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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

13. 5. 2009 - 19:00

Augen zu und durch

Die neue von Maxïmo Park ist okay, aber Sänger Paul Smith ist halt ein bisschen schirch.

Okay, also, "Quicken The Heart", die neue von Maxïmo Park, ist diese Woche rausgekommen. Ich hab vor ein paar Monaten schon ein Rezensionsexemplar bekommen, und find sie inzwischen recht gut.

Maximo Park Cover "Quicken the Heart"

Maximo Park

Das erste Album "A Certain Trigger" hab ich abwechselnd sehr großartig und dann wieder relativ mittelmäßig gefunden - ich glaub, es kommt auf die Stimmung an. Das zweite hab ich mir bis auf die Singles nicht angehört - es gibt so viel zum Anhören da draußen. Was mir an Maxïmo Park immer gut gefallen hat, war, dass jedes Stück so klingt, als ob sie es grad zum ersten Mal spielen, spontan und planlos dahingeschludert, so als ob man Zeuge einer Bandprobe wäre, die jeden Moment abrupt in sich zusammenbrechen könnte. Und die Sachen, die Keyboarder Gitarrist Lukas Wooller macht, find ich auch ganz toll, das ist wirklich das atmosphärisch-desorientierende Quäntchen Extra, das vielen anderen 0815-Gitarrenbands fehlt.

Aber. Aber. Aber.

Da ist die Sache mit Sänger Paul Smith. Er ist einfach nicht mit besonders gutem Aussehen gesegnet. Er hat nicht mehr so viele Haare. Das ist natürlich ein großer Nachteil. Früher hat er so einen comb-over Haarschnitt (dict.leo.org spuckt als Übersetzung dafür "Sardelle" aus, heißt das wirklich so?) getragen, so wie der Baldy Man, das war schwierig, heutzutage bevorzugt er Hüte. So relativ schicke Hüte aus den 30ern. Sehr viel mehr Hässlichkeitsmerkmale fallen mir jetzt auch gar nicht mehr ein.

Paul Smith

http://www.flickr.com/photos/berlinfotos

Es hat wohl auch weniger mit seinem tatsächlichen Aussehen zu tun, sondern damit, dass er sich offensichtlich hässlich fühlt. Wie ein Verlierer. Und das transportiert er dann halt auch. Da ist dieses Element, wenn Menschen, die sich selbst nicht in den Spiegel schauen können, glauben, sie haben sich überwunden. Sie werden unheimlich. So, als ob sie ihr angestammtes Terrain verlassen haben, und irgendwo herumstreunen, wo man sie nicht einordnen kann, und wo sie nicht hingehören. So wie Paul Smith bei einem Maxïmo Park Konzert. Die sind zwar auch recht gut, also, die 3, bei denen ich persönlich war, waren schon okay, obwohl, was kann man schon nach knapp 60 Jahren rocknroll noch über die versteinerten Konventionen des Live-Konzerts sagen, aber jedenfalls, Smiths Augen fangen dann an zu leuchten, beziehungsweise irgendwie ganz hervorzuquellen, so, als ob er irgendeine Hemmschwelle transzendiert hat, und das ist irgendwie beklemmend mit anzuschauen, irgendwie fühlt sich's nicht rchtig an, und man möchte ihm zurufen, dass er's nicht übertreiben soll, weil er sich am Morgen danach wieder klein und hässlich fühlen wird, und das tut er auch, und das weiß er und sagt es auch in Interviews.

Hast Du auch keine Haare mehr am Kopf, du traust dich nicht mehr aus dem Haus und alles ist schrecklich? Dann tu gefälligst was dagegen!

Paul Smith verdankt seiner Band wirklich alles. Ohne sie wär er höchstwahrscheinlich ein Nichts, ein relativ mittelloser Fabriksarbeitersohn aus Newcastle (so behauptet er zumindest selbst), einer Stadt, wo ich mir nicht vorstellen kann, dass es dort jemals wirklich schön ist, egal, was Steve Crilley sagt und wieviele Infrastrukturmaßnahmen da hineingepumpt werden, voll mit schlechtem Wetter und heruntergekommenen Backsteinbauten, die Strandpromenade wahrscheinlich dauerhaft verdreckt mit Industriemüll, ich war zwar noch nie dort, aber so stell ich mir's zumindest vor (mind you - auch nicht so sehr anders wie in meiner Wohnung), wie ein hässlicher Mensch, der immer ein hässlicher Mensch bleiben wird, egal, was er tut. Und da wär es ja eigentlich ein Grund, darauf anzustoßen, auf das Wunder der Pop-Musik, dass so jemand wie Paul Smith durch das Bündeln seiner Talente mit anderen Menschen in einer Band über die Grenzen seiner Existenz hinauswachsen kann, und Musik machen kann, die von relativ vielen Menschen gehört wird, die diese Musik vielleicht nicht hellauf lieben, aber neben den zig anderen Sachen, die sie auch mögen, schon mal gerne ins Plattenregal einreihen, und wo er Konzerte geben kann, bei denen er von der breiten Masse des Publikums zwar nicht angehimmelt wird, aber wo doch recht viele Anwesende anerkennend mitwippen und klatschen. Allein, grad das kann er nicht, anstoßen, Paul Smith, weil er verträgt kein Bier. (Was umso ironischer ist, weil eine Marke einer örtlichen Brauerei eine ihrer Sorten nach der Band genannt hat, so ganz in ehrlicher Bewunderung, was das ganze Conundrum der Existenz von jemandem wie Paul Smith im Pop-Biz sehr schön auf den Punkt bringt.) Und Wein geht schon gar nicht, weil darauf ist er allergisch, da muss er niesen. Da ist natürlich schon mal so ziemlich alles verloren. Wer kein Selbstbewusstsein hat, und noch dazu keine der erschwinglicheren Alkoholsorten zu sich nehmen kann, in der westlichen Welt, wo Alkohol ja eigentlich der Klebstoff für den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhalt vom One-Night-Stand bis zur Firmenfeier ist, der die Gnade dieser einen Chance bietet, mit jemandem, der sich selbst genauso wenig ertragen kann wie man sich selbst, eine Übereinkunft zu erzielen, ja, da kann man Beschwichtigendes sagen was man will, aber dann sieht's ganz, ganz düster aus.

Du bist zu fett, siehst aus wie ein Schwein und weißt, das ist deine letzte Chance? Immer hereinspaziert!

Und es geht noch weiter.

Paul Smith hat keinen Führerschein. Und Maxïmo Park haben das aktuelle Album ausgerechnet in Los Angeles aufgenommen, wo es, glaub ich, so gut wie 0 öffentlichen Verkehr gibt. Da war er dann immer darauf angewiesen, dass seine Bandkollegen ihn irgendwo hin kutschieren. Die sind sich meistens in Bars oder Vergnügungsarks amüsieren gegangen (was der Sänger auch nicht kann, weil er große Höhenangst hat), und er hat sich, wie er sagt, in diversen Bibliotheken absetzen lassen. Auch ein interessante Form der Band-Chemie.

Oh God.

Maximo Park

Maximo Park

Mit all diesem Handicaps im Gepäck hat Paul Smith sich also daran machen müssen, das neue Album zu schreiben, und sich auf den Drahtseilakt einzulassen, die sich fast allen in die oder nach noch mehr Öffentlichkeit drängenden Bands präsentieren, nämlich, glatt, glatter, am glattesten werden, Radio-Hits schreiben (einige der Arena-Konzertbesucher im Februar haben freimütig zugegeben, dass sie einzig und allein wegen "Apply Some Pressure" gekommen sind), ohne die Exzentriker-Credibility zu verspielen, die gerade bei Maxïmo Park, der ersten (aber inzwischen nicht mehr einzigen) Gitarrenband auf dem Warp-Label ja ziemlich ausgeprägt war. Da kann man sich vorstellen, was so durch seinen Kopf gegangen sein muss, die prospektiven Standpauken des Label-Executives, dem jetzt, ob Major oder Indie, egal, ja durchaus zuzutrauen ist, dass er solche Sachen sagt wie: "Ich hör keine Single! Da sind 12 Songs auf dem Album aber keine einzige Single! Du bist hässlich UND schreibst keine Hits!!!" Solche Angstvorstellungen dürften ihm, wie ja so vielen anderen in diesem Business auch, viele schlaflose Nächte bereitet haben.

Sag mal, stinkst du? Du weißt, dass dich niemals jemand wirklich gern haben wird, wenn du so riechst - egal, was deine Mutti dir sagt. Hühopp!

I can't believe

Ich zumindest hör gleich mal bei der ersten Nummer und Vorabauskoppelung "Wraithlike" eine trotzige Defensivhaltung heraus. Paul Smith haut gerne viel und oft waghalsige syntaktische Konstruktionen und prätentiös verwendete Fremdwörter in seine Texte, dass es sogar mir bisweilen zu viel und zu gestelzt wird, und solche Meinungen kriegt er offenbar sehr oft zu hören, und da beginnt das Album gleich mal mit

"Here's a song that finally you can understand
A minor statement meant to counteract the bland
A list of wraithlike things
That quicken the heart

Find some transparent words to give security
Another vacant smile that says 'rely on me'
No wait - commitment's a bore
Where have I heard it before?
", und dann kurz darauf

"Just another song; a faded memory
A raison d'être for the entire family
I don't remember it well
I was in love for a spell"

Also, so wie ich das interpretieren würde: "Ihr könnt mich alle mal, wenn ihr banale, dickflüssige Sirup-Scheiße hören möchtet, hört doch Maroon 5!". Raison d'être. Raison d'être! Mutwilliges Intellektuellen-Französisch! Das kann bei der Beurteilung eines Pop-Albums nach den gängigen Mainstream-Rezensions-Maßstäben, denen zufolge jeder, bei dem die Worte nicht einfach spontan raussprudeln, so als ob er von der höheren Macht des Rock'n'Roll besessen wäre, ein Verräter ist, nur die Höchststrafe bedeuten.

You ain't got no self-respect, you feel like an insect, well don't you worry buddy, cos here he comes.

it's not butter

Der Sound des Albums ist immer noch genauso durch den Wind wie auf "A Certain Trigger", das mag man als verspielt ansehen, aber auch so, als ob die Band mit den Nerven am Ende wäre, und mit dem Mut der Verzweiflung drauflos spielt (wenn man von seiner Plattenfirma nach Los Angeles hinausgeflogen wird, um dort ein Album aufzunehmen, ist das Gefühl der Bring-Schuld, selbst, wenn es laut Paul Smith wegen des günstigen Dollar-Kurses angeblich billiger war, dort zu musizieren als daheim, sicher ungeheuerlich). Manche Hörer werden da vielleicht etwas enttäuscht sein, "weil es keine großen Überraschungen gibt", ich frage mich, ob die selben Menschen auch jeden Tag auf dem Weg in die Arbeit genauso enttäuscht sind, weil der Gehsteig wieder grau ist, der Trafikant übel gelaunt hinter der Budl hervorlugt und das Schinken-Käse-Ciabatta wieder einmal appetitlicher ausgesehen hat, als es eigentlich ist, und weil nicht zumindest jeden Dienstag alles in einer Explosion aus Farben und guter Laune auseianderbirst, ohne, dass man selbst etwas dafür tun müsste.

Manche Songs sind irreführend, was man ihnen hoch anrechnen muss. "The Penultimate Clinch" beginnt mit der düster-spartanischen Bass-Line von Joy Division's "Transmission", und endet ziemlich heiter, glaub ich zumindest, es klingt zumindest so, ich könnt nicht genau sagen, worum's da eigentlich geht.

Maximo Park

Max

"Under Cloud Of Mystery" ist sehr gut, und kommt fast wie eine Mischung aus einer Frank Farian-Disco-Produktion und einer Quizvorspannmelodie. Textlich geht es offenbar um jemanden, der sich selbst extrem fad vorkommt, und irgendeinen Deus Ex Machina bekniet, er möge ihn pünktlich zu seiner Verabrdeung mit einer unwiderstehlich enigmatischen Aura ausstatten, weil er bei seiner Angebeteten sonst wohl kaum eine Chance hat: "I threw myself into your world, only to come up short".

"In Another World" und "Roller Disco Dreams" mag ich auch, was mich aber ein bisschen stört ist, dass Smith da textlich etwas macht, was er des öfteren macht, nämlich irgendjemand irgendwelche Vorhaltungen zu machen. Meistens, so wie hier, handelt es sich dabei seinen eigenen Angaben zu Folge um eine halb-erfundene, halb-reale weibliche Ansprechperson, ein Mädchen, das er irgendwann mal getroffen hat, oder die sowieso eigentlich stellvertretend für ihn selbst steht; jedenfalls kommt das so oder so unsympathisch altklug rüber, wie Humbert Humbert, der seiner Lolita irgendwas über's Leben erzählen möchte, obwohl eigentlich er es ist, der sich bei all seiner Lebenserfahrung vor Verzweiflung verzehrt.

Oh well

Noch unnötiger, auch, wenn's als Pop-Song gut funktioniert, ist die neue Single "The Kids Are Sick Again", wo Smith die selbe Pose einnimmt wie Tausende sich unverstanden fühlende Kulturschaffende vor ihm, und die Tatsache, dass er sich dem gängigen Zeitgeist (an welcher Autobahnraststätte der sich auch gerade einreiben möge) nicht zugehörig fühlt, damit erklärt, die Jugend sei seicht, und von der inflationären, sie immer unumgänglich bombardierenden Werbung komplett desensibilisiert. Wobei es, seien wir uns doch ehrlich, in den ersten 50 Jahren des letzten Jahrhunderts, als das Straßenbild von ehern dreinblickenden jungen Menschen, nach deren standesbewusst stolzen Vorbild sich Smith zuweilen gerne kleidet, und den von ihnen veranstalteten Duellen und Schießereien dominiert wurde, auch nicht so leiwand gewesen sein konnte.

"Quicken The Heart" gibt es übrigens in der Deluxe-Fassung mit Extra-DVD, der Super-Deluxe-Version mit Bilderbuch, und der Mega-Super-Deluxe-Edition mit allen Extras plus einer goldenen Leberkäsesemmel.

"Let's Get Clinical" ist ein Sex-Song, offenbar eine Hommage an das ähnlich betitelte Stück von Olivia Newton-John.

Jetzt aber

Ja. Gutes Album aber insgesamt. Dennoch: Paul Smith und Sex-Appeal werden niemals ein Begriffspaar bilden. Vielleicht ist das aber auch der Sinn der Sache. Hier noch ein paar hässliche Menschen im Pop, die machen können, was sie wollen (chirurgische Expermiente wie Michael Jackson ausgenommen - der war ja wirklich einmal fesch):

Marilyn Manson. Schon mal ungeschminkt gesehen? Er wohl auch. Da kann mir niemand erzählen, dass der sich sowieso als Anwalt der Schirchen versteht, wenn er sich Jahr für Jahr mit noch umfangreicheren Gesichtspartituren zupflastert, und Evan Rachel Wood vor den Kameras paradieren geht.

Phil Collins. Okay, das ist eine offensichtliche Wahl, aber er ist bereits in seiner 5. Ehe. 5!!!!

Ricky Wilson/Kaiser Chiefs. Wie Malcolm McDowell nach einem bedauernswerten Unfall in ner Marmeladefabrik.

Ozzy Osbourne. Hat der Fledermaus sicher nur aus Neid den Kopf anbgebissen.

Lloyd Cole. Wie Andrea Bocelli, aber ohne die Ausrede, anstelle des wildwuchernden Gesichtshaars und der übrigen ungepflegten Erscheinung nur Schwarz sehen zu können.

Die Madden-Brüder von Good Charlotte. Wie die kleinen untersetzten Brüder von irgendwelchen Prater-Rowdies.

Ben Gibbard/Death Cab For Cutie. Weniger verführerisch als die Konstruktivismus-Enzyklopädie, die er zweifelsfrei jeden Moment mit sich im Rucksack führt.

Mick Hucknall. Hat früher ausgesehen wie ein irrlichternder, lüsterner Geist, dem man in seinen schlimmsten Albtraum nie begegnen möchte. Heute einfach nur noch gelangweilt und frustriert.

Shaun Ryder. Haben Drogen eben wohl auch nur in seiner eigenen Vorstellung hübscher gemacht.

Frank Black. Kolossaler Gänsehautfaktor, aber möchtest du ihn mal anfassen?

Scarlett Johansson. Urgh.

Natürlich aber für immer am unwiderruflich Hässlichsten von allen: Johnny Borrell.