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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

14. 5. 2009 - 15:34

Für mich ist der Balaton die Riviera!

'Das Meer der Ungarn' ist nicht einmal drei Meter tief, blickt aber auf eine geschichtsträchtige Urlaubsvergangenheit zurück.

Auf meinem Plattenteller liegt gerade ein wirklich tolles Lied: 'Nekem a Balaton' von der ungarischen Band Amorf Ördögök, eine Band der 90er und 2000er Jahre. Der Song stammt ursprünglich von Felföldi Anikó und Németh Lehel, zwei anscheinend äußerst beliebten, ungarischen MusikerInnen der 50er & 60er Jahre und ist ein unterhaltsames Gegenstück zum Itsy-Bitsy-Teenie-Weenie-wir-wissen-schon. Übersetzt heißt der Titel soviel wie 'Für mich ist der Balaton die Riviera'. Der Plattensee war auch so etwas wie 'meine Riviera'.

Balaton

radio FM4 - Alexandra Augustin

Der Balaton anno 1986

In den 80er Jahren habe ich etliche Sommer dort verbracht, am sogenannten 'Meer der Ungarn'. Und nicht nur ich, der Balaton war zwischen 1961 und 1989 eines der beliebtesten Reiseziele im Ostblock.

Spurensuche

1989-2009
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Ich bin keine Ungarin, ich spreche kein Ungarisch. Aber das war in den Urlauben am Plattensee auch nicht nötig.

Alleine war ich dort nie. Jedes Jahr fand ich schnell neue Freunde, die meine Sprache sprachen. Die meisten kamen aber nicht aus Österreich, sondern aus Deutschland. BRD und DDR besser gesagt. Wieso ein Land in dem alle dieselbe Sprache sprechen durch eine Mauer und Stacheldraht geteilt ist, wieso die Ulrike und die Anja trotz des selben Akzents und gleicher Heimatstadt betonten, nicht im selben Land zu leben, kapierte ich nicht. Und dass der eiserne Vorhang nicht wirklich ein riesiger Vorhang war, hinter dem sich böse Menschen versteckten, sondern vor allem ein ideologisch und politisch unüberwindbares Machtkonstrukt, verstand ich schon gar nicht.

Ich erinnere mich noch an das riesige Hotel, eine plattenbauähnliche Bettenhochburg, in dem wir wohnten. An die zahlreichen Plattenbaufestungen daneben, in denen Massen an Menschen zwei Monate lang lebten und die am Ufer in der Sonne wie Sardinen nebeneinander grillten. Und an die lustig anders aussehenden Autos vor der Türe. Trabis, klärte mich mein Onkel auf, selbst ein stolzer Mercedes-Besitzer. Und so sah es auf sämtlichen Parkplätzen rund um den See aus: Bunte Fleckerlteppiche aus abgefahrenen Ostblockbüchsen neben hochpolierten, teuren Karosserien. Westen und Osten, brav nebeneinander ruhend.

Hotel Europa

alexandra augustin

Ein Überbleibsel aus alten Zeiten: Die renovierte 60er Jahre Hotelburg erinnert durch seinen Namen an eine damals noch weit entfernte Utopie: Ein gemeinsames Europa.

Deutsche Einheit am Balaton

Etwa 2 Millionen belegte Gästebetten verzeichnen wir jedes Jahr am Balaton. Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs waren es etwa dreimal so viele. Nicht einberechnet diejenigen, die in Privathäusern und in Privatzimmern gewohnt haben, erzählt Balázs Kovács vom ungarischen Tourismusamt.

Für die Menschen aus den Weindörfern rund um den See war der Tourismus ein lohnendes Zubrot: Sie vermieteten ihre Häuser, Zimmer und Dachkammern, an jedem zweiten Haus hing die obligatorische rote Fahne mit den Worten 'Zimmer Frei' eingestickt. Daraus ist ersichtlich, wer die Hauptbesucher am Balaton waren: Neben ungarischen Bürgern, die 40 Jahre lang nicht ins westliche (und auch nicht ins östliche) Ausland reisen konnten ohne aufwendige Ausreisegenehmigungen zu beantragen, waren es Deutsche aus West und Ost. Der Plattensee war ein Ort an dem nämlich das möglich war, das erst 1989 in die Realität umgesetzt wurde: Die Deutsche Einheit.

alte Urlaubssbilder vom Balaton

alexandra augustin

1961 - 1989 am Plattensee

Vierzig Jahre lang war der Balaton ein beliebtes Ziel zum Plantschen und Familie und Freunde aus Ost und West zu treffen. Das alles änderte sich durch die politischen Vorgänge 1989. Ungarn war das erste Land das seine Grenzen zum Westen öffnete.

Ungarische Flagge

alexandra augustin

Am 27. Juni 1989 durchtrennten der damalige ungarische Außenminister Gyula Horn und der österreichische Außenminister Alois Mock symbolisch den Stacheldrahtzaun an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich. Hoffnungen wurden bei DDR Bürgern geschürt, im selben Sommer sammelten sich geschätzte 150.000 DDR-Bürger in Budapest und rund um den Balaton. Nicht mehr nur zum Baden, sondern vor allem als Zwischenstation, um über Österreich nach Westdeutschland zu flüchten. Ungarn war mit der größten Flüchtlingswelle konfrontiert, die das Land je erlebt hat. Aber erst am 11. September 1989 öffneten sich in Folge des Paneuropäischen Picknicks die Tore zum Westen endgültig.

Die neu gewonnene Reisefreiheit, die die Wende mit sich brachte, läutete aber gleichzeitig den Niedergang des Balatons als Familienurlaubsort ein. Ex-BRD Bürger und Ex-DDR Bürger hatten es schließlich nicht mehr notwendig, den Balaton zur Familienzusammenführung zu nutzen. Der Balaton als Hauptreiseziel geriet in Vergessenheit.

Der Balaton heute

alexandra augustin

Der Balaton heute

Wie sieht es nun dort aus? Vor ein paar Tagen war ich das erste Mal seit knapp zwei Jahrzehnten wieder dort.

Leichter Wind zieht über Uferpromenade, das Schilf wiegt sich. Ein paar Familien sonnen sich am Ufer des Plattensee. Nichts Ungewöhnliches, aber vieles hat sich hier verändert. Keine Spur mehr von Ostblockcharme alter Tage.

Bei meiner Ankunft in Siófok, einem beliebtes Ziel am Balaton, ist alles anders als noch vor 20 Jahren, überall Werbetafeln. C&A, DM, Rossmann, Spar, Deichmann, Plakatwände wollen mich gar in Ungarns größte Diskothek mit wilden Schaumpartys locken. Müll und Fast Food-Reste zieren den Boden neben prall gefüllten Mistkübeln an der Uferpromenade, die auf ein besucherreiches Wochenende schließen lassen.

mann repariert spieleautomaten

alexandra augustin

Designergeschäfte neben Dönerbuden und allerhand Restaurants nahtlos neben Karaokebars. Gerade werden noch die letzten Verkaufsbuden zusammengeschraubt, ein Herr frisiert die Autorennspielautomaten seiner Spielhalle auf, um für den Besucherschwall bereit zu sein, der in den nächsten Wochen hier eintreffen wird. Freilich keine Ossis und Wessis mehr, sondern partywütige Maturaklassen und andere junge Erwachsene, die hier dann die Nacht zum Tag machen werden. Denn Siófok gilt als der Ballermann am Balaton, wird mir erzählt.

Im Sommer wächst das sonst idyllische 25.000 Einwohner-Dorf auf gute 100.000 Menschen an. Genauso wie auch das benachbarte Zamárdi. Seit 2007 wird dort am Balaton das Balaton Sound Fesztivál gefeiert. Neben dem Sziget in Budapest und dem Volt Fesztivál in Sopron eines der größten in Ungarn und in den vergangenen Jahren mit etwa 250.000 Besuchern ein Riesenspektakel. Bestimmt auch heuer, wenn Moby, Kraftwerk und Sven Väth dabei sein werden. Wer es ruhiger mag fährt auf das nördliche Seeufer auf die Halbinsel Tihany zum Sightseeing um die Klöster, Museen anderen Kulturdenkmäler anzusehen oder düst nach Balatonfüred, in einen der zahlreichen Wellnesstempel und Mehrsternhotels oder macht eine exklusive Weintour durch die Puszta.

Partytourismus und Schlammpackungen statt folkloristische Gulasch-Parties sind nun das Motto.

Nur manchmal blitzen kleine Details aus alten Zeit hervor, zum Beispiel als ich beim Weg zurück zum Bahnhof auf den liebevoll selbstrestaurierten kleinen Polski Fiat treffe. Es hat sich viel verändert hier.

Trabi

alexandra augustin

Szia!

Zu diesem Thema gibt es aktuell auch eine Ausstellung im ungarischen Kulturinstitut in Berlin.