretrain
Wir fahren nach Kirchbichl bei Wörgl. Tourmutti Clemens weiß auch nicht genau, was dort auf uns wartet. Ein paar junge Künstler haben sich angeblich einen alten Hof zur Lebens- und Wirkungsstätte umgebaut und wollen Spanferkel machen. Man erzählt sich, sie werden uns mit dem Traktor abholen.
Zum Abschied noch ein kurzer Ausschnitt aus unserem Konzert für Amerika heute morgen:
Akku leer. Morgen mehr