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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 5. 2009 - 16:28

Journal '09: 15.5.

Lady Heather und der Kulturbegriff.

Um gleich allen Wenigwissern den Hörensagen-Nachplapper-Spaß zu verderben:
CSI, das in Las Vegas spielende Original der seither mit zwei deutlich schwächeren Ablegern ausgeweiteten Crime Scene Investigation-TV-Reihe des Anthony E. Zuiker, erlebte nach einigen Durchänger-Seasons zuletzt einen künstlerischen Höhepunkt.

Das ohnehin komplexe Beziehungsgeflecht der Main Characters wurde durch dramaturgisch ausgezeichnet motivierte Handlungslinien rund um Beziehungs-Fluchten und auch den Tod eines des möglicherweise vielschichtigsten Sympathieträgers der Reihe in ein Klima heisriger Hoffnungs-losigkeit vorangetrieben und symbolisierte so das langsame Ausbrennen einer ganzen Generation zum Ende der Bush-Ära. Dazu kommt ein sein Amt im Jänner 2009 antretender, von Laurence Fishburne dargestellter neuer Hoffnungsträger.

Es begann ganz harmlos.
Bei CSI tauchte ein Side Character auf, den ich für tot gehalten hatte. Kurze Verblüffung. Und weil gerade der PC-Kübel offen war, hab ich mich auf die Suche nach einer Antwort begeben.
Dass Ami-TV-Serien zb in Wikipedia in einer fast schon wissenschaftlich anmutenden Gernauigkeit begleitet und beobachtet werden, war mir schon klar. Und auch hier: der angesteuerte CSI-Eintrag greift von der Statistik bis zum CSI-Syndrom (der durch die Reihe irrationale gewordene Erwartungshaltung, was die Aufklärung via DNA-Beweis betrifft) alles auf, was relevant ist oder sein könnte, jenseits der Trivia, samt kritischer Rezeption. Und in der amerikanischen Popularkultur ist jeder Aspekt relevant, weil jeder Aspekt genau durchdacht, geprobt, geskriptet, auf Verträglichkeit, auf Akuresse und auch auf Upfrontness abgeklopft wird. Von Profis, von Menschen, die sich genau beschäftigen, von Spezialisten einer Popkultur-Industrie, die selbstbewußt agiert, weil sie viele Menschen erreicht. Das spiegelt sich in allem wieder, von Mainstream-Media über der Fan-Kultur bis hin zu den Cultural Studies.

Von der erste Seite geht es recht schnell auf den Subartikel über die 9. Season (die in den US gestern abgelaufen ist und bei uns gerade bei der gestrigen 5. Folge von 24 hält) und von dort wieder auf die Recurring Guest Stars.
Und da ist sie auch, Lady Heather, die Dominatrix, eine der sonderbaren Beziehungs-Punkte des Haupt-Charakters Grissom, und über jeden ihrer 5 Gastauftritte in CSI gibt es ein analytisch exaktes Profil, das sich liebevoll mit einer liebevoll entwickelten Figur der populären TV-Mainstreams beschäftigt, einem Side-Charakter mit vielleicht insgesamt einer halben Stunde Screening Time.
Das aber völlig zurecht.

Von Lady Heather zum Miniature Killer

Ich bin dann (weil es ja das Wesen des Webs ist, die weiterklickende Abschweifung) auf einen anderen hochgeschätzten und präzise dargestellten Side-Charakter gestoßen, den sogenannten Miniature-Killer Natalie Davis, die Tochter eines Bauchredners, eine der vielen düsteren, aber extrem nachvollziehbaren Charaktere der Serie, ein leises Opfer, das zur leisen Täterin wird.
Wikipedia hat über diesen auch wieder extrem genauen Eintrag (der alles, alle Referenzen, alle Opfer, sogar die Verwirrplots rund um diese fiktive Person beschreibt) ein "This article describes a work or element of fiction in a primarily in-universe style." gesetzt. Zu spezialistisch, zu sehr im Universum drin.

Das ist nicht als Vorwurf gedacht, trifft aber die grundsätzliche Haltung gegenüber der exakten Beschäftigung mit nicht- oder nicht-umfassend-kanonisierten Bereichen.

Weder Wiki noch sonstwer würde auf die Idee kommen, einen Eintrag (oder sonst eine In-Depth-Erklärung) sagen wir einer Oper als "primarily in-universe style" abzutun, wiewohl das mehr als gerechtfertigt wäre. Kaum ein Opernführer dieser Welt (der selige Marcel Prawy ist selbstverständlich die rühmliche Ausnahme) ist wirklich imstande einen angestaubten Stoff nicht "in-universe"-Style zu vermitteln (okay, gute Kunstvermittler - und da gibts viel zu wenige - bringen das; aber der Medien-Mainstream beispielsweise gar nicht) - im Regelfall wird von uns einfach verlangt in dieses Universum einzutauchen um es wahrnehmen zu können.

Vom Miniature Killer zum Selbstbetrug

Wir sind hier also im wesentlichen unreflektierter Teil eines großen Selbstbetrugs, Opfer eines eigentlich leicht zu durchblickenden Double-Binds.
In Europa zumindest.
Die Dinge, die bereits von zumindest einer, besser zwei, um ganz sicher zu gehen drei Generationen festgezurrt, kanonisiert, für sakrosankt erklärt wurden, die haben Geltung - egal wie abgehoben ihre Denke, wie gestrig ihre Sprache und wie nichtig ihre Einbindung ins Hier und Jetzt ist (von der wirklichen Bedeutung, dem künstlerischen Wert erst gar nicht zu reden).

Das erinnert mich an die kurze groteske Begegnung die Kollege Zikmund und ich unlängst mit zwei auszuckenden Wachpersonen hatten, die aus nichtigem Grund ein paar Mädchen Prügel androhten und bei unserem Dazwischen-gehen sofort mit der Prolo-Keule "Hobts es leicht studiert?" ankamen...

Derjenige hingegen, der einen (relativ) neuen Bereich (womöglich auch noch akribisch) vermisst, darf sich von gleich zwei Seiten als Nichtsnutz brandmarken lassen. Zum einen von den Bewahrern, die außer dem bereits Bestehenden nichts anderen zulassen können (weil ihre Lernfähigkeit die von Kelly Bundy letztlich nicht übersteigt); zum anderen von den interesselosen Oberflächenkitzlern, die alles, was ihren Hoizont übersteigt und gesellschaftlich nicht hochgerankt genug ist, als unnötig und überflüssig abtun. Motto: wer braucht des? oder gar: und so a Bledsinn wird a no bezahlt?

Wird.
In den USA und anderen gegenwartskulturell höher entwickelten Gesellschaften. Klar.
Und zurecht. Und zurecht teilweise auch gar nicht schlecht.

Weil genau diese intensive Beschäftigung den entscheidenden Unterschied macht, ob man in den Cultural Industries Frontrunner oder nur Nachäffer ist. Weil nur das Ernstnehmen des Produzierten dessen Crossover-Potential beschleunigen kann.

Vom Selbstbetrug zur Demutsgeste

Wer also, um bei CSI zu bleiben, eine TV-Serie verwaschen anlegt, nicht in Autoren, die Kreation von Athmosphäre oder das genaue Ausbalancieren von Side-Characters legt, der wird scheitern.
Und weil man sich in einem bis obenhin mit musealer Pseudo-Hochkultur vollgestopftem Land öffentlich immer dafür genieren muß, wenn man Populärkulturelles entwickelt, kann auch nix draus werden: wer mit der Demutsgeste des Bedauerns ("Ich tät ja auch viel lieber an der Oper inszenieren, aber muß mich mit deppertem Fernsehen herumschlagen, tschuldigung...") wird das nix.

Keine Sorge, das passiert alles - es gibt genug gute Leute - aber eben zuwenig davon, weil die Hochkultur-Dünkel-Mentalität alles verstellt.

Wer den TV-Film nicht als Kunstform begreift (wie das die Alten, von den Alpensaga-Leuten bis zu Corti ja begriffen hatten, was die vom zunehmend popcornlastigeren Kino-Unfug in den langbögigen TV-Reihen-Kontext geflüchteten Künstler bei zb HBO vorleben) der wird nichts zustandebringen, was über Tatort-Format hinausreicht.

Dasselbe gilt in praktisch jedem anderen künstlerischen Bereich fast deckungsgleich. Einzig die neuere österreichische Literatur hat den Ausbruch aus der Traditionsfalle praktisch komplett geschafft.

In diesem Zusammenhang mutet eine aktuelle Meldung aus dem Medien-Business wie eine Flaschenpost aus dem vorigen Jahrhundert an. Zwei ehemalige ORF-Kulturjournalisten, die für die unerträglich eklatante Oper/Theater/Ballett-only-Phase von Treffpunkt Kultur mitverantwortlich waren, sind die neuen Vorzeige-Macher einer geplanten ATV-Kultursendung.

Vom der Demutsgeste zum Kniefall

Eine wöchentliche reine Hochkultursendung, der feuchte Traum der Bundestheater-Direktorenschaft und der Seipels und Akbrechts dieser Republik, die sich da nichts als Hofberichterstattung erwarten, ist nun reines politisches Kalkül des ATV-Eigentümers Herbert Kloiber.

Kloiber, ein Kirch-Schüler, ist ein Kulturmensch alten Schlags (auch typisch, das genau solche dann für Programme verantwortlich sind, die sich nächtens durch Stöhn-Spot-Orgien ohne Ende auszeichnen) und weiß, dass er mit einem Alibi-Feigenblatt in der aktuellen Diskussion um die Verankerung einer finanzielle Förderung des Privat-TV in einem neuen ORF- oder Medienregulierungs-Gesetz punkten kann.
Dieser zwar plumpe aber doch Versuch ist legitim.
Und auch, dass er genau über die abgestandene Schiene erfolgt, ist kein großes Mirakel.

Es sagt viel über den Zustand einer Gesellschaft aus, die Kloiber - ebenso wie diverse Konterparts, auch im ORF - fraglos mitdefiniert: Kultur als Ausrede, als eine freiwillige Musealisierung, als rein auf Tourismus und Festival-Folklore abzielende Veräußerung von Klischees der Wohlgefälligkeit.

Das ist nicht nur ein verlogenes Abbild konservierter Reaktion, sondern auch der Tod tatsächlicher Kultur, nämlich der Reflektion tatsächlich aktuell Geschehenden.

Wer sich selber dazu verdammt diese Reflektion immer über den Umweg des ewiggleichen alten Kanon-Sermons, der überwuzelten Spielpläne mit der schnarchigen alten Seilschaften zu führen anstatt auf seinen brodelnden Bauch, also die Jungen zu hören und ihnen Freiraum für die genaue Beschäftigung mit diesen komischen Dingen, die den alten Kultur-Definitoren seltsam, kulturlos und nichtsnutzig erscheinen, der wird auch in Hinkunft zurecht bedeutungslose Romy-Parties abhalten müssen, anstatt sich einer zumindest europäischen Gegenwart annähern zu können.