Erstellt am: 14. 5. 2009 - 17:01 Uhr
Berlins größte Wiese
Frühjahr 2008, am Balkon im vierten Stock eines Neuköllner Altbaus. Über mir zieht in beängstigender Tiefe ein Flugzeug vorbei, wie man es sonst nur am Rande einer Stadt gewohnt ist. Wer sich darüber wundert, zeigt seinen Status als Berlin-Neuling. In den zentral gelegenen Gebieten im Süden der Stadt ist über den regen Flugverkehr niemand verblüfft, der hier schon länger wohnt. Tempelhof war Alltag - bis zur Schließung des Flughafens am 31. Oktober 2008.
Historische Relevanz
Ein Volksentscheid hatte einige Monate zuvor die Schließung des ehemaligen "Zentralflughafens" besiegelt, die von Bürgerinitiativen bereits seit Mitte der 1980er Jahre gefordert wurde, aber nie final durchgesetzt werden konnte. Das lag unter anderem an der großen historischen Relevanz des Flughafen Tempelhof: Er galt und gilt als Widerstandssymbol des sowjetischen Besatzung Berlins. Zur Zeit der Berlin-Blockade in den Jahren 1948/49 wurde von den USA eine Luftbrücke eingerichtet, die die Bevölkerung per Flugzeug mit Nahrungsrationen versorgt hatte - die Land- und Wasserwege waren gesperrt.
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Robert Glashüttner
Seit einem nächtlichen Rundgang um die Außenmauern des monumentalen Flughafens, der zur Nazizeit stark ausgebaut wurde, wollte ich unbedingt wissen, wie es drinnen aussieht: Am Flugfeld, einer riesigen Wiese mitten in der Stadt, dessen Ausmaße im Vergleich zu den sonstigen Größenverhältnissen der Stadt verblüffend sind.
Bevor ich die Telefonnummer der zuständigen Gebäudeverwaltung für eine Besichtigung ins Handy getippt habe, ist mir der Berliner Senat zuvorgekommen und hat anlässlich "60 Jahre Luftbrücke" einen Tag der offenen Tür ausgerufen.

Robert Glashüttner
Beim Haupteingang werden Programmhefte verteilt. Nach Gedenkesfeiern und Ansprachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, startet um 14 Uhr das Programm für alle: Swing und Jazz, Gesprächsrunden mit Zeitzeugen und der groß angepriesene Schauflug eines originalen "Rosinenbombers" lockt vor allem älteres Publikum, Technik affine Nostalgiker und junge Familien, die dem Nachwuchs politische Bildung näher bringen wollen.
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Robert Glashüttner

Robert Glashüttner
Es ist kurz vor vier Uhr - noch ist kein Flugobjekt zu sehen. Viele Schritte hinein in das immer größer werdende Feld und erstmals ist der Zaun sehen, der die betonierte Fläche vom Wiesenteil trennt. Und, oh! Jetzt taucht es auf, das alte Flugzeug, das über dem Landefeld kreist, aber immer genügend Sicherheitsabstand hält und damit auch nicht viel aufregender ist als es der Flugverkehr über Neukölln noch im Vorjahr war. Der einzige Unterschied: Der "Candy-Drop", bekannt geworden durch den ehemaligen US-Piloten Gail Halvorsen, der angeblich auch in der gerade kreisenden Maschine sitzt. Aus dem Flugzeug fliegen kleine Mini-Fallschirme gen Boden, an denen irgendetwas befestigt ist. Was das genau ist, lässt sich nicht herausfinden, denn der Zaun ist im Weg.
"Der Zaun muss weg!" skandieren friedliche Demonstranten daraufhin laut und bestimmt. Sie haben ihre Transparente ausgebreitet und zeigen damit, dass sie nicht damit einverstanden sind, was die Berliner Senatsverwaltung mit dem Flughafen Tempelhof und dem Flugfeld vor hat.
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Robert Glashüttner

Robert Glashüttner
Schon seit der offiziellen Schließung des Flughafens liegt ein Fünf-Punkte-Plan der Stadt Berlin vor, der über die geplante Zukunft der Gebäude und freien Flächen informiert. Unter dem Titel "Zukunft Tempelhofer Feld" will man Baugruppen anlocken, zahlungskräftige Sparten der Creative Industries ansiedeln und neue Wohnflächen schaffen. Das ehemalige Flugfeld soll größtenteils als überdimensionaler Park erhalten bleiben und weiterhin als Klimaausgleich der Stadt dienen.
Die Demonstranten haben indes weitaus mehr Anliegen als angedeutet über den Zaun zu klettern und in der Sonne zu tanzen. Zusammenschlüsse wie etwa Squat Tempelhof warnen vor einer Gentrifizierung des Stadtteils und fordern eine unkommerzielle Nutzung der neu in die Hände der Öffentlichkeit gelangten Flächen und Gebäude.

Robert Glashüttner
Doch die zu vage vorgebrachten Anliegen der Demonstranten und das Unverständnis vieler Gäste prallen schnell aneinander. Junge Aktivist/innen und ältere Schaulustige, die friedvolle Demonstrationen mit wilden Randalen verwechseln, geraten in Wortgefechten aneinander. Bald löst sich die kleine Demozug von selbst wieder auf und die Menschen wandern langsam zurück zum halbkreisförmigen Hauptgebäude.

Robert Glashüttner
Was in den kommenden Monaten und Jahren wirklich passieren wird, ist noch unklar. Momentan werden die Räumlichkeiten noch für "temporäre Nutzungen" vermietet. Die Modemesse "Bread & Butter", die in den vergangenen Jahren von Berlin nach Barcelona ausgewandert war, kehrt Anfang Juli vertraglich fixierte zehn Jahre in ihre Heimatstadt zurück - in den Flughafen Tempelhof. Und das geplante 40-Jahre-Revival von Woodstock wird aus finanziellen Engpässen leider nicht am Tempelhofer Flugfeld stattfinden, wie es mal angedacht war.
Die viele freie Fläche bleibt also weiterhin für die Öffentlichkeit geschlossen. Weil sich damit viele nicht abfinden wollen, wird für den 20. Juni zu einer konzertierten Massenbesetzung aufgerufen. Die Zukunft des ehemaligen Flughafens Tempelhof bleibt spannend - auch, nachdem es über den Dächern Neuköllns stiller geworden ist.

Robert Glashüttner