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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 5. 2009 - 20:29

Journal '09: 16.5.

Schwuchteln und Transen.

Achtung! Im Gegensatz zu vorgestern, wo hier unter dem Titel Deepthroating der aktuelle jugend-politische Zustand, und vorgestern, wo unter Verwendung der Domina-Figur Lady Heather ein überkommener Kultur-begriff thematisiert wurde, geht es heute tatsächlich um sexual politics.

Und das unter Verwendung von Playern wie dem Identities Festival, dem Fußballer Georges Panagiotopoulos, Gary Keszler und dem Lifeball sowie der Sex-Inseratsseiten der Kronen Zeitung.

Und wieder hat alles recht harmlos begonnen.
Ich hab mir das Programm von Identities, dem queeren Filmfestival in Wien angeschaut, und bin gleich beim ersten Film hängengeblieben. Dessen Handlung verläuft in etwa so: junge Frau zwischen Coming Out und Gender-Experimenten, tut gegenüber Tramperinnen so als wär sie ein Bursche, Verwicklungen in Liebesdingen, Hinterfragen von Geschlechterrollen inklusive. Heldin Anfang 20, Love-Interest: eine 14jährige Schülerin.

In diesem Moment hab ich mir kurz gedacht, wie denkunmöglich eine solche Konstellation in einem Homo- aber auch in einem Hetero-Kontext wäre. Da würde sofort einiges mitschwingen, gegen das Bürgerinitiativen sofort auf die Barrikaden steigen, Propagierung der Verführung Minderjähriger aufwärts.

Und dann ist mir die Figur des Tommy Gavin eingefallen, die Denis Leary sich selber für Rescue Me geschrieben hat: dieser Typ, ein durch und durch "normal", also konservativ und familienzentriert denkender, sich für liberal haltender Vater hat dort gar nichts dagegen, wenn sich seine Tochter in einer Teenager-Phase lesbisch orientiert (besser als sie macht mit den Buben herum), das scheint in der Mitte der gesellschaftlichen Akzeptanz angekommen zu sein.

Wahrscheinlich auch nur dann, wenn es um väterliche Angst oder heteromäßigen Voyeurismus geht, aber immerhin.
Denn: Mir ist kein offen bekennender Homosexueller in Österreichs Spitzenpolitik bekannt, allerdings eine offen bekennde lesbische EU-Spitzenkandidatin.

"Wenn ich das so sagen darf"

Dann ist mir ein Live-Sager des Fußballers Georges Panagiotopoulos eingefallen. Der, Kapitän des heuer katastrophal agierenden Zweitligisten FC Gratkorn, hatte am Dienstag nach einer weiteren schamlosen Eigenleistung folgenden Satz ins Mikrofon abgelassen: "Wir haben gespielt wie eine Partie Schwuchtln, wenn ich das so sagen darf!"

Diese unbedachte Äußerung von Pana, wie ihn die Fans nennen, ist aus vielen Gründen unglaublich interessant.
Zuerst einmal, wie dieser Aussetzer abgefangen wurde.
Der Studio-Moderator, Martin Konrad von Premiere, meinte - ohne jegliches Augenzwinkern, sehr korrekt - dass sich Pana jetzt beim LifeBall ausgeladen fühlen dürfte, wenn er da auf der VIP-Liste gestanden wäre.
Das ist auch in diesem Zusammenhang, in der oberflächlichen Glitzer-Shirt-Halbwelt der Kicker-Szene, durchaus verständlich und setzt Pana ein wenig der Peinlichkeit aus.

In der Zusammenfassung der Dienstag-Highlights am Freitag war der Pana-Spruch dann allerdings wieder zu hören, unrelativiert.

Aber trotzdem: Mir sagt dieses Mikro-Ereignis, dass die in den letzten Wochen schwelende LifeBall-Debatte (die ja bis zu einem Club 2 führte) indirekt dafür gesorgt hat, dass etwas anderes als das Feststellen von Schwul-Sein in den Mittelpunkt gerückt ist: nämlich die Normalität.

Dass also das Ankommen der schwulen Event-Kultur in der Mitte der Gesellschaft selber das Thema ist. Dort ist und war der homosexuelle Lebensstil (sofern er überhaupt sauber von anderen Lifestyles zu trennen ist) auch immer schon, in seiner gern zur Schau gestellten, songcontestanbetenden Spießig- und Biedermeierlichkeit.

Kunstrasen-Pupser

Weshalb auch einem Provinz-Feschak wie Pana klar ist, dass er etwas, was bei ihm und seinesgleichen in der letzten Refugien der Männlichkeit, der verschwitzten Sport-Umkleide-Kabine, ganz natürlich von der Zunge geht, mit einem beschämt-entschuldigendem "Wenn ich das so sagen darf" versehen muss.
Ich halte das, was auf den ersten Blick so rauh klingt für einen beachtlichen Fortschritt.

Interessant ist aber auch und foremost anderes. Nicht die offensichtlichen Dinge, nein, keine Angst, es folgen jetzt keine Witze über die belgisch-griechische Doppelstaatsbürgerschaft von Pana, obwohl das (um in sexuellen Untergriffigkeiten zu wühlen) aufgelegt wäre.
Auch die Tatsache, dass sein FC Gratkorn als nur einer von zwei Profi-Klubs des Landes auf etwas als peinlich-unmännlich Erachtetem wie Kunstrasen spielt, sich also nicht auf ein echtes Geläuf traut, sondern lieber den Daffyd Thomas gibt, ist da nur nebensächlich.

Viel interessanter ist Panas öffentlicher Beitrag in Gender-Fragen (für die er sich ja als Experte erachtet): wenn der fesche Stürmer nämlich gesperrt oder verletzt ist, schmückt er sich mit aussagekräftiger Tribünen-Begleitung. Da ist mir dann, 'wenn ich das so sagen darf' doch eine Tendenz zu gut ausgestatteter Botoxerie aufgefallen.

Was ins Gesamtbild der Männlichkeit passt, die ein lokales Idol wie Pana nicht nur in einem Land wie Österreich, sondern wohl weltweit repräsentieren muss - da ist der Druck eines simpel-machistischen Umfelds einfach zu hoch. Dazu kommt im konkreten Fall noch der Aufsteiger-Gestus, der noch dazu im Migrations-Umfeld, wo man derlei Tand auch mit verstaubten Begriffen wie Ehre rechtfertigt, stattfindet.
Was sich in den bereits benannten Glitzer-Shirts, viel Schmuck oder engen Hosen manifestiert.

Transtussy

In diesem Zusammenhang ist mir dann ein anderes (recht absurdes) Phänomen eingefallen, das ich seit einiger Zeit kontinuierlich kontrolliere. Im Volkstribun-Organ des gesellschaftlichen Mainstreams, im Vereinsblatt der österreichischen Seele, der Kronen-Zeitung nämlich, wird ja der Status Quo definiert.
In jedem Bereich.
Auch bei den Sex-Inseraten, die sich recht weit hinten, direkt vor dem Sportteil (so schätzt euch der Verlag ein, Sportsfreunde...) angesiedelt sind: dort ist der österreichische Mainstream-Sex, der käufliche, daheim, samt Preisauslobung und Angebots-Palette.

Und dort fällt (das wurde mir von einem Szene-Kenner kürzlich grinsend erzählt, ich check es seither nach, ihr könnt das auch leicht überprüfen) ein echter Trend auf: neben den dort inserienden Damen Paola, Laila, Jessica, Barbiedoll und Sexy-Oma auch die Damen Transsandra, Transnolie und Transbestbestückt. Also Chicks with dicks.

Im Schnitt haben drei von zehn der dort (mit Bildchen) Inserierenden das "Trans" lockend im Namen oder der Bildzeile.

Mein immer noch grinsender Experte meint im Übrigen, dass das kein internationaler Trend wäre (auf den einschlägigen Privat-Plattformen des pornografischen Clip-Austausches würde sich die Trans-Quote in Grenzen halten), sondern ein reines Lokal-Phänomen, das er sich auch nicht erklären könne.

"Eine Partie Schwuchteln"

Der durchschnittliche männliche Österreicher, der sich Kaufsex in seiner Lieblingszeitung holt, greift also zu einem erklecklichen Prozentsatz auf Partnerinnen mit Schwänzen zurück, bricht damit mit klassischen Geschlechter-Zuschreibungen.

Das ist vielleicht schwul, aber es ist doch auch nichts dabei, oder? Wenn's in der Krone steht?

'Wenn ich das so sagen darf' - die dortigten Damen sehen auch genauso fesch aus wie Panas Stadionbegleitung. Womöglich ist hier ein Freigeist sondergleichen unterwegs, der den Spruch, dass sein Team wie "eine Partie Schwuchteln" gespielt hätte, einfach nur deskriptiv meint.

Auch diesbezüglich ist also etwas in der Mitte der Gesellschaft angekommen, was da immer schon war: dass sich der scheinbar unverrückbare Hetersosexualismus des Österreichers sich über diese unerwartete Gender-Flanke der Transsexuellen bewegt. Man weiß nicht wohin, aber immerhin: es bewegt sich was. Und dass es selbst bei Ausbrüchen ein kollektives Wissen um zu wahrenden Anstand gibt.
Und dass die am Anfälligsten sind, die am lautesten "Schwuchtel!" schreien; aber das ist ja wirklich die allerälteste Kamelle.