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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

1. 5. 2009 - 10:21

Kein Kindergeburtstag!

Plüscheidechsen und Mutanten spielen mit Luftballons und Brutalosoundblasen: Der wahnwitzige Start des zweiten Wochenendes am Donaufestival in Krems.

Austria is pretty fuckin' beautiful, schreit jemand mit rauher Stimme aus einer Ecke ins mobile Telefon. Eben noch idyllische Ruhe am Nachmittag in Krems. Im nächsten Moment steht schon Leila da, die gleich in der Monoritenkirche statt den mittlerweile aufgelösten Stereolab auftreten wird. Auch Antony schleicht angeblich schon in der Weinstadt herum. Und was macht Kevin Blechdom gerade? Die hat haufenweise Pappe zusammengerottet, aus denen sie mit Freunden und MusikerkollegInnen Backstage Riesenschwerter, lebensgroße Kochtöpfe, Salz- und Pfefferstreuer bastelt! Denn nachher wird "On Stage" noch jemand gekocht und verspeist, höchstwahrscheinlich gibt's also heute einen Blechdom-Braten, lecker! Willkommen am zweiten Wochenende des Donaufestivals.

Leila

Die Vorbereitungen und Soundchecks sind in vollem Gange, für mich geht es ab zum Interview mit der sichtlich von Österreich und der Konzertlocation begeisterten Musikerin und Produzentin Leila.

florian schulte

In einer Kirche hat sie zwar noch nie gespielt, aber in Österreich war sie vor Jahren schon einmal. Damals, 2007 als sie beim "No Borders Festival" in Tarvisio als Live Mixerin für Björk an den Reglern geschraubt hat. Die ist diesmal zwar leider nicht dabei, dafür aber die eigene Familie:

Ihre Schwestern begleiten und singen zu ihren IDM-Produktionen, außerdem auch HK 119, die dank ihrer Kunstausbildung am St. Martin's College nicht nur für stimmliche Unterstützung, sondern auch für einen performativen Aspekt sorgt: I need ten bin liners! Where is the next supermarket?, hallt es durch die Kirche. Müllsäcke? Ja, Müllsäcke sind wandelbare, bisher wohl unterschätzte Teile:

florian schulte

Zum thematischen Überbau "Fake Reality" fällt Leila allerhand ein. Klar, Musik und Kunst bieten ein perfektes Paralleluniversum voller künstlerischer Freiräume. Und auch im Oeuvre von Leila lassen sich mit Hilfe von modernen Möglichkeiten viele - durchaus angenehme - Unschärfen produzieren, wie sie im Interview erzählt:

Schau dir zum Beispiel mein Artwork und meine Pressebilder an: Der Zustand, in dem ich war, bevor die Bilder mit Photoshop und Airbrush Technik bearbeitet wurden, das war ein schockierendes Level an Realität. Meine Augenringe, ich hatte sie satt. Großartig, dass ich sie nun verschwinden lassen konnte!

Auch wenn die Anekdote erheiternd klingt: Auf der Bühne ist Leila eine Wissenschaftlerin und keine hüpfende Disco-Glam-Queen. Sie hat sich zum Erforschen ihrer Soundwelten hinter einer Plexiglaswand abgeschirmt, vorne auf der Bühne die klaren Stimmen der GastsängerInnen, im Rücken die passenden Tafelbilder im viktorianischen Stil, die auf düstere Breakbeats prallen. Goldene Arabesken, rückwärts laufende Uhrwerke und mit Edelsteinen verzierte Metronome laufen im eigenen Takt, den nur Leila kennt. Aber höre ich da zwischen einem aus Zeit und Raum ausgehebelten Stück etwa die Gesangsline von 'Norwegian Wood' von den Beatles heraus? Indeed! Leila ist ein gelungener Appetizer auf das, was noch kommen wird, wenngleich die Absage von Stereolab noch nicht ganz verdaut ist.

This is not a Kindergeburtstag!

Zurück am Gelände dann eine Überraschung: Menschengroße, bunte Luftballone in allen erdenklichen Farben schmücken die Bühne und die gesamte Halle. Aber nein, hier wird heute kein Kindergeburtstag gefeiert, auch wenn der minimalistische 4/4 Takt den "Synthie-Wizzard" Gavin Russom aka Black Meteoric Star durch seinen Synthesizerturm jagt, ein wenig brav daherkommt.

florian schulte

Er und das Künstlerkollektiv AVAF haben aber fette Tricks in petto: Jeder Besucher bekommt eine 3D-ähnliche Brille in die Hand gedrückt, die am oberen Rand ein buntes Papier-Smiley-Gesicht aufgetackert hat. Setzt man sich die auf, dann verwandelt sich das Luftballon- und Visualspektakel in eine kaleidoskopartige Acid House-Welt.

florian schulte

Und ungelogen: Bei der Verschnaufpause vor der Türe läuft doch tatsächlich eine menschengroße Eidechse mit einer Rieseneistüte vorbei,

florian schulte

die mit anderen Eidechsen eine Polonaise formt und die allesamt zu Reggaemusik tanzen und mit Kuhglocken läuten. Systemcheck:

Ja, die Gehirnwindungen sind noch intakt, es handelt sich um eine Performance des Kollektivs 'Reactor'. Die Plüscheidechse "Big Lizard" umarmt alle gern und springt deswegen wenig später auf die Bühne, um Gavin Russom zu knuddeln.

Planningtorock

Die 3D-Brillen haben einige immernoch auf der Nase, als Janine Rostron, besser bekannt als Gesamtkunstwerk Planningtorock, mit ihrer Performance "Black Thumber" später im Stadtsaal auftritt. Schon im Vorjahr hat sie mit mit ihrer musikalischen Hybridshow "What's The Rock" voller überbordender futuristischer Kostüme und Projektionen mehr als begeistert. Die großartigen Visual-Welten hat sie auch diesmal im Gepäck, samt einem Haufen geheimnisvoller Technik: Denn egal, wohin sich Planningtorock auf der Bühne bewegt, auch die "bewegten Bilder" folgen ihr wie von Geisterhand durch die größtenteils in völliger Dunkelheit verborgene Performance und machen aus ihr ein zwischen Licht- und Schattenwelt pendelndes Wesen, das mit der Leinwand verschmilzt. Wie sie erzählt, liegt der konzeptionelle Ansatz ihrer Performance in der Faszination für das Wort "Umbra" (lat.), which describes the darkest part of a shadow.

Und wie ich sage: From within the umbra, the source of light is completely concealed by the occulting body.

florian schulte

Das Geheimnis ihrer speziellen Videotechnik mag mir Planningtorock im Interview leider nicht verraten, aber es gibt andere, spannende Geschichten zu erfahren:

Das neue Album steht vor der Tür und sie arbeitet momentan mit The Knife an einer Oper. Dafür macht sie gerade die Berliner Straßen unsicher, um Field Recordings zu sammeln. Besonders die Akustik in einem bestimmten Gebäude am Areal der ehemaligen Abhörstation am Berliner Teufelsberg hat es ihr angetan, in das sie bei Morgengrauen mit Mikrophon bewaffnet hineinklettert. Dieses bestimmte Haus hat angeblich gerade David Lynch gekauft, um sich darin ein Experimentierlabor (!) zu bauen.

This banana's gone to heaven

Ein bisschen Zeit bleibt noch, um den Schluss von "Slaughterin' Slobberville" mit Kevin Blechdom & Friends mitzubekommen. Darunter keine geringeren als Barnwave-Kollege Christopher Fleeger und Blevin Blectum, die die Schlachtbank drücken.
Remember: Someone is going to be cooked tonight!

Dafür sorgen Mutanten mit fünf Beinen - Gipsfuß eingeschlossen - die stepptanzen, zweiköpfige Pferde und singende Anemonen. Der Plot: Wir schreiben das Jahr 2024, von Menschenhand gezüchtete Mutanten werden an den Ort "Slobbersville" verbannt. Doch die Mutanten brechen aus und sind nun auf einer verrückten Freakshow durch Europa unterwegs. Im Moment eben in Krems. Vaudeville Theater und trashiger Laptop-Banjo-Folk trifft auf Piano-Happy Hardcore und Melodien, die klingen, als würde man eine Audiokasette viel zu schnell abspielen.

Und dann hängen hier übrigens noch überall Bananentrauben herum, denen die Crew engelhafte Pappflügel verpasst hat, und die in den Himmel gegangen sind. Großartig! Wer es verpasst hat: "Slaughterin' Slobbersville" ist gerade auf Tour.

florian schulte

So viele Impressionen und Bilder. Da macht sich bei mir langsam Nachtblindheit breit. Es ist beinahe Mitternacht. Genau die richtige Zeit für David Pfister, um aus den Startlöchern zu kriechen und Luke Vibert und den Headliner, Aphex Twin zu konsultieren:

Luke Vibert & Aphex Twin

Okay, großes Rave am ersten Tag des zweiten Donaufestival-Wochenendes. Ich habe Luke Vibert vor ein paar Jahren einmal auflegen erlebt.

florian schulte

Das war eine relative housige Angelegenheit, nicht langweilig, aber auch nicht extrem animierend. Nun muss Luke Vibert inzwischen seine Lebensperspektiven extrem verändert haben oder er wollte den Aphex Twin ausstechen. Weil Herr Vibert lieferte für seine Verhältnisse ein sehr hartes und knackiges DJ-Set zwischen strammem Electro und korrektem Drum'n'Bass. Sehr klassisch, sehr schön, sehr passend zum Donaufestival, das auf sein hohes Niveau stolz sein kann.

Und dann also der Aphex Twin. Und nun hat der Aphex Twin natürlich ein Problem, weil er der Aphex Twin ist. Bei all seinem berühmten Extremismus, was soll er denn da machen? Er beginnt mit der einzigen Möglichkeit. Einem für seine Verhältnisse behutsamen Rückzug in relativ gemächliche Fusionen aus Ambient und Electro. Wasserdicht, tadellos – aber ein wenig langweilig. Das geht so relativ lang dahing. Bis Aphex Twin der Hafer sticht und er seine berühmten Brutalosounds auspackt und sich kontinuierlich Richtung Erwartungshaltung steigert. Der Drum'n'Bass-Hardcore wird stetig gesteigert, bis er tatsächlich "Come To Daddy" spielt. Und - ich weiß nicht so genau, was ich davon halten soll. Es war natürlich wasserdicht und tadellos und ich hab' es sehr genossen, als Aphex Twin endlich den Aphex Twin ausgepackt hat, aber… Aphex Twin wird einfach durch seinen eigenen Mythos erstickt.

florian schulte

Aber das ist eigentlich ein wunderbares Kompliment für einen Künstler. Ich würde mir nur wünschen, dass sich Aphex noch mal ein wenig einen Willen zur Veränderung gegen die Statik abringen könne. Vielleicht sollte man ihm mal eine Black Dice-Platte schicken. Wir sind ja jetzt schon lange nicht mehr in den Nineties.