Erstellt am: 7. 5. 2009 - 12:31 Uhr
Batteriebetriebene Lebensmüh!?
Catchy Spitznamen für Verbrecher: Dem Mann, dem elf Banküberfälle zwischen 1999 und 2001 in und um Chicago nachgewiesen werden konnten, gaben FBI, Polizei und Öffentlichkeit den Namen "Choir Boy Bandit". Der Mann überreichte dem Kassenpersonal stets höflich einen Zettel, der es über den Tatverhalt des Banküberfalls informieren sollte, um danach mit gesenktem Haupt und vor der Brust gefalteten Händen auf die Übergabe des Beutegeldes zu warten.

Hannah Persson
Owen Ashworth beschreibt in seinen Stücken gerne Figuren mit wie von einem zitternden Trinker ausgegossenen Lebensläufen, erzählt Geschichtchen, berichtet aus merkwürdigen Perspektiven. Der real existierende "Choir Boy Bandit", der heißt bei Ashworth "Choir Boy Robber", Ashworth hat ihm ein ganzes Lied gewidmet. "Tom Justice, The Choir Boy Robber, Apprehended at Ace Hardware in Libertyville, IL" hat er das Lied genannt, es ist nach einem Intro das erste Stück auf "Vs. Children", dem neuen, fünften Album seines Projekts Casiotone For The Painfully Alone.
"Vs. Children" von Casiotone For The Painfully Alone ist bei Tomlab/Trost erschienen.
Der Song über den Räuber macht mit seinem frohlockenden Pianolauf, dem sauber ausproduzierten Sound und gar einer Art richtig gut eingespieltem Orgelsolo gleich wieder klar, dass der einst so schmerzlich passende Projektname "Casiotone For The Painfully Alone" heute nicht mehr so ganz gilt: Nachdem der aus San Francisco stammende Schlafzimmerbastler Ashworth drei Alben und unzählige Singles voller fiepsender und scheppernder Songminiaturen, die auf wenig mehr als Casio-Presets und Schmerzensmelodien über Love, Life und Coming of Age basierten, veröffentlicht hatte, deutete schon das 2006 erschienene Album "Etiquette" eine dezente Neuorientierung an:
Weg von schrottig pluckernden Spiezeugsynths samt vorprogrammiertem Rumbarhythmus, hin zu echten Instrumenten. So hat Ashworth auch auf "Vs. Children" verstärkt auf Klavier, Orgel, Mellotron und echt akustisches Instrumentarium zurückgegriffen und die Kinderstubenelektronik weitestgehend in der Garage gelassen. Auch wenn die Stücke nun mittlerweile mit mehr Augenmerk auf Songwriting und satten Klang daherkommen, bleiben sie dabei immer noch reduziert, verankert im lieblichen Kosmos Lo-Fi, da darf die Drummachine freilich nach wie vor poltern.

Hannah Persson
Wo Album für Album der Wunsch wächst, sich etwas professioneller mit seiner Musik auseinanderzusetzen, und nicht mehr bloß niedliche, halb hingeworfene Skizzen zu produzieren, da kommt man auch mit zunehmendem Alter vielleicht auf den Gedanken, sich mal über andere Dinge Gedanken zu machen, als über Schmusen im Kino und Dosenbiertrinken am Kirtag. Neben zuvorkommenden, schuldgeplagten Verbrechern wird "Vs. Children" so vor allem auch von Menschen bevölkert, denen vom großen Geist Lebenserfahrung da und dort immer wieder eingeflüstert wird, dass es jetzt langsam an der Zeit wäre, doch so ein bisschen erwachsen zu werden.
Da geht es in den Stücken dann eben nicht mehr darum, wie sich das Leben am College denn so anfühlt, weit, weit weg von Mutters warmem Zucchiniauflauf, oder darum, wie die erste Liebe schmeckt, sondern eher um Schwangerschaft und ums Kinderkriegen, darum, wie sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern gestalten kann, um Beziehungen im Allgemeinen, die man sich selbst nicht selten gerne als "reif" vorgaukelt. Man wird ja nicht jünger, Ashworth ist gerade knapp über dreißig. Emo für fast Erwachsene.

Hannah Persson
Aufgenommen und, hm, produziert hat Ashworth "Vs. Children" in einem richtig echten Studio in San Francisco und im Heimstudio. Unterstützung dafür hat der langjährige Freund und Kollege Jason Quever beigesteuert, der seinerseits schon bei etlichen Bands wie beispielsweise Vetiver, der Supergroup des Zottelbart-Folk in den Dunstkreisen von Joanna und Devendra, oder Grizzly Bear, die demnächst, wenn ihr Album "Veckatimest" erscheint, zu Göttern der freigeistigen Gitarrenmusik erhoben werden müssen, ausgeholfen hat, vor allem aber für sein folkig verhuschtes Projekt Papercuts viel bekannter sein müsste. Neben Quever, der "Vs. Children" mit delikaten Orgelsolos und Drumsamples garniert hat, haben diverse andere befreundete Musiker Ashworth im Studio besucht. Da und dort fungiert die Band The Donkeys als Backingkapelle, im Stück "Man O’War" singt die französische Popelektronikerin Julie Lispector die Zeilen Never Sleep Without A Light/Hate Aquariums Alright/Older Boyfriends All Your Life/And Usually They Have A Wife.

casiotone for the painfully alone
Live
Casiotone For The Painfully Alone spielen heute in der Wiener Arena.
Und wenn dann Ashworth auch noch im Stück "Harsh The Herald Angels Sing" sich nach einem durchkotzten Morgen schön klischeemäßig wieder einmal versucht, einzureden, "I Guess I Just Quit Smoking/IGuess I Just Quit Drinking", dann weiß man, dass der Schmerz manchmal schon ein schöner ist. Und, dass Casiotone For The Painfully Alone die richtige Musik ist für die trüben Blicke in den Spiegel, wenn einander, einmal alle zwei Wochen, ärgerliches Selbstmitleid und blöde Weinerlichkeit, Altersvorsorge und Vernunftdenken ausnahmsweise die Hände reichen dürfen. Wir zerdrücken der Vergangenheit eine Träne und tun so, nur ganz kurz, als wäre irgendwann einmal alles besser gewesen, damals, als wir alle noch total jung waren.