Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Diktatur in Rumänien"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

18. 5. 2009 - 16:21

Diktatur in Rumänien

"Ich wäre heute Ingenieur in einer Provinzstadt und höchstwahrscheinlich Alkoholiker". Der Schriftsteller Dan Lungu stellt sich vor, in seinem Heimatland wäre noch immer Diktatur.

Dan Lungu hat das Phantasiespiel – stellen wir uns vor, die Wende hat nicht stattgefunden und Ceaucescu ist noch immer an der Macht – schon oft exerziert. Er ist glücklich, dass es ein Spiel ist. Er kennt aber viele, denen es damit ernst ist. Sein aktueller, auf Deutsch unter dem Titel "Die rote Babuschka" erschienener Roman handelt von einem Phänomen, das Lungu als nostalgisches Paradox bezeichnet. Eine feine Umschreibung für die Früher-War-Alles-besser-Leier.

Das Bild zeigt den rumänischen Autor Dan Lungu

Marko Lipus / RV

Die Hauptfrage des Buches ist folgende: wie ist es möglich, dass jemand die meiste Zeit seines Lebens in einer Diktatur verbracht und darunter gelitten hat, aber rückblickend dieser Zeit nachtrauert?, sagt Lungu.

"Die rote Babuschka" spielt zehn Jahre nach dem Sturz Ceausescus in Rumänien, Ende der 1990er Jahre und handelt von einer Frau, deren Tochter nach Kanada ausgewandert ist. Es stehen Wahlen an und die Tochter meldet sich aus Kanada und sagt ihrer Mutter, sie dürfe unter keinen Umständen die Kommunisten wählen. Dieser Anruf tritt die Erinnerung an das einstige schöne Leben los.

Dan Lungu ist mit dem Kommunismus fertig

Dan Lungu hat "Die rote Babuschka" als Selbsttherapie geschrieben und jetzt ist er laut eigenen Aussagen mit dem Kommunismus fertig. Lungu ist 1969 geboren, hat also die Hälfte seines Lebens unter der Ceaucescu-Diktatur verbracht. Die Elterngeneration etwa drei Viertel ihres Lebens. Für die heutige Jugend spielt der Kommunismus keine Rolle mehr. In Lungus letztem Roman Das Hühnerparadies glaubten die Protagonisten kurz nach der Wende an das wundersame Eintreten einer heilen Konsumwelt. Ein Jahrzehnt später ist Emilia Apostoae – die Protagonistin von "Die rote Babuschka" – von allem enttäuscht, was nach der Wende kam. "Gott, ging es mir im Kommunismus gut", sagt sie: Blue Jeans, Pepsi Cola, Rexona-Seife, alles hatte sie, heute nichts. Dass ihre Tochter aus Kanada auf sie einschwätzt, sie dürfe auf keinen Fall kommunistisch wählen, drückt zusätzlich aufs Gemüt.

Das Cover des Buches "Die rote Babuschka" zeigt eine Babuschka mit spitzen Zähnen vor rotem Hintergrund

Residenz Verlag

"Die rote Babuschka" hat drei zeitliche Ebenen: Die Geschichte von Emilia als Mädchen am rumänischen Land, das Kuhmist stampfen muss und sich – während sie von der Stadt träumt – aus Holzspänen Lockenwickler bastelt. Dann Emilia in der Stadt, in einer Fabrik. "Was haben wir gelacht! Ach, was haben wir gelacht!", sagt Emilia über die Arbeit. Bier wurde in der Badewanne gekühlt, unter Maschinen hat man ein Nickerchen gemacht, Stahlstäbe aus der Fabrik geschmuggelt. Nach der Wende wurde die Fabrik geschlossen und Emilia arbeitslos. Aus dieser Perspektive heraus erzählt sie über ihr Leben im Kommunismus. Gibt zu, dass es auch Unannehmlichkeiten gab, die kommen aber kaum vor, denn:

Ich bin mit meinem damaligen Leben jetzt viel zufriedener als ich es damals war.

Die rote Babuschka von Dan Lungu ist im Residenz Verlag erschienen und von Jan Cornelius ins Deutsche übersetzt worden.

Emilia Apostoea ist viel mehr als eine alte Frau, die dem Kommunismus nachtrauert. Sie ist eine zynische Beobachterin und schlagfertige Matrone. Sie hat zwar das Ende des Kommunismus für einen Stromausfall gehalten, aber die Westler, die nun ins Land kommen und Urteile aus dem Ärmel schütteln, nimmt sie mit der stoischen Gelassenheit derer, die mehr als nur ein politisches System erlebt haben. Es sei zwar ein wunderschönes Land, sagt ihr kanadischer Schwiegersohn, aber es müsse sich noch viel ändern. Emilia quittiert diese Aussagen mit einem trockenen Küngelchen, es gibt Verständigungsprobleme. Man entwickelt größte Sympathie für diese Figur, die ihrem Autor in Rumänien nicht nur Wohlwollen eingebracht hat.
Er wurde als alte Kommunistin beschimpft.