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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

7. 5. 2009 - 18:56

Budapest soll Amsterdam werden

Radfahren in Budapest ist abenteuerlich. Trotzdem steigen immer mehr Menschen vom Auto aufs Fahrrad um. „Noch nicht genug“, sagen der Fahrradbote Jozó und die Aktivisten vom Kerékpárosklub.

Schwerpunkt Mobilität
Heute in FM4 Connected und der FM4 Homebase (19-22): Was Radfahrer nervt, welche Rolle Verkehrsplanung im öffentlichen Leben einnimmt und und und...

Keuchende Busse, die schwarze Abgaswolken aus ihren Auspuffen blasen und Fußgänger, die gedankenverloren am Fahrradweg entlang spazieren. Hinter seiner verspiegelten Sonnenbrille sieht József „Jozó“ Gaál nur eines – den schnellsten Weg zu seiner Kundschaft. Der Budapester Fahrradkurier braucht in der Regel etwas mehr als 60 Minuten, um ein Päckchen von A nach B zu bringen. Im Asphaltdschungel der ungarischen Hauptstadt ist das eine echte Herausforderung. „Die größte Schwierigkeit ist es, sich zwischen den vielen im Stau stehenden Autos durchzuschlängeln“, sagt Jozó, der seit knapp einem Jahr bei „Hajtás Pajtás“, dem größten und ältesten Fahrradbotendienst der Stadt, arbeitet.

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geschäft

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Die Hajtás Pajtás-Zentrale

Als die Brüder László Géresi und Zoltán Tóth vor 16 Jahren den Kurierdienst gründeten, war Radfahren in Budapest eine Seltenheit. „Es hat hier genau drei Biker gegeben, und alle drei habe ich vom Sehen gekannt“, witzelt László. Das Cafe des Toldi Kinos auf der Bajcsy Zsilinszky Straße und die Telefonzellen ums Eck haben damals als Büro gedient. Heute sitzen mehr als zehn Telefonisten in einem zweigeschossigen Haus im 7. Bezirk Budapests, der „Hajtás Pajtás“-Zentrale. Dort gehen die Aufträge für die insgesamt 120 Kuriere ein, die per Sms an deren Handys weitergeleitet werden. Jozó soll ein Kuvert in der Innenstadt abholen und auf die westliche Seite der Donau, nach Buda, bringen. „Das ist eine der härtesten Strecken“, erzählt der 21-jährige Fahrradbote. „Zuerst muss man sich durch den dichten Verkehr schlängeln und dann hinauf in die Budaer Hügel radeln. Aber zumindest ist die Luft dort besser als in Pest.“

Als Smog wird eine durch Emissionen verursachte Luftverschmutzung bezeichnet, die die Anwesenheit von Luftschadstoffen in gesundheitsschädlichen und sichtbeeinträchtigenden Konzentrationen beschreibt.

Wegen zu hoher Feinstaubwerte wurde im Jänner zum ersten Mal ein großflächiges Fahrverbot verhängt. An Tagen mit geradem Datum durften keine Autos mit ungeraden Zahlen am Nummernschild fahren und umgekehrt. Eine Rechtslücke machte die Kontrolle durch die Polizei jedoch schwierig. Trotzdem wurden rund 18% weniger Autos als sonst registriert.

An die 600.000 Autos sind in der 1,7 Millionen Einwohner zählenden Stadt zugelassen. Obwohl das weniger ist, als etwa in Wien, ist die Luftverschmutzung in Budapest beträchtlich höher. Besonders im Winter kommt es häufig zu Smog-Alarm. Anfang des Jahres wurde ein Gesetz eingeführt, das dem entgegenwirken soll. An Tagen mit besonders hoher Verschmutzung kann in der Stadt ein partielles Fahrverbot verhängt werden.

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In Budapest gibt es derzeit etwa 180 Radwegkilometer, die in den nächsten 15 Jahren auf 500km erweitert werden sollen. In Wien, das ähnlich viele Einwohner, aber eine kleinere Fläche aufweist, sind es ca. 1.100 km.

„Die alten Busse sind am Schlimmsten. Die stinken, dass einem schlecht wird“, sagt Jozó, der mit Helm und in Rennradbekleidung unterwegs ist. Bei „Hajtás Pajtás“ herrscht vertraglich geregelte Helmpflicht. Immer mehr Fahrradkuriere und Alltagsradler tragen auch eine Atemschutzmaske. „Ob die wirklich vor der schlechten Luft schützt, ist ja umstritten“, meint Jozó und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Beim Gegen-die-Einbahn-fahren und anderen illegalen Manövern wird man dafür aber von der Polizei nicht so leicht erkannt.“ Der 21-jährige Fahrradbote verstößt in seinem Arbeitsalltag oft gegen das Gesetz, denn Fahrradwege sind in Budapest eine Seltenheit und oft schlecht angelegt. Manche verlaufen zwischen parkenden Autos und dem Gehsteig, andere zweispurig in beide Richtungen und enden dann im Nichts. „Auf dem Radweg von A nach B zu gelangen, ist unmöglich“, sagt Jozó, der auch privat bei jedem Wind und Wetter mit seinem roten Rennrad fährt.

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Jozó auf dem Radweg der Bajcsy Zsilinszky Straße, auf dem Radfahrer in beide Richtungen fahren und permanent Fußgängern ausweichen müssen
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Einer der wenigen Fahrradabstellplätze

Der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr ist in Ungarns Hauptstadt mit geschätzten zwei bis drei Prozent relativ gering. „Vor ein paar Jahren waren es noch viel weniger“, sagt Károly Sinka, ehemaliger Fahrradbote und langjähriger Geschäftsführer von „Hajtás Pajtás“. „Heute gibt es bei Kreuzungen aber manchmal richtige Radfahrer-Staus.“ Dass sich immer mehr Budapester mit ihrem Fahrrad in den Straßenverkehr trauen, ist definitiv der Verdienst von Károly und seinen „Hajtás Pajtás“-Kollegen. Vor fünf Jahren haben sie zum ersten Mal die Fahrraddemo „Critical Mass“ organisiert, die mit 80.000 Teilnehmern im Vorjahr Europas größte war. „Wenn die Politiker sehen, dass es in Budapest Tausende Radfahrer gibt, müssen sie irgendwann anfangen was für uns zu tun“, meint Károly, der von der Stadtverwaltung enttäuscht ist. Tatsächlich hat sich die Infrastruktur für Radfahrer in den letzten Jahren nur mäßig verbessert. Ein paar neue Radwege sind gebaut und einige wenige Abstellplätze aufgestellt worden. Mit den verantwortlichen Politikern will sich Károly aber nicht an einen Tisch setzen. Das überlässt er lieber anderen, wie Lászlo János zum Beispiel. Der grauhaarige Aktivist hat als Reaktion auf die „Critical Mass“ vor zwei Jahren die unabhängige Institution „Kerékpárosklub“ gegründet.

Der Kerékpárosklub finanziert sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge, Beratungstätigkeiten und EU-Gelder, die er für Projekte wie „Bringázz a munkába“, die dazu animieren soll mit dem Fahrrad in die Arbeit zu fahren, erhält.

Ca. vier Milliarden Forint (= ca. 14 Millionen Euro) hat die Stadtverwaltung bis 2010 für die Umsetzung eines Verkehrsentwicklungsplans vorgesehen. Dieser inkludiert auch die Verbesserung der Fahrradsituation.

Ihr Ziel ist es einerseits die Ungarn zum Fahrradfahren zu animieren und andererseits mit den Verantwortlichen intelligente Verkehrsprojekte zu erarbeiten. „Die meisten Politiker und ihre Berater haben keine Ahnung was etwa einen guten Radweg ausmacht. Wir beraten sie, damit sie ihr und unser Geld nicht unsinnig ausgeben“, sagt László. Der Kerékpárosklub fordert etwa, dass Radfahrer Einbahnstraßen auch in der Gegenrichtung befahren dürfen, und dass es in Budapest endlich ein zusammenhängendes Radwegenetz gibt. Die großangelegten Kampagnen und Lobbyingarbeit haben offensichtlich Wirkung.

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Ein Fleckerlteppich als Straße

„In den Köpfen der Menschen hat sich in den letzten Jahren vieles verändert. Die Autofahrer haben sich an uns Radfahrer gewöhnt und schikanieren uns nicht mehr. Jetzt muss nur noch die Infrastruktur verbessert werden“, meint auch Fahrradbote Jozó, der sein Kuvert heil von einer Seite der Donau auf die andere gebracht hat. Trotz holprigem Kopfsteinpflaster und gefährlichen Schlaglöchern hat er es innerhalb der 90 Minuten, für die der Botendienst „Hajtás Pajtás“ garantiert, geschafft. „Wenn man weiß wo und wie man fahren muss, ist Radfahren selbst in einer fahrradunfreundlichen Stadt wie Budapest kein Problem.“ Für die Zukunft wünscht sich Jozó trotzdem große Veränderungen. Eine autofreie Innenstadt zum Beispiel, in der die Straße nur für Radfahrer freigegeben ist. Oder zumindest ähnliche Bedingungen wie in Amsterdam. Denn darin sind sich alle Fahrradaktivisten der Stadt einig: „Budapest soll Amsterdam werden.“