Erstellt am: 3. 5. 2009 - 15:23 Uhr
Discohölle Krems
Tränendrüsen drücken und Täumen war gestern, der letzte Abend des Donaufestivals steht ganz im Zeichen von dreckigen Knarzbeats, Discoglam und Tanzkollaps. Und außerdem Verschwörungstheorien. Von denen und von Dreiecken sind nämlich Yacht, die später noch spielen werden, geradezu besessen und drücken uns beim Interview am Nachmittag auch gleich die passende Fibel zum Faible in die Hand:
FM4/ Alexandra Augustin
The Church of Jona und Claire
Jona Bechtolt, die Ex-Hälfte des Indie-Pop-Duos The Blow und Claire L. Evans haben ihre enthusiastischen Electro-Pop-Hymnen mitgebracht. Aber nicht nur. Sie haben auch gute Geschichten zu erzählen.
Kein Scherz: Den Deal mit DFA Records für ihr Album "See Mystery Lights" haben sie mit Blut unterschreiben müssen! Jona zeigt uns die Narbe (in Dreiecksform!) als Beweis. Ihr Album haben sie in einem Haus in der Wüste von Texas aufgenommen, ein Ort an dem es geisterhafte Lichtreflexion im Himmel zu beobachten gibt, die sich keiner erklären kann. Entdeckt haben sie diesen mysteriösen Ort bei der Durchreise auf der Tour zwischen Texas und Phoenix und sind gleich dortgeblieben.
Beim Gespräch über die Dreiecks-Obsession landen die beiden schnell bei allerhand religiösen Dingen zwischen Morgen- und Abendland, Scientology und erzählen von der "Mission" von Yacht (Und keine Sorge - Yacht haben sich noch keine Scientology-Superpowerkräfte erkauft):
'We found a secret orientation video on the internet, we found a 700 page document about the inner workings of Scientology. We took all the bits and pieces of all kind of 'religions' and sort of made something on our own that replaces religion for people. We wanna provide people an alternative. Musically, emotionally - and sexually!'
Sehr fein! Let's join the church of Jona und Claire!
florian schulte
From Portland to Krems
Bei einer speziellen Powerpoint-Präsentation wird dann gleich ein Foto vom Backsteinhaus in Portland gezeigt, in dem sie wohnen. Samt Einblendung der Wohnadresse! Yacht freuen sich nämlich auf Postkarten von Konzertbesuchern. Und auch gerne von FM4-Hörern, also bitte sehr: Kuli zücken und ein Kärtchen aus der Sommerfrische ab nach Portland schicken:
Yacht
4008 N Mississippi AVE APT. 4
Portland, OR 97227, USA
Und dann gehts auch schon los mit einer Show nach der ich sage: Yacht ist meine neue, absolute Lieblingsband!
FM4/ alexandra augustin
Eine Stunde treibender krachiger Elektro-Discobeat vom Feinsten mit aerobicmäßiger Super-Hüpf-Performance, am Boden wälzen und Purzelbaum schlagen. Gerne auch mitten in der Besuchermenge in der sich ein Disco-Moshpit bildet.
Does anyone need a towel?, fragt Claire. Ja unbedingt, ich nehme gleich drei!
Next Life
Obsessionen und Verwüstung liegen nahe beisammen und ein Headbanger's Ball direkt aus der Hölle scheppert danach in Halle eins vor sich hin. Next Life präsentieren ihr Orkus-Set.
florian schulte
Kaum zu glauben, aber nur zwei kleine Laptops und eine E-Gitarre haben Hai Nguyen und Trond Jensen aus der norwegischen Metalhochburg auf ein kleines, wackeliges Holztischchen gestellt, um uns mit einer fetten Portion Noise ordentlich in den Hintern zu knüppeln. Das Ziel von Next Life lautet nämlich: Maximale Intensität. Dafür sorgen agressive Metal-Riffs, verzehrte Vocals und ihre Industrial Beats mit gefühlten 1720 beats per second. Wer nach der Show noch intakte Gehörgänge hat, kann sich glücklich schätzen. Ach ja, trotz dem Wirbel meinen sie, sie machen eigentlich nur "Songs". Lieb.
DAT Politics
Das Trio DAT Poltics setzt stilitisch den Faden dort fort, wo Yacht aufgehört haben. Spaßiger Elektropunk, viel feuchte Luft und verschwitzte Achselhöhlen. "Epileptische Mikro-Rythmik" nennt das Trio seinen quietschigen Stil, den die drei aus ihrem Laptop, der Groovebox und einem Syntheszier pumpen, dazu noch eine Prise Chiptunes und ein gepitchter Kindergartenchor.
florian schulte
Ein Riesenfesttags-Satansbraten ist das heute Abend hier. Ich würde gerne mitschwitzen, aber backstage warten schon die werten Herrn von Moderat und Boys Noize zum Interview auf David Pfister und mich, also nichts wie hin!
Will we go to heaven or will we go to hell?
florian schulte
Alexander Ridha alias Boys Noize hat gestern noch in Spanien einen Auftritt gehabt, erzählt er
David Pfister. Er hat den Slot zwischen den Babyshambles und The Prodigy vor 20 000 Tanzwütigen bespielt und nachher noch Pete Doherty zum Kaffeeklatsch getroffen. Wer hätte es vermutet? Boys Noize ist ein großer Babyshambles-Fan!
Etwas angeschlagen wirkt der Gute, denn er hat die ganze Nacht im Tourbus verbracht und etwas unter dem Busfahrer gelitten, der angeblich die ganze Zeit gefurzt hat. Den Geruchssinn auf diese Art und Weise betäubt hat er wenigstens den Vorteil, gegen die transpirierende Menge vor der Bühne riechtechnisch wahrscheinlich immun zu sein.
Denn alle sind sie in schicker neonfarbener Panier herbeigeeilt, um dem glitzernden Totenkopf die Disco-Hörner entgegenzustrecken. Was sich hier abspielt grenzt dann wirklich an einen absoluten Extase-Exodus: Gefühlte 142 Grad Celsius im Kern des Ravefeuers, in das sich Boys Noize dann auch noch selber hineinwirft, um lässig über die Menge hinweg crowdzusurfen. Ein paar BesucherInnen stürmen daraufhin die Bühne, üben sich fleissig in allerei Verrenkungen zu Knarzebeats und letztlich tanzen sogar auch die "Men in Black" auf der Bühne ein wenig mit, die Securities, die in diesem Jahr statt Bomberjacken fesche schwarze Anzüge tragen.
florian schulte
Wer am Ende nicht komplett durchnässt ist, hat irgendetwas falsch gemacht. 'Am allerbesten wäre es, man könnte jetzt kurz das Dach der Halle abheben und einmal kräftig durchlüften', meint meine Begleitung. Aber Sauerstoff wird sowieso überbewertet.
moderat Moderat!
'Moderat sind heute frech!', werde ich vor dem Interview noch schnell gewarnt. Das kann kein Fehler sein denke ich mir, denn Kuscheln ist hier heute Abend ja sowieso nicht mehr angesagt. Wie die Herren Sebastian Szary und Gernot Bronsert von Modeselektor und Sascha Ring aka Apparat mir erzählen, sei "Entschleunigung" das Motto der heutigen Abschlussshow für das Donaufestival. Anders und ruhiger als sonst wird es werden, denn sie seien mittlerweile alle 'primetimeverseucht' von all den Partys, vom Schampus und den Menschen, die sich bei ihren Auftritten so gerne die Kleider von den Leibern reissen. Oh ja, gut und gerne erinnere ich mich deshalb an den Wahnsinnsauftritt vor etwa zwei Jahren am Elevate Festival zurück, vom dem ich noch immer sage: Diese Sause war sogar besser als mein 18. Geburtstag!
Moderat verschlingen noch schnell ein Paar Frankfurter Würstel, um Energie zusammen zu rotten, denn gestern haben sie bis in die Morgenstunden in einem Theater in Deutschland gemeinsame Sache mit den VisualistInnen der Pfadfinderei gemacht und deshalb nur eine Stunde Schlaf bekommen. Zu sechst sind sie gerade unterwegs und ich will wissen, wie man sich auf so eine Megashow mit drei Musikern und drei Visualisten eigentlich vorbereitet:
Vor allem der Aufbau der ganzen Technik die das Sextett mitbringt, erweist sich als tricky, erzählen sie. Moderat und die Pfadfinderei haben extra Tische für die Show bauen lassen und eigene Leinwände, eigene Beleuchtung und eigene Beamer mitgebracht. Zur Vorbereitung für die Tour auf der sie gerade sind haben sie sich in die Maria am Ostbahnhof in Berlin eingemietet und in den vergangenen Wochen dort Party gemacht, damit die Shows dann solide sitzen. Eh super, allerdings haben sie das schon ab 10 Uhr früh getan!
Und die Performance von Moderat erweist sich als krönender Abschluss des ganzen Donaufestivalwahnsinns:
florian schulte
Kraftwerk-ähnlich stehen sie nebeneinander aufgefädelt, in Dunkelheit gehüllt. Das Zusammenspiel zwischen Musikern und Visualisten sitzt perfekt, der moderate Bastard aus Modeselektor, Apparat und der Pfadfinderei erschafft ein organisches Geflecht aus Beats, Bildern und Lichtkompositionen und eine Atmosphäre, die man treffend als Summe aller Teile der zwei Wochen bezeichnen kann. Wir sind alle auf einem metaphysischen Abschlusstrip gelandet, bei dem die Frage, wo denn die Grenze zwischen Realität und Fiktion eigentlich liegt, uninteressant wird. Denn diese Twillight Zone fetzt und das ist das einzige das uns noch interessiert. Ernüchternd ist der Moment deshalb, in dem die sechs dann schließlich die Powerknöpfchen auf "Aus" stellen und in der Halle das böse, grüne Neonlicht angeht.
Wer es verpasst hat ist ja selber Schuld, aber hier als Trost eine kleine, leckere Kostprobe ihrer Arbeit. Und das gleichnamige Album "Moderat" erscheint samt DVD am 11. Mai.
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Aber halt, Moment: Ganz vorbei ist der Abend noch nicht. Am Schluss wird es doch noch Zeit für eine kleine Geburtstagsparty. Denn Sebastian von Moderat/ Modeselektor feiert und deswegen gibt es als Zugabe ein Ständchen von den anderen Musikern und Visualisten und dem Publikum gesungen. Wäre noch ein bunter Luftballon von Black Meteoric Star + AVAF da, ich hätte ihm den gleich in die Pfote gedrückt.
In diesem Sinne: Alles Gute und bis zum nächsten Jahr Donaufestival!