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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 5. 2009 - 22:13

Journal '09: 8.5.

Generation unkritisch. Generation hilflos?

Kürzlich geschah folgendes in einem U-Bahn-Lift:
ein Vater mit Kinderwagen und schon recht großem, sprachfähigem Sohn steigen ein.
Sohn hat eine Mütze auf.
Vater: "Geh, Sebastian, magst das Kapperl nicht runtertun?"
Sohn: blickt Vater mehr als fragend an, weil er ja kein Kapperl aufhat, sondern ein Mützerl.
Vater: "Sebastian, magst das Kapperl nicht runtertun?"
Sohn: schaut verwirrt, entdeckt dann etwas und sagt "Auto!".
Vater: "Nein, Sebastian, das ist kein Auto, das ist eine U-Bahn. Magst nicht das Kapperl runtertun?"
Kind. "Auto!"
Die beiden steigen aus.

Der eine hält den anderen für einen Trottel, weil er ein Kapperl nicht von einer Mütze unterscheiden kann. Der andere den einen, weil dem wurscht ist welche Art Fortbewegungsmittel er da benennt.
Die beiden reden miteinander in etwa so wie die alten mit den jungen Journalisten.

Heute nachmittag (man will ja niemandem den Abend anpatzen...) fand eine durchaus bemerkensmerke Podiums-Diskussion statt.
Bemerkenswert, weil es eine Basis-Initiative ist.
Unter dem Titel „Generation unkritisch- Jungjournalisten ohne Mut und Prinzipien?“ wollte die Studenten-Vertretung des Studienganges Journalismus der Fachhochschule Wien ein Ausrufezeichen setzen. „Wir wollen, dass die Diskussion rund um die Kritiklosigkeit junger Journalisten nicht an uns vorbei, sondern mit uns geführt wird“, sagt der Studiengangssprecher.

Auslöser waren diverse kritische anmerkungen, vor allem ein Gespräch, das Alfred Dorder in einem Kulturmontag (im Jänner) mit Anneliese Rohrer führte. Rohrer, Ex-Presse und -Kurier/Datum-Kommentatorin, hat da deutliche Worte gefunden, und die jungen Auszubildenden als unkritisch und unwiderständisch bezeichnet. Rohrer ist auch eine der zentralen Dozentinnen dieses FH-Studiengangs. Was die ganze Sache zu einer rein internen Geschichte machen würde.

Wenn da nicht auch außerhalb der FH anstrengende Leute wie ich oder Datum-Herausgeber Klaus Stimeder wären, denen nach jahrelanger Verteidigung die zunehmende Teilnahmslosigkeit der Jungen auffällt, dann wäre die Diskussion vielleicht gar nicht passiert. So aber erkannten auch die in einen verschulten prozeß hineingeworfenen Studenten, dass es sich um mehr als nur ein internes Sandkasten-Problem handelt.

Um da alle kurz ins Boot zu holen:

1)

Unkritische Jungjournalisten ohne Mut und Pinzipien - woher sollen sie's auch nehmen?
Die Prinzipien, die lebt ihnen keiner vor- kaum jemand im Mainstream-Journalismus zeigt was; die Armin Wolfs sind an einer Hand abzuzählen.
Es wird auch nicht gelehrt. Die FH-Ausbildung zielt drauf ab, braved Copy-Paste-Zeilenfüller für Printmedien auszubilden, mehr ist nicht.
Mut kriegt man nicht in der Ausbildung, sondern im Leben, im Elterhaus, Schule, Peer-Group. Und im untertanengeist-getränkten Österreich sieht es da überall durchgehend schlecht aus.

2)

Wenn sie's zufällig haben, durch die Gnade dieser Herzensbildung, die Courage und die Prinzipien - wie tough muß man sein um nicht aufzugeben, in einer von machtpolitisch zerfressenen Medienlandschaft, in der sowas eher hinderlich ist?
Sehr.
Es geht in dieser Diskussion sowieso nur um eine qualifizierte Minderheit der Goscherten. Die große Mehrheit der Journalisten, auch der Jungen und der in Ausbildung repräsentiert die große Mehrheit der Österreicher, sind ebenso desinteressiert und unkritisch.

3)

Warum wars früher besser?
War's nicht, es war leichter den Feind zu orten, weil das System verknöcherter war. Jede Nischeneroberung war ein klar sichtbarer Sieg,
Durch die Diversifizierung der Interessen und der Medien ist diese Sichtbarkeit geringer geworden.

Zudem versitzen heute überall Versteher (die Babyboomer) die Plätze. Die sind (nach eigenem Dafürhalten) "eh selber noch jung", kennen die Tricks der Jugendkulturen und erwarten vom Nachwuchs clever gekontert zu werden.

Und werden da brachial enttäuscht; weil der Nachwuchs sich diesbezüglich (Einsatz auf dem Terrain der Versitzer) verweigert.

4)

Die Jungen tun viel zuwenig um aufzufallen.
Keiner setzt sich in Szene, obwohl alle wissen, dass es genau sowas brauchen würde um sich durchzusetzen.
Man verzichtet darauf seine ureigenen Kenntnisse im Bereich der digitalen Medien einzusetzen, und läßt sich weiter zum künftigen Zweispalter-Schreiber in der Tageszeitung ausbilden, 40 Wochenstunden lang.

Die von österreichischen Jungjournalisten geführten Blogs sind in ihrer Mehrzahl eine Parodie, formal öd, inhaltlich leer, Nacherzählungen und kindliches Nachplappern statt Zusammenführung verschiedener Gedanken oder gar der Entwicklung von Spezialistentum oder Investigatives.
Sie fabrizieren keinerlei Medien-Aktionismus, obwohl sich das jeden Tag anbieten würde.

Es gibt auf der FH nicht einmal sowas wie ein Heftchen oder eine Plattform, in der die Studis sich selber die Möglichkeit schaffen, Gehör zu finden, einander quasi gegenseitig Feedback und Anerkennung geben können. Jede Schule hat eine Schülerzeitung oder eine site - ein Medienausbilder, dessen Ausbildende kein Medium produzieren, ist nichts als ein schlechter Witz.

Keine Eigeninitiativen, keine billig produzierten Blättchen, Seiten, Youtube-Videos, Podcasts zu Themen, die unterrepräsentiert sind und unter den Nägeln brennen.´
Nichts.

Weil gar nichts brennt.

Warum?

A)

Falsche Ausbildungsstandards, sowohl auf der Uni, als auch bei der FH. Man konzentriert sich immer noch auf Print. Das ist so als würde man im Zeitalter der Dampfmaschinen Pony-Reiter ausbilden und die Technik sowie das Handling der Zukunfts-Technologie zu vernachlässigen, weil das ein paar Altnasen zu sehr stinkt. Da überholt man sich selber auf dem weg in die Vergangenheit

B)

Verschulte Studien normieren Neugierige zu Faden. Wer das Ziel des "Fertigwerdens" über das "Experimentieren" stellt, hat schon verloren; erst das macht uns zum Menschen.
Alles andere garantiert nur die Ausbildung von Mitläufern.

C)

Ein seltsames Sicherheitsdenken hat Einzug gehalten. Es geht den Auszubildenden jetzt schon drum ihr Leben zu planen, Anstellungen anzustreben und sich in 40 Arbeitsstunden einzumauern (über die für viele nichts hinausgehen darf). Das (samt politischer Rückendeckung) reicht um ein Mückerl zu werden, um ein guter Journalist, ein guter Reporter, ein guter Beobachter, ein guter Schreiber, Redner, Akteur zu werden, reicht das nicht. Den Begriff "kritisch" erwähn ich in diesem Zusammenhang gar nicht.

Lustigerweise würde diese Sicherheits-Einstellung der heutigen Generation perfekt in die heile Welt der versteinerten Medien-Strukturen, wie ich sie in den 70ern und 80ern noch erlebt habe passen. Die Nomenklatura der Presse zb (der damals auch die hart auf Linie getrimmte Frau Rohrer, die ihre heute angestimmte Saite erst nach ihrer Entmachtung durch die die Wende-Regierung unterstützende konservative Medien-Macht, spielt) wäre begeistert.
Leider hatte sie es damals mit einer No Future-Postpunk-Generation zu tun, die keine Angst vor der Zukunft hatte, und keine Sicherheits-Konzepte für die Pension brauchte.

Hier läuft also eine gesellschaftliche Entwicklung diametral zu den Notwendigkeiten eines Berufsstands. Denn gerade in einer Zeit zunehmenden Outsourcing des eigenständigen Denkens an populistische Verschlagzeiler, wäre das, was eine Studentin wunderbar als "zudringlichen Journalismus" bezeichnete, überlebensnotwendig.

Die Diskussion

blieb dann erschreckend nieder im FH-Universum hängen, auch weil sich Rohrer und Absolvent Stefan Apfl (ein hervorragender Anstrengender, ein Dauer-Nachfrager und Quäler, ein echter kritischer Journalist eben) in einem Kleinkrieg verloren. Außerdem blieben die Wortmeldungen der Betroffenen, der Einberufer dieser Debatte mehr oder weniger aus, es meldeten sich dann eher Gäste oder Ältere. Bei den wenigen Anmerkungen dominierte die Grundfrage "Was sollen wir denn machen?".

Unbeantwortbar. Oder vielleicht so: wer keine eigenständige Idee hat, konnte früher Parteijournalist werden oder sich jetzt als PR/Lohnschreiber am Boulevard verdingen, und vielleicht eine politische Karriere erreichen.
Ein echter Journalist kann er keiner werden.

Die höfliche Generation verabschiedete das Podium mit Bonbons (sehr gut, danke!). Auf der Website dieser Veranstaltung sagt die Zahl neben "Kommentare" weiterhin: 0. Besser könnte man das eigene Driften zwischen Weltfremdheit und Wurschtigkeit nicht bestätigen.

Vielleicht sollte man aus dem "Unkritisch" ein "Hilflos" machen.