Erstellt am: 17. 5. 2009 - 20:58 Uhr
Nowhere Train
Der Nowhere Train
Jenseide
Fünf Musiker, zwei Filmer und ein Autor bereisen von 17. bis 28. Mai 2009 mit dem Zug ungewöhnliche Orte in acht verschiedenen Bundesländern in Österreich. Aus der Reise, den Konzerten und Zusammentreffen der Menschen entsteht ein künstlerisches, multimediales Portrait des Landes.
Nachzulesen immer hier:
Wien Südbahnhof
- Clemens Haslinger (Jenseide)
- Hosea Ratschiller (FM4)
Die Schwierigkeit ist, anzufangen.
Wien Meidling
- Stefan Deisenberger (Naked Lunch, Love&Fist)
- Ian Fisher
- Jakob Kubizek (Love&Fist)
- Frenk Lebel (Play the Tracks of)
- Peter Sihorsch (Jenseide)
- Stefan Stanzel (A Life, A Song, A Cigarette)
Womöglich zählt der Besuch von Jakob Mitte Jänner als Anfang. Ich hatte mir den Fuß gebrochen und er war so freundlich, mich zuhause aufzusuchen und mir davon zu erzählen, dass er eine Reise plant. Oder es war ein Anfang, als Jakob mich eingeladen hat, mir gemeinsam mit Deisi und einem gewissen Frenk das endlich fast fertige „Love&Fist“ Album anzuhören. Oder es war sogar schon der Anfang, als ich mich vor zehn Jahren durch einen meiner ersten öffentlichen Auftritte im berüchtigten „Schülercafé Simmering“ gezittert habe. Nach uns hat eine Band namens „Banal“ gespielt. Am Gesang ein gewisser Stanzel. Ein guter Anfang war auch der Weg zum ersten vollzähligen Treffen im Café Hummel, als mir Jakob zwei erstaunliche Lieder von Ian Fisher vorgespielt hat.
Wiener Neustadt
Mit Sicherheit kein Anfang war die Ansage von Deisi, dass er ganz bestimmt, komme was da wolle, heute noch vor der Abreise in Linz einen Halbmarathon laufen wird. Er war nicht dort, im Gegensatz zu Stanzel, der allerdings nach einem Konzert zu lange dort war, weshalb wir schon den ersten der vielen Züge versäumt haben, die in den kommenden 11 Tagen bis inklusive 28. Mai, 5 Musiker, 2 Filmemacher und mich durch das Land Österreich transportieren sollen.
Jenseide
In meinem Notizblock steht als Anfang das Fotoshooting, dass wir dann doch gemacht haben, als unser Plan, planlos loszufahren ein Projekt geworden war. Also etwas, das man dann wirklich macht. Wir haben uns am Praterstern getroffen und sollten von Peter am Bahnsteig „in Aktion“ photographiert werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand von uns auch nur eine ungefähre Vorstellung davon, was wir da eigentlich genau machen wollen, auf diesem „Nowhere Train“. Nur, dass wir sicher losfahren werden haben wir gewusst und, dass die Musiker unterwegs musizieren werden, dass ich darüber schreiben werde, was uns unterwegs begegnet und, dass Peter unterwegs einen Film machen wird. Alles andere war angenehm unbekannt. Erst als es dann geheißen hat: „Los!“ waren plötzlich Fragen da. „Soll man jetzt für die Fotos so tun, als würde man spielen?“ „Wo steht der Schreiber in einer Band?“ „Ist das eigentlich eine Band?“ und schließlich aber vor allem: „Wie fängt man an, zu spielen?“
Erst verhindert die Anwesenheit der Kamera eine Gemeinsamkeit. Dann findet man sich in der Vermutung eines Gegners: „Was, wenn ein Security kommt?“. Alle, außer Deisi tun noch nur so, Deisi musiziert. Die folgende Kakophonie pendelt zwischen erstem Abtasten bezüglich Rangordnung und Deisis unbeeindrucktem Banjo. Frenk hat dann als erster angezählt „One, two“. Kurz ist alles Spielerische weg, ein kleiner Machtkampf. Wer ist lauter, wer musikalischer, wer führt? „Vorsicht Bahnsteig 2! ICE Katholische Männerbewegung fährt ein.“ Aus dem Gelächter löst sich eine kindlichere Stimmung, die erstmals soetwas wie einen Gleichklang hervorbringt. Und ich erinnere mich daran, was mich an dem ganzen Vorhaben interessiert. Wie ist es möglich, dass man nach diesem wohligen Aufgehen im Gleichklang nicht süchtig wird, dass man trotz dieses alles vergessen lassen machenden miteinander Schwingens weiter versucht, dem berauschenden Vibrieren eine Geschichte, eine Erzählung abzutrotzen? Jetzt geht´s los!
Bruck a.d. Mur
Es ist ein Großraumabteil am vorderen Zugsende. Wir sind laut, aber es hat sich noch niemand beschwert. Es ist allerdings auch noch niemand gekommen und hat sich dafür interessiert, was da vor sich geht. Als wäre das einfach so, dass in einem Zugabteil musiziert wird, einer filmt und einer schreibt.
Leoben – Knittelfeld - Judenburg – Unzmarkt
Kärnten ist kein Startvorteil. Als Klagenfurter weiß ich, wovon ich spreche. Allerdings ist es ein Ort, den man gerne wieder verlässt. Insofern eignet sich dieses sogenannte Bundesland bestens als Anfang einer Reise. Außerdem fahren wir ja gar nicht in erster Linie nach Kärnten, sondern besuchen die landwirtschaftliche Kommune „Longo Mai“ nahe Bad Eisenkappel. Deren Selbstbeschreibung „Menschen ohne Land. Land ohne Menschen“ hat uns neugierig gemacht. Frenk hat über einen persönlichen Kontakt organisiert, dass wir dort aufgenommen werden und über Nacht bleiben dürfen. Morgen früh geht es weiter nach Tirol und dann nach Salzburg und so weiter und so weiter. Wir werden am Seewiesenfest vorbeischauen, in einem Hochsicherheitsgefängnis, auf Dorfplätzen, in Freibädern, Wallfahrtsorten und überall sonst auch. Ich werde versuchen, die Zugfahrten für das Verfassen eines Tourtagebuches zu nützen, wenn ich auch gerade bemerke, wie schwierig sich das Schreiben in einem Abteil, zwischen 5 aufgeganselten Musikern gestaltet, die gerade dabei sind, anzufangen.
Treibach-Althofen
„Losing my Religion“
St. Veit a.d. Glan
Manuel (9) und Selina (6) sind die ersten ZuhörerInnen. Sie haben bei Judenburg schon einmal kurz vorbeigeschaut. Jetzt trauen sie sich. Frenk stimmt gerade die „Play the Tracks Of“ Offenbarung „World Without“ an. Manuel hatte seine Wange an den Kopfstützenüberzug gelegt und die Augen geschlossen. Jetzt bemerkt er, dass ich offensichtlich über ihn schreibe und schaut mir über die Schulter. Wir lächeln uns an. Es ist gut. Der Vater kommt dazu und erkundigt sich, der Schaffner prüft aus sicherer Entfernung die Lage, entscheidet sich allerdings, nicht einzuschreiten. Selina, Manuel und der Vater sind zu zufrieden.
Klagenfurt
Wir steigen um. Morgen mehr.
Soll der Nowhere Train auf deiner Hochzeit, Grillparty oder einfach nur in deiner Nähe vorbeischauen? Eine E-Mail an fm4@orf.at macht manches möglich.