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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 5. 2009 - 18:05

Journal '09: 5.5.

Eigeninitiative. Über eine politische Lehrstunde.

Kürzlich war ich (zufällig) dabei, als ein Mitglied der österreichischen Bundesregierung aus der Praxis erzählte. Es ging um nichts Drastisches oder umfassend Bedeutendes, sondern "nur" um einen der vielen Mosaiksteine, die die gesamte Stimmung einer Gesellschaft dann ausmachen. Er war in jedem Fall weit nicht so wichtig, wie es die Sicherheits-Schranken und Security-Schleusen, die man durchlaufen musste, um das Ministerium zu betreten, vermitteln wollten.

Aus der Regierungsbank

Und ich werde deshalb auch in weiterer Folge nicht konkret, was Namen und Fakten betrifft, weil die nur von der Sache, vom Kern des hier behandelten Punktes ablenken.

Der definitionsmächtige Mann, der im Parlament auf der Regierungsbank sitzt, erzählte folgende Geschichte - um klarzumachen, wie er in seinem Bereich die Dinge angehen müsse, um überhaupt Effektivität zu erzielen.

Er hatte sich (offenbar durch Gespräche mit Menschen und Organisationen, die in sein Ressort fallen, beflügelt) in den Kopf gesetzt eine Aktion zu starten, die ein in seiner Partei nicht unbedingt prioritär behandeltes Thema öffentlich aufwerfen, Bewusstsein schaffen, ein Miteinander anstatt eines Gegeneinanders propagieren, Anreize setzen, einen Preis ausloben und ihn in einer hübschen Schlussveranstaltung verleihen sollte.
Kosten: ein paar zehntausend Euro. Effektivität: beachtlich.

Nun erzählte das Regierungsmitglied sehr offen über das Zustandekommen dieser Aktion. Zuerst habe er sich in seinem Haus nach Möglichkeiten umgesehen die Finanzierung aufzustellen. Die Signale der internen Bürokratie waren derart entmutigend, dass er diese Möglichkeit sofort wieder verwarf.

Nächster Schritt: ein Termin bei einem finalen Ermöglicher, einem Vorgesetzten (und viele Vorgesetzte hat ein Regierungsbänkler nicht...). Der sprach so blumig von einer interministeriellen Koordination, die da nötig wäre und anderen Erschwernissen, dass der Erzähler das mit der lapidaren Begründung dass "die Umsetzung so Jahre gedauert hätte, wohl länger als ich im Amt bin" sofort verworfen hatte.

Aus der Porto-Kassa

Er hat sich dann aufgerafft, ein paar mögliche Finanziers angesprochen (für die ein Sponsoring von derartigen Dingen aus der Porto-Kasse kommen), die Wirtschaftskammer angepumpt und einen Parteifreund dazu animiert einen Verein zu gründen, der diese Aktion dann übernahm.

In Eigen-Initiative. Als Ressort-Zuständiger. Als Regierungsbänkler. Als scheinbar Mächtiger.

Und dabei war von den sonst üblichen Schwierigkeiten (auch in diesem Bereich gibt es zumindest zwei Interessens-Vertretungen, die mitreden wollen, auch in diesem Bereich - wie in allen anderen politisch relevanten - wären noch dutzende andere Rücksichtnahmen nötig) da noch gar nicht die Rede.

Es ging da "bloß" um etwas, was Vielen zugutekommt, Gruppen, die sonst nicht zusammenkommen zusammenbringt, und um nichts, was von anderen bekämpft werden würde.

Aus Wurschtigkeit

Der einzige Gegner von Aktionen wie diesen ist die Wurschtigkeit.
Und das einzige, was die Wurschtigkeit besiegt ist die Eigen-Initiative.

Wenn ich diese Geschichte (und der Erzähler brachte dann noch ein zweites, fast gleichlautendes Beispiel einer anderen Initiative, die auch kaum Kosten aufwarf, viel bringen kann und nur über ähnliche Umwege auf Schiene gesetzt werden konnte) weiterdenke, dann bedeutet das, das in High Politics letztlich nur das passiert, was von den Ich-AGs dieser Republik wirklich initiativ gewollt wird.
Wobei egal ist, ob diese Player in den Ministerien sitzen oder ob sie sonstwie wichtige Befehlsausgeber sind.

In weiterer Folge heißt das, das nichts (oder besser: nicht viel) passiert, was über die ureigensten Interessen (oder besser: Überlebens-Instinkte) der Politiker hinausgeht.

Und das nicht in erster Linie, weil die so böse Säcke sind, sondern hauptsächlich, weil sie strukturell so eingeschränkt, systemisch so behindert werden, das kaum was geschehen kann.

Aus Angst vor der eigenen Courage

Dazu kommt noch eines.

Das hat mir ein Sprecher eines anderen Ministeriums einmal zu abendlicher Stunde, in durchaus ratloser Stimmung, erzählt.

Dass nämlich - im Gegensatz zur öffentlichen Annahme - die Ministerien durchaus mit hochklassigen Fachkräften besetzt wären, die auch - meistens - wissen würden, was zu tun wäre, um die diversen anstehenden Probleme zu lösen. Und dass da auch genug an Vorschlägen, Gesetzes-Texten etc in der Schublade liegen würde, dass hier eine laufende Ideen-Produktion existieren würde.

Das Problem, sagt dieser Zeuge, läge nicht so sehr in der Administration, sondern an der Ebene darüber. Die Ressort-Verantwortlichen würden sich nämlich bei jeder Entscheidung, die ihnen nicht von außen oder oben oktroyiert würde, in erster Linie Gedanken um die öffentliche Verkaufbarkeit machen, also darum, wie sie dann mit einer Initiative dastehen würden.

Wer weiß wie schwer sich ein gelernter Österreicher (also der prototypische Erfüllungsgehülfe) mit sowas furchtbarem wie einer "Entscheidung" tut, kann sich vorstellen, warum da dann nix weitergeht.

Aus Schwarz-Weiß-Denken

Dass diese Angst (mein zitierter Sprecher erwähnte in diesem Zusammenhang den Begriff des Hosenscheißertums) seit Jahren so umfassend grassiert, hat auch was mit einer hysterisierten Öffentlichkeit zu tun: also den bewußt dümmlichen, nur für Schwarz-Weiß-Malerei anfälligen Medienberichten und der sozial desinteressierten, ebenso dümmlich und bequem alles in maximal zwei Schubladen einordnende Masse.

Dieses System von Simplifizierung und bewußter Verblödung (das Gegenteil jedes aufklärerischen Denkens und Handels, letztlich ist das ein Rückschritt um Jahrhunderte...) schaukelt sich gegenseitig dann in ein Patt des Nichts-Tuns hoch. Wer sich nicht bewegt, bietet keine Angriffs-Fläche. Und auf diesem Prinzip bauen die meisten aktuellen Karrieren auf.

Dass in diesem Gesamt-Rahmen ausschließlich aus der ganz persönlichen Eigeninitiative überhaupt irgendetwas erstehen kann, ist jetzt keine Erkenntnis von überragendem Neuigkeitswert.
Ich halte es aber durchaus für wichtig, sich dieses Modell des Stillstands hin und wieder vor Augen zu führen, weil man dann nicht in Gefahr kommt einen ganz kapitalen Fehler zu machen - nämlich das, was einem persönlich wichtig ist, an irgendjemand anderen zu delegieren.

Daraus wird dann nämlich garantiert nix.
Und Nix ist irgendwie schon arg zu wenig.