Erstellt am: 3. 5. 2009 - 20:11 Uhr
Heartland
"Die Sängerin mit ihren zappeligen Beinen legte nun richtig los, ihre bleichen Arme ragten aus einem roten T-Shirt. (...) Während sie ihre kreischbunte Gitarre mit kreissägeartigen Armbewegungen attackierte, blickten ihre weitaufgerissenen, besessen wirkenden Augen furchtlos ins Publikum."
Habt ihr auch Bücher liegen, die zu lesen ihr einfach nicht und nicht dazukommt? Ok, da bin ich ja beruhigt, dass ich nicht die Einzige bin. Immerhin ist "Heartland" von US-Wunderkind Joey Goebel ("Vincent", "Freaks") ja schon vor zwei Monaten in deutscher Übersetzung erschienen. Dass ich just diese deutschsprachige Version, die von Menschen im Herzen der USA, dem Heartland, erzählt, zum Urlauben im britischen Wales mitnahm, klingt fast ironisch. Mit den Black Mountains direkt vorm Gesicht, wenn man aus dem Fenster sah, diesen so ursprünglichen und landschaftsprägenden braunen Gugelhupf-Hügeln. Nun ja, was wäre die Alternative gewesen? Eine Marc Almond Biografie, eine Tracy Emin-Autobiografie und ein durchaus ironischer Ratgeber mit dem Titel "How To Be Glamorous". Alles vorsorglich von fürsorglichen Freunden aufs Nachtkästchen platziert, damit nur keine etwaige Langeweile aufkommen könnte für die am walisischen Land weilende, Popkultur-begeisterte Städterin, schließlich sagen sich dort tatsächlich Eule und Wiesel Gute Nacht. Nicht, dass ich die Stille nicht ertragen können hätte, ganz im Gegenteil. Just listen to the sounds of silence. Aber ganz ohne Lesestoff ging es dann doch nicht, und so kamen letztendlich Miss Emin, Herr Almond und auch mein mitgebrachtes "Heartland" zum Einsatz.
Gene is Blue
Joey Goebel: Portrait von Zita Bereuter
"Heartland", in der englischsprachigen Original-Ausgabe ja vieldeutig "Commonwealth" benannt, ist einer der wenigen Romane, deren deutscher Titel letztlich vielleicht besser passt oder zumindest besser klingt. Blue Gene heißt die Hauptfigur im Roman, Blue Gene Mapother. Blue Gene ist Flohmarkttrödler in der fiktiven Midwest- Kleinstadt Bashford - ein Ortsname, der auch nicht zufällig gewählt ist: to bash - prügeln, hinhauen, schlecht machen; ein bash ist aber auch eine große Feier, etwa ein birthday bash - eine furiose Geburtstagsparty. Aber Blue Gene ist natürlich nicht irgendein White-Trash-iger Flohmarktrödler, auch wenn sein Arbeitstag jeden Tag wie immer beginnt:
"Blue Gene trank aus einem Styroporbecher Kaffee und sah zu wie die anderen Händler eintrudelten und die alten Bettlaken von ihren Waren nahmen. Um zwei Minuten vor neun machte der Besitzer des Commonwealth-County-Flohmarkts seine morgendliche Lautsprecherdurchsage. (...) Sein sanfter Bariton klang wie der von Johnny Cash, nur optimistischer."
Black Sheep Boy
Diogenes Verlag
"Heartland" von Joey Goebel ist in deutscher Übersetzung von Hans M. Herzog im Diogenes Verlag erschienen.
Blue Gene wurde eigentlich als Sproß aus wohlhabendem Haus geboren - und irgendwann zum schwarzen Schaf der Familie. Schließlich zieht er aber wieder im alten Kinderzimmer ein, fast - er entscheidet sich für das Poolhaus im Familienanwesen, um das Gefühl zu wahren, seine Unanhängigkeit nicht zu verlieren. Traurig eigentlich, aber auch zum herzhaft Lachen diese Zeilen von Joey Goebel, und die Liebesgeschichte zwischen Blue Gene und der Punkrock-Sängerin Jackie Stepchild. Auch wer amerikanische Familiengeschichten mag, wird mit "Heartland" von Joey Goebel gut bedient. Kritische Stimmen könnten sagen, ein klitzeklein wenig zu spät kommt dieser Roman, in dem es um den Kongress-Wahlkampf der Familie Mapother geht, der schließlich auch den bedauernswerten Blue Gene gnadenlos mitreisst. Etwas zu spät, die Seele des US-Midwest zu thematisieren, könnte man sagen, jetzt wo die Bush-Ära doch endlich vorbei ist und wir doch schon mitten in der Obama-Mania stecken. Ach was, erstens sind diese Wunden noch lang nicht verheilt, und zweitens ist der letztendlich grenzenlose (amerikanische) Optimismus, der die Story beschließt, ja etwas, dem Respekt gebührt.
Blue Gene: "Nun mach mal einen Punkt, Stepchild. Sieh dir an, was ich gerade für Probleme habe..."
Jackie Stepchild: "Du hast Recht. Entschuldige. Ich sollte mich nicht beklagen."
Blue Gene: "So hab ich das aber nicht gemeint ... Man muss einfach immer weitermachen und an etwas denken, worauf man sich freut."
Jackie Stepchild: "Zum Beispiel?"
Blue Gene: "Weiß auch nicht. Beispielsweise einige der Bands, für die du mich begeistert hast... "
Passender Soundtrack zum Buch:
- Johnny Cash - "Hurt"
- Die Mannequin - "Slaughter Daughter"
- Ryan Adams - "Political Scientists"