Standort: fm4.ORF.at / Meldung: ""Was mir deine Schleuder ist dir meine Waschmaschine" (Rosa Extra, 1982)"

Sophia Roma Weyringer Berlin

Sammelt die abstrakten Momente und verliert sich gern in Zwischenwelten.

13. 5. 2009 - 18:17

"Was mir deine Schleuder ist dir meine Waschmaschine" (Rosa Extra, 1982)

Über Punk und den intellektuellen-künstlerischen Untergrund in der DDR.

Die Berliner Punk-Underground-Band "Planlos" bei einem Konzert 1981

Neue Visionen Filmverleih

"Überall wohin’s dich führt wird dein Ausweis kontrolliert, und sagst du was im falschen Ton - was dann geschieht, du weißt es schon. Ganz egal wohin man schaut sind Kameras aufgebaut - begeleiten dich auf Schritt und Tritt - die Sicherheit geht mit dir mit. Irgendwann da muss was geschehen - denn wer will länger tatenlos sehen - bist du denn geboren worden um dich allem unterzuordnen. Ist das nicht der große Staat wo jeder seine Freiheit hat?" (Textauszug aus „Überall wohin’s dich führt“ von Planlos, 1981)

"Wir waren nicht mutig…wir waren wütend"

1979 war es, als die ersten Punks auf der Bildfläche der DDR erschienen sind. Aus der zunächst kleinen und recht überschaubaren Gruppe entwickelte sich bald eine Bewegung, auch weil sie das Bild des sozialistischen Einheitsstaates störte, für die DDR-Führung eine Bedrohung der Ideologie- und Kontrollmaschinerie darstellte.

Punk war in der DDR mehr als nur Attitüde. Es war ein Lebensgefühl und eine Lebenshaltung, die mit großem Risiko verbunden war, denn der Staat begegnete Dissidenten und Oppositionellen nicht mit sanften Händen. Punk in der DDR sein bedeutete "Nein" zur Repression eines kontrollwütigen Staates und "Ja" zur Selbstbestimmung und zum Individuum. Für viele Punks bedeutete es auch ein Erwachen und Ausbrechen aus der repressiven Gesellschaft, es war ein Schrei nach intellektueller, geistiger und emotionaler Emanzipation.

1989-2009
Der Schwerpunkt auf FM4

Henryk Gericke - selbst in der Berliner Ostpunk- und Undergroundszene aktiv gewesen - heute freier Autor sowie Dramaturg des Films „Ostpunk! too much future" und Mitautor des gleichnamigen Buches und
Alexander Pehlemann – Co-Autor des Buches „Spannung.Leistung.Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979 – 1990“, Herausgeber des Magazins Zonic und aktiver Kulturnetzwerkler im Gespräch:

Sophia Weyringer: Was hat es bedeutet in der DDR Punk zu sein?

Henryk Gericke (HG): Punk bedeutete im Prinzip, dass man den Hebel umgekippt hat. In dem Moment, in dem du mit einer Un-Frisur und mit zerrissenen Klamotten auf die Straße gegangen bist, hast du dich vollkommen neu in der Gesellschaft positioniert. Natürlich waren die Reaktionen auf dich ganz andere, man musste halt auch damit klar kommen, dass Leute einen dafür nicht nur nicht mögen sondern dir auch an die Wäsche gehen. Punk-Sein hat alles verändert und damit meine ich nicht nur die Reaktionen des Staates, sondern auch die Reaktionen des Mobs. Für lange Zeit war man ein Gejagter.

Wie und wann bist du zum ersten Mal mit Punk in Berührung gekommen?

HG: Mein erster Kontakt mit Punk war mittels eines Artikels in einer DDR-Pionierzeitschrift über eine neue Modebewegung unter Jugendlichen in London, die sich auf Konzerten gegenseitig umbringen und die Leichen in die Kanalisation schmeißen. Das hat mich total beeindruckt. Nicht, dass ich Leute umbringen wollte oder umgebracht werden wollte. Aber diese Unberechenbarkeit und diese Lebendigkeit, die es im Osten nicht gab, hat mich sofort angezogen. Da war ich ungefähr 13 Jahre alt, ein bis zwei Jahre später war ich dann auch ein Punk.

Ein Ostpunk sitzt mit drei älteren Damen auf einer Parkbank. Er lacht. Die Damen blicken verwirrt.

Neue Visionen Filmverleih

"Ich bin der Punk-Rock-König…Ich hab ne’Lederjacke an mit viel Gelumpe dran/Ich hab die Haare aufgestylt, auch wenn sich Mutter aufgeilt"(Textauszug aus "Punk-Rock-König" von Müllstation, 1988)

HG: Es gibt den Mythos, dass man als Punk politisch gedacht hat. Aber man ist als Punk politisiert worden, weil man vom Staat diskriminiert und kriminalisiert wurde. Und das ging sehr schnell.
Am Anfang hat man noch gar nicht geschnallt, dass die Punks aus der DDR waren. Man wurde am Anfang in Berlin noch von den DDR-Bürgern beklatscht, weil die dachten man sei aus dem Westteil der Stadt. Aber als sie es kapiert haben, dann ging es richtig los. Da setzte die Repression zunächst durch die Kripo und dann durch die Staatssicherheit ein.

Gab es auch Kontakt zu West-Punks?

..."geruppt" das heißt, dass sie den West-Punks einfach alles an Kleidung und Accessoires "abgenommen" haben

HG: Sporadisch schon, durch die Nähe zu West-Berlin. Aber eher weil wir scharf auf deren Klamotten waren. Wenn sich die am Alexanderplatz blicken haben lassen, dann wurden die... tja… geruppt, wie man im Fachjargon so sagt.

Wie habt ihr euch damals die Musik beschafft?

HG: Das ist eine interessante Frage, denn es gab damals keinen Punk-Rock oder New Wave im weitesten Sinne in der DDR zu kaufen. Es gab nichts auf Vinyl und auch nichts auf Kassette. Wir in der Ost-Berliner Szene hatten den "heißen Draht" nach West-Berlin. Wir haben einfach nächtelang vorm Radio gesessen und haben aufgenommen, was wir nur konnten und wollten. Es gab besondere Sendungen auf RIAS und SFB. Auch John Peel hat eine wichtige Rolle gespielt. Es gab auch Moderatoren, die Songs mit Ansage ausgespielt haben, weil sie wussten, dass das die einzige Quelle für die Fans im Osten ist.

Ich habe auch von der Spezial-Quelle der "West-Omas" gehört…

HG: Ein ganz spezielles Kapitel (lacht). Ja, das war wirklich eine ganz wichtige Quelle. Die alten Ladies wurden mit diversen Wunschlisten ihrer Ost-Enkel in die Plattenläden der Westkaufhäuser geschickt und haben dort mit ihren 75 Jahren nach Crass oder den Einstürzenden Neubauten gefragt. Zum großen Amusement der Plattenhändler. Aber die Omas durften als Rentnerinnern rüber. Eine weitere Quelle waren Diplomatensöhne.

Die Punk- und New-Wave-Welle ist sehr schnell auch auf die Künstler- und Intellektuellen-Underground-Szene der DDR rübergeschwabt. Waren diese Szenen miteinander verwoben oder gab es Abgrenzungen?

mehr zum Beataufstand...hier
mehr zur DDR-Jugendkultur...hier
mehr zur SED...hier

Alexander Pehlemann (AP): Es gab natürlich auch schon vor Punk eine Art Boheme-Szene im Untergrund Ost. Es gab einen Beat-Aufstand als die SED-Staatsführung - sogar relativ erfolgreich - versucht hat den Beat in der DDR zu deckeln und all das verboten wurde, was mit dieser Musikrichtung in Verbindung gestanden hat. Alle Bands haben z.B. ihre englischen Namen ändern müssen. Es gab auch eine Hard-Rock-Bewegung zu Beginn der 1960er. Im Grunde genommen wurde jede Welle aus dem Westen gleich umgesetzt - aber zu den repressiven DDR-Bedingungen.

Es gab auch schon immer widerständige Künstlerszenen. Thüringen und Dresden waren wichtige Zentren und natürlich immer wieder Berlin - dort zogen viele hin und haben sich vor allem am Prenzlauer Berg angesiedelt.

Eine Ost-Punkband bei einem Konzert

Neue Visionen Filmverleih

Es gab Nischenräume des Systems, wo Leute, die nicht hineinpassten - die "Querulanten" - und die Leute, die nicht einverstanden waren, relativ automatisch aufeinander trafen. Da gab es bestimmte Kneipen, Ateliers, gewisse Cafés und teilweise auch die evangelische Kirche, die eine ganz besondere Rolle in der Geschichte der Independent-Szene in der DDR gespielt hat. Die Kirche öffnete ihre Räumlichkeiten für die künstlerischen Randgruppen und bot als zeitweise einzige Institution Zuflucht und Entfaltungsraum.
Aus all dem entstanden Zusammenarbeiten der Künstler untereinander. Es war ein relativ organischer Prozess. Nicht, dass die ganze Punk-Szene mit den Bohemians der 70er-Jahre verschmolzen wäre. Dem war natürlich nicht so.<<

Punks mit auftoupierten Haaren, Nieten-Lederjacken und bunten Hosen vor einem Denkmal

Neue Visionen Filmverleih

Die Bands trugen Namen, wie:
Schleim-Keim
Zwitschermaschine
Rosa Extra
Ornament&Verbrechen
Grabnoct
Klick&Aus
3tot
Die Gehirne
Planlos
Namenlos
Glasnoct
Kriminelle Tanzkapelle
Feeling B (später als “Rammstein" berühmt)
L’Attentat
Die Fanatischen Frisöre
Kaltfront
...

HG: Ganz im Gegenteil. Wenn Künstler Atelier-Feste gemacht haben, dann haben sie sich mit Punks geschmückt und diese eingeladen, sich dann aber gewundert, dass ihre Ateliers "umgestaltet" wurden.
Aber letztendlich haben sie das in Kauf genommen, weil sie von der Kraft von Punkrock belebt und damit auch wiedererweckt wurden. Die Künstler waren ja selber auf der Suche nach neuen Ausdruckmöglichkeiten.
Für viele war Punk auch ein Transitraum. Die sind da durch, weil sie woanders hin wollten, aber noch nicht gewusst haben, wohin. Viele sind später Musiker und Schriftsteller geworden und im Künstlerunderground gelandet. Bei mir war es zum Beispiel so. Ich war 1983 mit Punk durch und bin in die Prenzlauerberg Underground-Künstlerszene geraten. Das war für mich ein zweiter Aufbruch nach Punk.

Das alles klingt so stark nach Durst nach Ausdruck des eigenen Ichs…

AP: Dieses Ich-Sagen, das Henryk vorher schon erwähnt hat, unter diesen Bedingungen - dass man permanent in ein Kollektiv eingeordnet worden ist und dass man sich nur unter hierarchischen Bedingungen und auf vorgezeichneten Wegen bewegen durfte - war ein radikaler Schritt. Dieses Ich dann auch noch Auszustaffieren, dazu gehörte viel Mut.

Für mich war es noch ein bisschen anders, weil ich auch noch einen Umweg über das DDR-Sportsystem gemacht habe. Innerhalb dieses Systems wurden gleichzeitig der Ich-Ausdruck und der Konkurrenz-Kampf gefördert, das war eine sehr eigenartige Situation. In diesem System bin ich dann mit 14, 15 Jahren, als ich die Popkultur für mich entdeckt und mir einen anderen Haarschnitt zugelegt habe, auf ganz starke Ablehnung getroffen, die eigentlich viel tiefer wurzelte als im eigentlichen DDR-System. Da gab nicht nur Reaktionen, die aus der DDR-Gesellschaftsformation kamen, sondern noch viel tiefer liegende Aversionen. Es kamen ja nicht umsonst die Sprüche "unter Adolf hätte man euch vergast" und so weiter. Da kamen Dinge hoch, die sich durch die DDR-Sedimente gezogen haben und dann ein kräftiges Revival erlebt haben.

HG: Ich glaube, dieses Lebensgefühl von Endzeit war keine Attitüde. Der atomare Krieg war eine ganz konkrete Bedrohung und man dachte sich, wenn wir schon alle untergehen, dann gehen wir wenigstens bunt unter. In diesem Background haben wir uns bewegt und gelebt. Die Endzeit hat man zelebriert. Man hat sich darin geaalt, war pubertär, Melancholie war ein riesen Ding bei gleichzeitiger Gewaltbereitschaft. Das war eine interessante Melange.

Vier Ost-Punks lehnen an einem Hauseingang

Neue Visionen Filmverleih

"Frust, der Kult schwarzer Legionäre/Keine Revolte der coolen Kids/Der Blick in die Zukunft eine dunkle Vision/Teil einer Generation, die glücklich ist" (Textauszug "This Is A Happy Generation" von Kaltfront, 1988)

Ein wichtiges Kapitel der DDR-Geschichte ist das System der permanenten Überwachung und Repression der Staatsicherheit (STASI). In vielen Texten von Underground-Bands der DDR wird diese Überwachung auch offen und direkt angesprochen. Man war sich also bewusst, dass der Staat ständig mit dabei war…

HG: Überspitzt gesagt, man hat man sich gefühlt wie in einem Orwell-Roman. Man darf nicht vergessen, dass da eine Subkultur auf eine Diktatur prallte. Die Spannung, die dabei entstanden ist, entlud sich schleichend durch die Observation. Aber das war auch Teil des Spaßes für uns, das darf man nicht vergessen. Bei aller Angst, die man hatte und bei aller Paranoia, die sich entwickelt hat. Man wurde mit 16 oder 17 Jahren auf einmal wichtig genommen. Man war wichtiger als die anderen Altersgenossen, die in irgendwelchen Schachgemeinschaften oder sonstigen Verbänden waren.
Die Kehrseite war allerdings, dass man wirklich nächtelang mit seinen Kumpels wachgelegen ist und überlegt hat, wer nun aus der Clique bei der Stasi ist und wer nicht. Wir waren von der Brisanz der Situation völlig überfordert.

1982 ruft Staatssicherheitsminister Erich Mielke zur "Härte gegen Punks" auf. Wie haben Punks und auch Künstler diese Härte zu spüren zu bekommen?

HG: Ich kann immer nur wieder betonen, wir waren ja Kinder. Am Anfang war alles noch lustig und komisch, aber als dann die ersten Leute - teilweise noch minderjährig - in den Knast gesteckt wurden, hat man den Ernst der Sache zu spüren bekommen. Auch mit einer entsprechenden Angst. Viele haben den Großteil ihrer Jugend im Gefängnis verbracht. In diesem Moment die Angst zu überwinden und weiter zu machen war eine ernsthafte Entscheidung. Auch für mich. Ich habe 1984/85 Kontakt zur Oppositionsszene bekommen und als ich da etwas reingewachsen bin, sagten die als erstes zu mir, dass sie für ihre illegale Kartei ein Passfoto von mir bräuchten, damit, sollte ich festgenommen werden, ein Foto an die Westpresse geschickt werden könnte. Da ist mir zum ersten Mal klar geworden, was das alles bedeutet. Ich wollte natürlich nicht in den Knast. Ich habe nach langem Überlegen aber dann doch weitergemacht.

Wie haben sich diese Verfolgungs- und Repressionswellen auf die Szene intern ausgewirkt?

Ost-Punks beim Pogen

Neue Visionen Filmverleih

weitere interessante Links:
parocktikum.de
beat-poet.de
die-andereren-bands.de
jugendopposition.de

HG: Die Staatssicherheit hat dafür einen adäquaten Ausdruck gefunden. "Die Szene wurde zersetzt". Ein Großteil wurde gleich mit 18 Jahren in die Armee eingezogen, viele wurden ins Gefängnis gesteckt. 1984 gab es dann eine große Zäsur in Ost-Deutschland, die erste große Ausreisewelle derjenigen, die schon lange vorher einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Es gab auch Leute, die versucht haben, mit dieser Welle mit rüber zu schwappen und da sind viele Punks über Nacht in den Westen verschwunden. Da zerbrachen Freundeskreise, künstlerische Allianzen und noch viel mehr.
Du hast an einer Tür geklingelt und dann sagt dir die Nachbarin: "Ja, der ist letzte Nacht abgeholt worden." Das war mit einem unglaublichen Kummer und einer unglaublichen Leere verbunden.

Das ganze Interview inklusiver ostiger Musikbeispielen gibt es heute in der FM4 Homebase ab 19.00 Uhr zu hören!