Erstellt am: 29. 4. 2009 - 12:16 Uhr
Männerkrisen, made in Germany
Bedeutungsschwangere, kunstgewerbliche, aufgeblasene Bilder. Dazu Dialoge, die in höchst platten Sätzen die ganz großen Themen beschwören: die Vergänglichkeit, den Tod, die Liebe. Und zu alledem noch ein Hauptdarsteller, der sich zwar redlich bemüht, aber als Laienakteur inmitten der artifiziellen Inszenierung völlig verloren scheint.
Nichts wäre leichter, als sich den unzähligen bösen Kritiken anzuschließen und über "Palermo Shooting" herzufallen.
Genau deshalb, und obwohl ich nicht die geringste Affinität zum Schaffen von Wim Wenders oder zum Frontmann der Toten Hosen habe, dachte ich mir aber: Seien wir mal nicht so streng und geben diesem Film eine Chance.
Okay, zweiter Anlauf also.
Als erfolgreicher Werbefotograf, der nach einer Beinahe-Kollision mit einem Geisterfahrer seinen hohlen Alltag überdenkt und sich nach Palermo zurückzieht, wirkt Campino ja irgendwie sympathisch. Und wer selber mal in die eine oder andere gröbere Lebenskrise gestolpert ist, mag die innere Leere seiner Figur nachvollziehen.
Wenn der frustrierte Typ mit dem seltsamen Namen Finn schließlich mit seinem iPod durch italienische Straßen flaniert und sich von Musik treiben lässt, dann folgt man ihm sogar gerne. Denn der Soundtrack ist das Beste an "Palermo Shooting": Portishead, Nick Cave, Get Well Soon, Velvet Underground oder Beirut geben sich die Ehre.
Senator Film
Aber ab einem bestimmten Punkt hilft leider auch die atmosphärische musikalische Untermalung nicht mehr. Spätestens wenn Finn, gebeutelt von der Midlife Crisis, auf den leibhaftigen Gevatter Tod trifft, dargestellt von einem weißgeschminkten Dennis Hopper, wird es unangenehm peinlich.
Wahrscheinlich soll diese Schlüsselszene an Ingmar Bergmans Überklassiker "Det sjunde inseglet" (Das siebente Siegel) erinnern, in dem ein lebensmüder Ritter mit dem Sensenmann parliert.
Die Gespräche, die der arme Campino mit dem outrierenden Hopper führen muss, unter anderem über den Realitätsverlust im digitalen Zeitalter, wirken aber wie einer grauenhaften "Jedermann"-Aufführung irgendeines deutschen Regietheater-Zampanos entliehen.
Einen metaphysischen Thriller zwischen Lynch, Antonioni und eben Bergman wollte Wim Wenders nach eigenen Aussagen drehen - aber "Palermo Shooting" fehlt genau das, was viele Werke dieser Altmeister auszeichnet: ein Geheimnis. In diesem überlangen Arthouse-Videoclip wird alles ausgesprochen, breitgewalzt, erklärt.
Traurig, dass gerade ein Film, der die Oberflächlichkeit der Welt beklagt, vor allem eines ist: pure Oberfläche.
Senator Film
Und noch ein Streifen aus Deutschland, in dessen Mittelpunkt ein Mann steht, der sich von seiner glamourösen Tätigkeit aufgefressen fühlt und in die Krise taumelt, kommt mit Verspätung zu uns.
"Auf geht’s, ab geht's, 3 Tage wach, nächste Party kommt bestimmt, 3 Tage wach, Afterhour vor der Hour, weitergemacht, 3 Tage wach, jetzt wirst du langsam schwach": Frei nach Lützenkirchen gibt sich die Techno-Ikone Ickarus (alias Paul Kalkbrenner) in "Berlin Calling" die volle Kante.
Unentwegt tourt der DJ mit seiner Managerin und Freundin (Rita Lengyel) durch die globalen Clubs, die Erschöpfung bekämpft er mit lustigen Zuckerln. Bis eines Tages der Körper nicht mehr will. Nach einer besonders exzessiven Party bricht Ickarus zusammen.
Der Star-Plattenaufleger erwacht in einer psychiatrischen Klinik. Die behandelnde Ärztin (Corinna Harfouch) stellt ihn vor die Wahl: Er kann entweder in Ruhe seine Sucht auskurieren oder weitermachen wie bisher und dabei an den Rand einer Psychose kommen.
Für Ickarus beginnt ein Kampf um sein Seelenheil, seine Beziehung und nicht zuletzt sein überfälliges neues Album.
Polyfilm
"Berlin Calling" möchte weder ein Porträt der deutschen Ausgeh-Hauptstadt noch eine Annäherung an die dortige Electro-Szene sein. Regisseur Hannes Stöhr will am Beispiel des fiktiven DJ Ickarus eine universell gültige Geschichte erzählen. Es geht um den guten alten Mythos vom leidenden Künstler, der auch in jenen Technokreisen kultiviert wird, die einst gegen den Genie-Begriff wetterten.
Der drogengeschädigte Elektronikproduzent, der im Teufelskreis zwischen Kreativität und Kollaps, Exzess und Katerstimmung herumschwirrt, schließt an die gequälten Charaktere in unzähligen Biopics an, von "Walk The Line" bis "Control".
Was "Berlin Calling" aber doch eigen macht und von anderen Musikerporträts unterscheidet, sind eben die flirrenden Momentaufnahmen aus dem Nachtleben. Abseits gestelzter Discoszenen in etlichen Kinowerken haben diese Blitzlichter etwas Rohes, Glaubwürdiges, Authentisches.
Schade, dass sich trotz dieser Bemühtheit dennoch Klischees in den Film einschleichen. Manche Stereotypen, wie die knallharte Türsteherin, der schmierige Clubbetreiber und der windige Drogendealer wirken wie aus einem TV-Tatort entlehnt.
Das alles macht aber der charismatische Hauptdarsteller wett: Der deutsche Minimal-Star Paul Kalkbrenner überzeugt, wohl dank langer Erfahrung im Ausdauersport des Feierns, als exzessiver Ickarus und steuert auch noch einen großartigen Soundtrack bei.
Fazit: Ein sehenswerter Trip in die Welt von Sex, Drugs & Vierviertelbeats, nicht nur für alle, die selber gerne ihre Augenringe zählen. Also wenn schon Männern beim Abstürzen und Wiederaufstehen zusehen, dann eher in Berlin als in Palermo.
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