Erstellt am: 7. 5. 2009 - 18:45 Uhr
Journal '09: 7.5.
They're gonna hate me for this one...
Ich hab's auf verschiedene Arten probiert.
Zuerst mit Vorfreude - nach den emphatischen Rezensionen der üblichen verdächtigen Dylanologen.
Dann mit Bedacht - nach einem kleinen Rückgriff auf das Blues-Universum, in dem er sich gerade bewegt.
Und dann noch einmal spontan, einfach so zwischendurch, ganz ohne Vorbelastung.
Hat alles nichts genützt.
Die neue Dylan-Platte, ein wohl nur noch auf CD veröffentlichtes Album mit dem mehr anbiedernden als ironischen Titel "Together Through Life", ist schlicht und ergreifend schlecht. Mist. Überflüssig
Das allerdings - und dies ist in einer Zeit in der die allermeiste ausgelieferte Musik schlecht und erstaunlich viel sehr überflüssig ist - auf durchaus gutem Niveau. Also immer halbwegs würdig, nie ultrapeinlich.
Bloß: für jemanden wie Bob Dylan, der die populäre Musik eigenhändig revolutioniert hat, ist das deutlich zu wenig.
ER weiß es - die Dylanologen nicht
ER weiß es im übrigen auch selber.
In einem langen und gutem Interview auf seiner eigenen Wesbite nickt er den fast erschreckten Ausruf des Interviewers ("Bob, you're stuck in the 80s!") mit einem "Yeah, I know. I'm trying to break free." ab. Völlig unironisch.
Die Dylanologen wissen es nicht. Sie verschließen alles was sie haben, um es nicht wissen zu müssen. Sie mühen sich in stets neuen Ausflüchten, die die hundsmiserablen Schreckenswerke aus den 80ern und 90ern rechtfertigen. Sie jubeln jede halbwegs passable Platte, jeden irgendwie okayen Song zu einem neuen Meilenstein hoch.
Intelligente Menschen, die ich sehr schätze, auf deren Urteil meist Verlaß ist, die "kritisch denken" auf der Unterlippe tätowiert haben, schaffen es in diesem speziellen Fall einem Selbstbetrug aufzusitzen, den sie in jedem Krimi anhand der Reaktion ahnungsloser Eltern angesichts der ihren Kindern zur Last gelegten Schlingeligkeiten schulbeispielmäßig serviert bekommen.
Der Mann ist künstlerisch ausgelaugt und abgenutzt. Bob Dylan hat seit 1978 kein einziges Stück Musik, das an seine 60er und 70er-Meisterwerke auch nur annähernd anschließen kann, mehr geschrieben. Nein, "Blind Willie McTell" und die anderen hier gern in der Argumentations-Not hervorgeholten B-Klasse-Songs sind weitaus zu medioker, um in irgendeinem ernsthaften Kanon eine Rolle zu spielen.
Not a Bluesman
Das was Dylan (vielleicht) gern wäre, die Rolle, in die ihn seine Anbeter, die Dylanologen und alle anderen Apologeten, gern sehen würden, die Rolle des Elder Statesman of Music, des weltläufigen Blues-Meisters, die schafft er nicht.
Das ist er nicht.
Dylan hat nichts, was einen Robert Johnson oder einen Muddy Waters ausmacht. Dylan argumentiert seine Songs nicht aus dem Bauch heraus, er versucht es, indem er seit Jahren bewußt simple Strukturen anwendet - und scheitert daran. Seine entsprechenden Äußerungen der letzten Jahre sind dünn, da nützt sein volksmusikalisches Wissen genau gar nix.
Die rohe Kraft der Verzweiflung, mit der der junge Dylan auf seinem allerersten Album Bukka White und Blind Lemon Jefferson covert, die bringt das alte zappelige Schattengewächs, das seit den 80ern als Bob Dylan fungiert, lange nicht mehr auf.
Der aktuelle dylan verschreibt sich einem sehr winseligen, hochtönenden Altherren-Blues, einer sehr weißen Angelegenheit.
Und die mit ihm gealterten Dylanologen sind da mit dabei. Logisch, wenn man sich und die Irrwege seines Idols niemals hinterfragt, sondern in einer (von Dylan garantiert unintendierten) einfach gestrickten White Supremacy-Welt des letzten Jahrtausends hängenbleibt ("you're stuck!"), dann kann man nicht anders.
Dylan selber weiß es zumindest - und versucht freizukommen.
Die Schönfärber, die auch sein neues, wieder erbarmunsgwürdig mittelmäßiges Album, das genauso überflüssig ist wie alle anderen seiner letzten 15 Studio-Alben, in definitionsmächtigen Preisungen in allen wichtigen Medien, ausloben, tun das nicht. Sie wollen es gar nicht.
Freie Sicht auf die Realitäten ist das ihre nicht.
Die müßten sich mit einer neuen, völlig veränderten welt auseinandersetzen - und dazu glauben sie sich (frei von Anleitungen durch ihren Meister) außerstande.
Die alten Scheißer stellen den jungen Dylan zu
Nun könnte man meinen, cut the crap, wen interessiert eine offensichtlich irrsinnige Horde von Weißhaarigen, die ernsthaft jedes Jahr den Literatur-Nobelpreis für ihren Bob fordern.
Da diese puristischen True Believers, die für ihre Kirche morden würden wie alle Fundamentlisten, den Dylan der letzten 20 Jahre, den faden, überwuzelten, uninteressanten Schöpfer von Song-Mittelmaß derart überkanonisiert haben, verstellen sie einem Teil der musikalisch Nachrückenden den Blick auf den wirklich wichtigen Dylan, den von 1960 - 78, den Revoultionär und Wändeeinreißer.
Wer einmal mit Desaströsem wie Time out of Mind oder Oh Mercy gequält wurde, der ist für die Segnungen von Highway 61 oder Planet Waves verloren.
Wie so oft versagt die Lehrer-Generation, indem sie das Akterswerk, in dem sie sich zu spiegeln glaubt, über das für alle Zeiten für alle jungen wesentliche rebellische Potential stellt.
Das geht über 68er-Kids wie den armen Boris Jordan, der schon von seinen Hippie-Eltern verdorben wurde, weit hinaus.
Leute wie Todd Haynes, der in I'm not there genau diese Zeit portraitiert, arbeiten heftig dagegen - das ist aber nicht genug. All die von sehnsüchtig auf die Erlösung durch den Heiland Dylan Wartenden hochgepushten Belanglosigkeiten verstellen den Blick aufs wirklich Interessante, auf das, was sonst nur wie bei Velvet Underground Einfluß aufs Fortkommen der gesamten populären Musik nahm.
Seine Interviews sind längst besser als seine Musik
Dabei gibt es einiges, worin der alte Meister sein altes Können aufblitzen läßt: in so ziemlich allem, was eben nicht mit Musik-produktion zu tun hat.
Dylans Radio-Show, in der er sich sehr gezielt und konzentriert mit meist alter Musik auseinandersetzt, ist ein fesselndes Beispiel von moderner Erzählkunst, eine große Varinate von urban Blues, oral culture.
Dylans Texte und Bücher, vor allem die Chronicles, sind packend und vergleichsweise wenig wichtigtuerisch erzählt, reißen damaliges und heutiges mehr als nur an und sind echte Reinzieher in eine der speziellsten Biografien des 20. Jahrhunderts.
Und dylans Interviews sind längst besser als seine Alben, merkte der Guardian anläßlich der neuen Veröffentlichung und des bereits erwähnten Interviews sehr richtig an.
Dylan selber hat den Umstieg auf andere Medien, die Konvergenz, längst geschafft.
Er ist durchaus dabei freizukommen.
Es sind die Hardcore-Fans, die ihn an seinem überkommen-verstaubtem alten Arbeitsplatz, der Songschmiederei festzurren und dort Seligmachendes erwarten.
Das sie so nie bekommen werden.
Der große musikalische Befreiungsschlag wird Dylan nie mehr gelingen - auch weil er selber gar nicht mehr will.
Duldsam fügt er sich (noch) dem Willen der Fundamentalisten, der Webermen out there.
Das, also weiter die mäßigen durchschnittlichen Songs, die er so vor sich hin komponiert, aufzunehmen und zu veröffentlichen, das ist sein einziger Fehler.
Da ist die Blindfleckerei der Dylanologen das wesentlich schlimmere Verbrechen. Ihnen haben wir Schwachheiten wie Together Through Life und verbogene Blödheiten wie die weltweiten Rezensions-Rechtfertigungen dazu (die von den vielen Nichtswissenden copypastemäßig multipliziert werden).
Der tatsächlich relevanten Dylan-Rezeption, dem steten Wiederentdecken des radikalen Wort&Song-Werks dieses bösartigen, hyperrenitenten Widerständlers durch jede neue Generation tut derlei Zierleisten-Quatsch jedoch nichts Gutes.
Im Gegenteil - der verhindert eine nötig Auseiandersetzung.
Deshalb tut der bösartige, radikal-renitente Blick auf den aktuellen Dylan auch derart not.