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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 5. 2009 - 20:29

Journal '09: 2.5.

Facebooking.

Alexandra hat aufgegeben. Sie hat sich dem Druck gebeugt, den das mittlerweile zur Massen-Seuche angeschwollene Borg-Kollektiv der Facebooker ausübt.
Resistance is futile, prepare to be assimilated.
Alexandra ironisiert ihr Facebook-Anfänger-Verhalten: zehn neue Freunde über Nacht, toll, nicht? Oh, eine Status-Meldung von meinem Freund Obama, irre!

Ja, wahrscheinlich ist das eh die beste Möglichkeit.

Denn, egal in welcher Klasse oder Gruppe du unterwegs bist, welchen Bewusstseinsstand oder welche Einstellung du hast - wenn du (egal ob beruflich oder privat) etwas unternimmst, was mehrere Menschen erreichen soll, oder wenn du (beruflich oder privat) mit Menschen abroad zu tun hast, dann bist du fast gezwungen das große Netzwerk in dein Leben zu lassen.

Bist' eh bei Facebook?

Ich hab‘s nicht mehr ertragen, dass vier von fünf Freunden, Bekannten oder Menschen, die man neu kennerlernt, nicht mehr Neuigkeiten, Daten, Termine oder Telefonnummern tauschen, sondern die "Du bist eh bei Facebook, oder?"-Variante vorziehen, sagt Alexandra.

Wahrscheinlich ist es das, die Möglichkeit, dass "man könnte".
Wenn man wollte, könnte man sich mit all seinen 100 Freunden beschäftigen, intensiv sogar, direkt kontakten, anstatt sich das Schreiben eines Mails so ohne Anlass dann doch wieder zu überlegen, anstatt sie dann doch nicht anzurufen. Die Schwelle ist geringer, der Austausch oberflächlicher, aber dichter.

Ich kenne Menschen, die keinen Veranstaltungs-Kalender mehr brauchen, weil sie via Facebook alle relevanten Party-Daten sowieso kriegen.

Ich kenne niemanden, dem wegen Facebook (oder einer anderen vergleichbaren Plattform, egal ob StudiVZ, MeinVZ, MySpace etc) Alienation droht. Wie es heute in einer strunzdummen Untergang des Abendlandes-Winselei in einer Tageszeitungs-Buntbeilage befürchtet wurde.

Der übliche Untergang des Abendlandes

Dort setzt man noch einen drauf, mit einem Experten, der einen Anstieg von Krebs rechnet, wegen der Vereinsamung und so. Da die Zivilisations-Krankheit Krebs bei zunehmender Zivilisierung der Gesellschaft (also der Globalisierung) zunehmen wird, ist derartiger Schwachfug ein Selbstläufer.

Erstens würde das bedeuten, dass die Facebookerei reale Sozialkontakte direkt ersetzt. Das ist in Einzelfällen (wir erinnern uns an das Otaku-Phänomen) möglich - in der Regel aber unterstützen die via Facebook angeleierten Real-Life-Aktivitäten den humanen Außenhandel.

Zweitens würde das bedeuten, dass die Teilnehmer nicht zwischen tatsächlichen Freundschaften und Bekanntschaften unterscheiden können. Auch das kommt, auch im echten Leben vor, auch das wird bei den Social Communities nicht neu geformt und unterstützt.

Wer schon im echten Leben glaubt, dass ihn kandidierende Politiker ernst nehmen, wird das auch in Facebook glauben - da hat das Medium keinen Einfluß.

Die Annahme, dass man als sozial vernetztes Digital Native eine Gefahr für sich selbst oder andere wäre, kann nur aus eier Position der Unkenntnis oder aus einer lobbyistischen Interessenslage heraus kommen.

Insofern ist es einerseits lustig zu beobachten, wie die alten Medien herumsudern, ehe sie sich dann zu halbherzigen, und deshalb auch unpassenden und ein wenig lächerlichen Maßnahmen der Teilnahme entschließen.

Und es amüsiert auch, mit welch abgetakelten Sprüchen, die dem Wilhelm Busch'schem Lehrer Lampl entfleucht sein könnten, eine plötzlich zum weisen Lehrer mutierte im 20. Jahrhundert steckengebliebene Analog-Gesellschaft der digitalen Analphabeten agiert.

Vereinsamung, Rückenmarkschwund, Hysterie

Denn egal ob man seine Community-Aktivitäten unendlich ernst nimmt (und dabei auch durch Datenmissbrauch auf die Schnauze fliegen kann) oder es ironisch-vorsichtig anlegt und als Basis für Auslands-Kontakte oder als Info-Schaukel verwendet oder sich einfach einen Spaß draus macht – die Krebs-Gefahr von Facebook ist wohl so groß wie die von Rückenmarksschwund durchs Wixen.

Bislang ist noch alles neu Hinzugekommene von den Vertretern der Arrivierten verteufelt worden – auch zb ein heute komplett kanonisiertes Medium wie das Buch. Als sich das Ende des 19. Jahrhunderts als Massenware für alle Schichten durchsetzte, wurde der populäre Roman als Ursache für das, was man im Zeitalter Sigmund Freuds als weibliche Hysterie bezeichnete (und auch ernsthaft zu behandeln versuchte) .

An diesen und anderen historischen Schwachsinn erinnern die Abwehrkämpfe einer sich dauerbedroht fühlenden Hinterwäldler-Nomenklatura. Natürlich ist es innerhalb der Entwicklungsmöglichkeiten der Medienkonvergenz denkbar, dass einzelnes, liebgewonnenes verschwindet.

Das „echte Leben“ wird aber nicht dazu gehören, weder wegen Facebook, noch wegen sonstwas. Da können noch so viele Borg-gleiche Community-Trends über die digital vernetzte Gesellschaft hereinbrechen. Und dazu haben die social Communites zu sehr Häppchen- und zuwenig Sucht-Charakter.

Zur Not entgegnet man dem ganzen mit einem sehr wehrhaften Phänomen, der Interpassivität, also dem Scheindelegieren von Inhalts-Rezeption. Aber das wäre wieder eine andere Geschichte.