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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 5. 2009 - 15:14

Journal '09: 13.5.

Bologna. Über den Bedeutungswandel an sich.

Kürzlich, bei einer Diskussion im universitäten Umfeld, bei der es um Schwierigkeiten der Auszubildenden ging, blieb es einem älteren Teilnehmer, augenscheinlich einem Dozenten, vorbehalten auch den Bologna-Prozess ins Treffen zu führen, als es darum ging zunehmende Verschulung, gefühlte Beengung und das unkreative Betreiben des eigentlichen Studienzweckes zu rechtfertigen.

Der Bologna-Prozess vereinheitlicht das europäische Universitätswesen, was angesichts einer zusammenwachsenden EU mehr als notwendig ist, aber dann auch viele Probleme nach sich zieht, wenn die nationalen Umsetzer kein eigenes Gesamt-Konzept haben und mit argen finanziellen Problemen kämpfen.
Beides trifft auf Österreich zu.

Daran ist zweierlei interessant.
Dass es erstens bei den - eh schon strenger in sich normierten Fachhochschulen - da überhaupt kein studentischen Problembewusstsein gibt; denn bei jeder Uni-Diskussion schaffen es die Studenten, Bologna-Probleme anzusprechen und auf konkrete Bedürfnisse runterzubrechen - hier war es jemand aus dem Management.

Bologna und das politische Kurzzeitgedächtnis

Die zweite Sache fiel mir dann ein, als eine andere ältere Teilnehmerin den Studis kurz danach, in einem anderen Zusammenhang, ein sehr eng gesetztes Kurzzeit-Gedächtnis, was politische Zusammenhänge betrifft unterstellte. Sie meinte, das politische Gedächtnis der aktuellen Generation würde nicht bis vor 2000 zuzrückreichen, was angesichts dem von der Wende-Regierung ausgerufenen neuen Gehorsam-Kurs sowie einiger Definitions-Umdeutungen fatal wäre. Vor allem in einem Bereich, der historische Relevanzen klarzustellen hätte.

Da ist mir nämlich wieder eingefallen, wie absurd und eigentlich bösartig die Sache mit Bologna ist.

Hier die Bologna-Erklärung im Wortlaut.

Die wenigen, die sich überhaupt für Sachen interessieren, die nicht in der Gratiszeitung stehn, bei Stefan Raab angepupst werden oder per Zufalls-Generator über die Peergroup daherkommt (die üblichen 5 - 10% halt) kennen die italienische Stadt Bologna jetzt eben maximal als Ort der Erklärung der europäischen Bildungs-Minister, also tendenziell als Synonym für Verschulung, Verbravung, als Sozial-Selektor, als einen Begriff der die Unis zu Vorhof-Verbänden der Wirtschaft runterbricht, und Lehre und Forschung zugunsten einer Arbeitsmarkt-Bereinigung vernachlässigt. Also als Ausfluss des 1999, bei Beschlusslage, noch großflächig unbeeinspruchten Neoliberalismus - der bei Österreichs zuständigen politischen Managern, auch wegen grotesker Aktionen wie dem CERN-Ausstieg immer noch in den Köpfen feststeckt, wiewohl es da mittlerweile längst wieder ein Umdenken gegeben hat.

La Rossa und die "strategia della tensione"

Da auch hier das politische Gedächtnis nicht länger als zehn Jahre zurückreicht, wäre den Studenten im Saal auch die Absurdität dieser Zuschreibung nicht bewusst geworden - wenn sie sich dafür interessiert hätten, was andere aber erwiesenermaßen tun, weshalb sich die Beschäftigung damit hier durchaus lohnt.

Bologna galt seit Kriegsende als Zentrum der Linken, war als La Rossa den durchgängig konservativen italienischen Regierungen immer ein oppositioneller Dorn im Auge. Zudem ist die über 900 Jahre alte Uni die zweitgrößte des Landes, ein gewichtiger Umschlagplatz für Ideen und war lange Jahre ein Pilgerziel für Austausch-Studenten aus aller Welt.
Weil es neben einem großen Campus und erstklassiger Lehre auch eine vitale urbane Kultur gab, weil man damit offensiv umging und weil die Stadtpolitik lange als wichtiger Modellfall für verantwortungsvolle Statdentwicklung galt. Das "rote Modell" war in den 70 er und 80er Jahren Pflichtprogramm für allerlei Kommunalpolitiker und Stadtplaner, man sprach spöttisch vom "Disneyland der KPI".

Der Kampf gegen die Linken, gegen die Uni, gegen Bologna, war genauso offensiv. Der Terroranschlag auf den Bologner Bahnhof war die offensichtlichste Maßnahme von etwas, was in der Folge als strategia della tensione bekannt wurde: die bewusste Destabilisierung aus politischen Motiven.
Wie das ausschaut, lässt sich nicht nur in Costa-Gavras Filmen sondern auch anhand realer Geschehnisse wie der Moro-Entführung ersehen.

Der Turnaround zu Begradigung

1999 kam es zum totalen Turnaround: die nach dem Zerbröseln der KPI schwache linke Koalition, die den Bürgermeister stellte, hatte die ursprünglichen Grundsätze aus den Augen verloren, glich die Kommunalpolitik ans restliche Italien an und verlor erstmals die Wahlen.
Im selben Jahr sorgte die Zentralregierung dafür, dass die wichtigte Übereinkunft der Bildungs-Minister ebendort, in einem der Bildungszentren des Landes, in einem nunmehr begradigten Umfeld, stattfindet.

Und die Bedeutungs-Umkehr, die bei der Erwähnung des Wortes Bologna mitschwingt, war perfekt.
Die älteren haben noch die Widerständigkeit der Uni im Hinterkopf, für die jungen steht Bologna für die Gleichmacherei, also das eigentliche Gegenteil.

Keine Frage, sowas passiert jeden Tag, meist unabsichtlich. Da derlei aber auch gern instrumentalisiert wird (vor allem NLP-geschulte Populisten, die alte Nazi-Sprüche/Begriffe dann neu positionieren, spielen immer wieder in dieser Sandkiste des Grauens) ist's aber auch nicht gar so schlecht über die Umdeutungen/Veränderungen Bescheid zu wissen.

Denn der Rückzug auf den heute wieder sehr modernen, Offenheit andeuten wollenden "Ich bin so unbefleckt wie ein weißes Blatt-Papier"-Gestus, signalisiert nichts anderes als die Bereitschaft sich (wegen akuten Unwissens) von jedem Bauernfänger jeden Schas aufschwätzen und aufdrängen zu lassen.