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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 4. 2009 - 17:35

Journal '09: 29.4.

Assoziations-Schwurbel. Vom Papst zu Kaltenegger.

Es passiert mir in den letzten Wochen immer wieder, dass ich während des täglichen TV-Programmier-Checks in eine offenbar hundertteilige 3sat-Doku-Reihe über die Kirchengeschichte gerate. Ein vergleichsweise entwirrter Maximilian Schell läuft da durch Räume, startet händisch Filme (Hallo, Bauerfeind!) und erzählt Geschichten über Päpste, die dann - dokudrama-mäßig, aber stumm - die Off-Texte illustrieren.
Heute hab ich 15 Minuten über die Renaissance/Medici/Luther/Kampf um Rom/Michaelangelo-Ära erwischt, in der sich Dinge, die sonst Jahrhunderte brauchen, ordentlich verdichtet haben: ein fundamentalistischer Richtungs-Streit, der Wandel von Macht- zu Repräsentations-Politik, das Ende der territorialen Ansprüche etc. Und immer mittendrin: die Instrumentalisierung von Religion und Glauben für simple Machtpolitik, die Schrankenlosigkeit mit der die Bosse die eigenen Grundsätze umgehen.

Letztlich passiert dasselbe heute auch noch: die Erbfolgen werden zwar nicht durch aktive Zeugungskraft, aber durch sorgfältig konstruierte Seilschaften bestimmt, offenkundige Promiskuität ist, zumindest in Rom, auch ein bisserl out - sonst geht es aber auch heute noch ausschließlich um Machterhaltung und -ausweitung, um schrankenloses Umgehen aller kirchlichen Vorschriften, was Geschäfte oder Besitztümer betrifft; und das blanke Gegenteil dessen, was von der braven, gläubigen Gefolgschaft erwartet wird.

Kirche = Machtpolitik

Zu dieser Machtpolitik gehören auch die internen Fehden, in denen sich Fundamentalisten auf das eine und eben nicht das andere vatikanische Konzil berufen und daraus sektenähnlich Kapital schlagen.

Objektiviert betrachtet hat es schon echten Witz, dass sich intelligente Menschen ernsthaft an Codices orientieren, die vor Jahren oder Jahrzehnten (manchmal Jahrhunderten) aus ganz bestimmten realpolitischen Gründen, mit klarer Gegenwarts-Orientierung erfunden wurden, um eine damalige Situation zu definieren. Obwohl, Moment, letztlich sitzt die gesamte Bibel-Hörigkeit ja demselben Irrtum auf.
Nur, die Bosse, Kardinäle und Bischöfe wissen darob und sind abstraktionsfähig genug für eine ehrliche Einschätzung (die sie öffentlich aber niemals führen dürften).

Noch vor 20 Jahren hätte man wohl gesagt, dass es eh besser sei, wenn sich Radikalinskis, Hardliner und Fundamentalisten in derart absurden Glaubens-Internas verlieren - weil sie dann keinerlei weltlichen Schaden anrichten können.

Durch die kräftige Unterstützung ihrer Entsprechungen in anderen Weltreligionen hat sich das aber gedreht: der Fundamentalismus ist zum übelsten der aktuellen Flammenwerfer von Zwietracht, Hass und Verbrechen geworden, weil er sich einer höheren Macht verpflichtet fühlt und man ihm also rational nicht begegnen kann.

Bleich und halbtot

Dass ich immer dann, wenn ich diese Dinge durchdenke assoziativ automatisch bei einer anderen, ebenso bleichen und halbtoten Weltreligion, dem Kommunismus, lande, ist kein Zufall. Auch dort zerfleddert man sich in inneren Glaubenskriegen, dort sind die Konzile eben die Internationalen, auf die sich die Core-Fundis berufen, auch dort hat man sich von der Ausgangs-Basis so weit entfernt, dass nur noch der Odem ekelhafter Pervertierung übrig bleibt, auch dort haben sich die realen Machthaber schrankenlos über die eigene Ideologie hinweggesetzt, wenn es um machtpolitische Interessen ging, auch dort sind die Lordsiegelbewahrer weiterhin in einer künstlichen Blase bar jeder Realität gefangen.
Auch hier: die Orientierung an alten Codices ist zwar interessant für die eigene Geschichte, aber die Schriften von Marx & Engels ernsthaft auf die Bedürfnisse von heute zu lesen, das hat was von der Lächerlichkeit der Bibel-beim-Wort-Nehmer.

Bloß die finanzielle Macht stellt einen Unterschied dar. Die Neo-Riches in Russland, die allesamt aus den Komsomolzen, also braven KP-Genossen hervorgingen, füttern die alten Brüder in Europa nicht mehr. Sie haben sich zunehmend entideologisiert, was im Übrigen die alleinige Schuld der alten Machthaber ist. Und aus den alten Geldtöpfen (den Reserven aus den massiven Geldflüssen via KPdSU und SED) kann z.B. die hiesige KP kaum noch leben - die letzten Reste werden jüngst verzockt worden sein.

Wahl-Verhalten

Weshalb man sich dann den Antritt bei Wahlen, wenn er so chancenlos ist, wie bei der Europa-Wahl am 7. Juni doppelt und dreifach überlegt und fast die Frist für die Unterstützungs-Erklärungen verschläft. Etwas was die Linke, die sich zur Konkurrenz der KP aufplustern wollte (nachdem die das Bündnis verweigert hatte), schon bei den Nationalratswahlen nicht geschafft hat. Auch die Versprechen für einen Aufbau danach: nix draus geworden.

Was wäre wenn... Wie würde Österreich heute aussehen, wenn man Wien wie Berlin, Österreich wie Deutschland geteilt hätte, in eine BRÖ und eine ÖDR?

Dass das in einem Land, in dem die KP nach 1949 keine neue Sympathiestimme mehr lukrieren konnte, schwerer ist, als im Osten Deutschlands, wo die "Es woor nich olles schlecht in der DDR!"-Fraktion von Ex-SED-Leistungsträgern noch einen gewissen Einfluss hat: auch nicht weiter verwunderlich.

Hier verhalten sich die Menschen, wie schon von den alten Päpsten vorausgesehen: Repräsentation-Power zieht an, Heilsversprechen (am besten samt Sündenbock) greifen sofort, aber Machtlosigkeit turnt ab - vor allem, wenn sie mit Anstregung verbunden ist.

Volksfront von Judäa

Deswegen geht auch die K-Kirche nach genau diesen Kriterien vor. Da man das mit dem Prunk finanziell nicht mehr hinkriegt, kümmert man sich hierzulande, nach dem Rückzug des einzigen, der sich tatsächlich um die Lebens-Praxis seiner Wähler kümmerte, anstatt veraltete Programme umzugießen (der steirische Landesrat Ernest Kaltenegger zieht sich nächsten Jahr zurück), einfach wieder um die Beschäftigung mit sich selbst, also die Konzile und die Bibel-Auslegung.

Hier der immer noch beste Kommentar zu diesen Wixereien: eine der "Volksfront von Judäa"-Szenen aus Life of Brian.

Das sieht bei den Ende Mai anstehenden ÖH-Wahlen z.B. so aus, dass es wieder einmal gleich zwei Listen geben wird. Neben dem KSV kandidiert auch der KSV-LiLi (= linke Liste). Vielleicht auch ein bissl eine Retourkutsche der Anhänger einer gemeinsamen Nationalratswahl-Kandidatur. Immerhin musste man sich diesmal nicht, wie 2007, erst gerichtlich einigen, wer wie heißen darf. Dass sich damit wieder maximal ein Mandat ausgehen wird, bedingt weitere Gestaltungsmachtlosigkeit und zunehmenden Fundamentalismus.

Wenn 3sat dann in ein paar jahren (wahrscheinlich ohne Herrn Schell) eine entsprechende Doku über die interessante Geschichte des Real-Sozialismus und seinen fruchtlosen Fortpflanzungs-Versuchen machen wird, dann bin ich aber sicher wieder dabei.