Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Song zum Sonntag: Das Bierbeben"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

10. 5. 2009 - 09:25

Der Song zum Sonntag: Das Bierbeben

Endzeit und Wachsein: "Nihilit"

Man kann von einer Art Supergroup sprechen: Das Bierbeben ist das Produkt von Hamburger GroßfreundInnen: des Tocotronic Bassisten Jan Müller, des Pianisten und Beatmachers Thies Mynther (die Regierung, Superpunk, Stella, Phantom/ Ghost, gefühlt neben Erobique der fleißigste Klavierspieler Deutschlands), des Drummers und Schriftstellers Rasmus Engler (Gary, Herrenmagazin), des Schrottgrenze und Station 17 - Gitarristen Alexander Tsitsigias, sowie der Sängerin Julia Wilton (Ex-Pop Tarts). Mynther stieg 2008 aus, um sich vermehrt dem Nebenprojekt von Dirk von Lowtzow, Phantom/ Ghost zu widmen.

Bierbe

Ursprünglich, so die Bandlegende, hat sich das Bierbeben gegründet, um alte, obskure deutsche Punksingles (etwa EA80 oder Xmal Deutschland) zu covern. Dieser ethnologischen Ursprungsidee entsprechen auf ihrem neuen Album zwei Songs. "Hochzeit", ein Cover des 68er Barden Franz Josef Degenhardt, den wiederzuentdecken die Hamburger Szene schon seit Jahren versucht, und "Nihilit", das sie nach einer absurden, wissenschaftskritischen Kurzgschichte des vergessenen deutschen Essayisten Kurt Kusenberg benannt haben, der in seinen sehr kurzen Essays so unterschiedliche Interessen wie Buddelschiffe, Wein, Minmalismus und Unsinn verfolgte.

Nihilit ist eine von Kusenberg erdachte Substanz, die keine verläßlichen Eigenschaften hat, die nur deshalb erfunden wurde, um eine andere Erfindung zu rechtfertigen.

Bierbeben

Nihilit

Der Song Zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der "Presse am Sonntag" und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.
Die Presse

Mehr als den Namen scheint das Lied Nihilit mit dieser Geschichte nicht gemein zu haben. Nihilit von Bierbeben ist eine Beschwörung in der Tradition der Untergangsvisionen, der Apokalypsen. Deren Hauptmetapher in der Popmusik, auch im Einfluss vom Reggae und dessen Wühlens in der Bibel, ist das Armageddon, die "letzte Schlacht", die Abrechnung. Darüber gibt es etliche Songs, dieser hier ist keiner davon, hier kämpft niemand, in Bierbebens Ende sehen wir Todfeinde vereint. Fast ebenso populär ist die Endzeitvison der Umweltkatastrophe, der "letzten Schlacht" der Natur gegen die "Zivilisation". Auch das ist hier nicht wirklich der Fall.

Es ist mehr eine Art Zufall: Ein Stern, der auf uns zurast, die Flut und die Kälte und Dunkelheit, als er wieder weg ist - und dann wird in diesem Endzeitlichen Zusammenhang in Zustand beschworen, der sonst dazu da ist, den Hedonismus und das Leben selbst zu feiern: "Wir schlafen nie mehr ein". "Die Tage werden Nacht". Alles bebt zum dumpf klingenden Ton. Das Ende wird beschrieben als die ultimative Party Die Worte der Mittelklasse-Partypropaganda drehen sich angesichts des Endes zur negativen Vision um. Und am Ende des Songs erklingt dazu der Gong der Tagesschau.