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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

28. 4. 2009 - 15:26

Journal '09: 28.4.

10 kommentierte Thesen zum Modernisierungsversagen der Medieneliten.

Vor ein paar Tagen hat hier im Forum dieser Geschichte (in der ich den wenig innovativen und lösungsorientierten Ansatz den diese Industrie in Bezug auf sogenannte Musikpiraten einnimmt - unter besonderer Berücksichtung der noch weit strukturkonservativeren Anwälte und Richter - kritisiert habe) ein beleidigter Musikbranchen-Lobbyist folgendes geäußert: "glaub mir eins: die Musikbranche (und da sind nicht allein Musiker kreativ) löst das Problem lange vor der Medienindustrie."

Da kann er recht haben.

Denn die Medienbranche steht den Problemen, die die neuen Technologien und das neue Medienverhalten der Konsumenten nach sich zieht, ja auch überraschend starr gegenüber. Obwohl sie ja aus den Fehlern, die die Musikindustrie seit Jahren prototpyisch vorführt, eigentlich viel hätte lernen können.

Ob die Musikbranche tatsächlich das richtige Maß aus Kreativität (also dem Denkangriff nach vorne) und Abwehrschlacht (dem trotz allem notwendigen Schutz der Autorenrechte) findet, und zwar rechtzeitig, möchte ich zwar leise bezweifeln: aber die Chancen der aktuell völlig beratungsresistenten Medien-Branche sind tatsächlich zumindest ähnlich schlecht.

Denn während sich die Musikindustrie zumindest einmal schon an den Gedanken gewöhnt hat, dass ihr Produkt in der Hauptsache nur noch digital kursiert, ist diese (recht baldige) Zukunfts-Szenario den Print-Betreibern noch nicht klar. Das hängt mit den unsinnigem Glauben daran zusammen, dass Print-Produkte weiter einen fetten Teil des Markt-Kuchens anknabbern werden - was aber zb im Vergleich mit den CD-Absätzen rein gar nicht stimmt.

Wer sich aufgrund einer subjektiven Annahme der Beschäftigung mit den neuen Herausforderungen entziehen will, ist arm dran.

Nun ist Österreich anders.

Auch interessant: aktuelle Anmerkungen des Klimek-Pseudonyms Terence Lennox zum Thema Magazin-Journalismus.

Im konreten Fall so anders (und noch strukturkonservativer), dass die überall sonst schrillenden Alarmzeichen gar nicht angekommen sind. Mein guter Bekannter Manfred Klimek hat das unlängst unter dem schönen Titel Print ist tot. Nur in Österreich nicht. Warum eigentlich? zusammengefaßt.
Es handelt sich dabei um das übliche Delay, mit dem Österreich erreicht wird. Das kann ein katastrophaler Nachteil sein, aber auch ein kleiner Vorteil - wenn man rechtzeitig Erkenntnisse sammelt und evaluiert.

Dann hat mir heute Leser mike.offside (danke dafür!) einen Link auf die gestern erschienenen 10 Thesen zum Modernisierungsversagen der Medieneliten des deutschen Medienforschers Robin Meyer-Lucht geschickt und folgende Anregung dazu: "Hab gerade diesen Artikel gefunden und mir gedacht kann man doch fast alles ebenso auf das konservative Österreich übertragen."

Könnte man; und weil diese Punkte genau die Fragen ansprechen, die den gesamten Medien-Komplex (teilweise auch die verwandte Musikindustrie) in den nächsten jahren betreffen werden, machen wir das doch einfach.

These 1

Die Thesen sind wie gesagt von Robin Meyer-Lucht, Medien-wissenschafter und Gründer des Berlin Institute, ein Forschungs- und Beratungsinstitut für den digitalen Medien-wandel. Sie wurden gestern auf seiner Online-Platform CARTA veröffentlicht, als Reaktion auf eine aktuelle Debatte in der Zeit, der FAZ, Netzpolitik.org und anderen Special-Sites.

Das Kernproblem vieler Medienunternehmen ist die technologisch und ökonomisch bedingte Erosion ihrer Positionen in Markt und Gesellschaft. Ihre angestammten Oligopole schmelzen dahin. Vor allem der technologisch erweiterte Wettbewerb um Leser und Anzeigengelder, die neue Vielfalt der Wissensproduktion, bedrängen die alten Institutionen, etwa die journalistischen Verlage - nicht grassierende Urheberrechtsverletzungen.

Das ist ganz wichtig - und gilt gleichermaßen auch für die Musik-Industrie. Nicht der Pirat bedroht irgendwas oder -wen (das will uns die PR der Lobbyisten weismachen, die sich - cleverweise - einen Uralt-Reflex der Menschen nach einem leicht identifizierbaren Sündenbock zunutze macht), sondern der digitale Quantensprung der Möglichkeiten, die Demokratisierung der Wissensproduktion.
Problem: die Branchen glauben mittlerweile selber an die eigene PR und verschließen sich so dem wirklich relevanten Feld.

These 2

Mit dem Netz steht eine neue Infrastruktur für eine neue Wissensökonomie bereit, der sich die klassischen Eliten in diesem Land mit großer Geste verschließen. Statt die neue Ordnung zu gestalten, pochen sie auf ihre klassischen Geschäftsmodelle. Die Forderungen um das Urheberrecht stehen hier vor allem auch für den legalistischen Versuch, die alte Ordnung ins neue Medium zu übertragen. Dies muss aber aufgrund des neuen Wettbewerbs und der neuen technologischen Basis misslingen.

Das hat Kollege Burstup in seiner Analyse des Pirate Bay-Urteils fast noch besser gesagt: Ich frage mich: Ist das traditionelle Geschäftsmodell der Unterhaltungsindustrie eher bewahrenswert, als ein Netzwerk, in dem die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte weltweit und nahezu simultan Information und Kunst austauschen kann? Dieses Netzwerk selbst ist ein zu schützendes Kulturgut.

Und die prinzipielle Absurdität des Versuchs die alte Ordnung per Gesetz in eine neue überzuführen, die dann auch tatsächlich funktionieren kann, war bereits hier ausführlicher Thema.

These 3

Das Internet gefährdet unsere Kultur? Na sicher, und das ist auch gut so. Unsere bisherige Kultur ist nicht das Ergebnis einer höheren Vorsehung, kein normativer Fixpunkt, sondern lediglich die nach den bisherigen technologischen Mitteln beste Antwort auf die Fragen und Ansprüche der Gesellschaft. Die bisherige Medien- und Wissensordnung ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Dies zeigt das Verhalten vieler Nutzer, die sich nun mit Wonne im Netz von ihr verabschieden.

Das ist noch eine Spur offensiver: da mischt sich Darwin mit dem survival of the fittest und dem Prinzip des "persuit of happiness" (das ja ein Mitgrund dafür ist, warum die USA hier am weitesten voran sind).

In diesem Zusammenhang sei auf - ebenfalls von Meyer-Lucht auf CARTA - zusammengefaßte 8 Thesen von Tim Renner verwiesen, die sich allerdings hauptsächlich mit der Musikindustrie auseinandersetzen.

Nochmal, langsam: wer glaubt aktuelle Kultur-Systeme und Strukturen per se bewahren zu müssen, denkt noch analog und verabschiedet sich ins 20. Jahrhundert. Wie sagt Tim Renner so schön? "Mit der Digitalisierung verhält es sich wie mit dem Wasser: sie sucht sich ihren Weg."

These 4

Die “Kostenlos-Kultur" des Internets ist Ausdruck dieser neuen Wettbewerbs- und Technologie-Verhältnisse. Dabei sind viele der Inhalte nicht kostenlos, sondern werbefinanziert. Die Werbefinanzierung wiederum wird (neben Makro-Zahlungen, wenn sich die Modelle denn durchsetzen) der dominante Finanzierungsmodus der Inhalte-Industrie im Netz sein: Zeitungen, Bücher, Musikindustrie — sie alle werden im Netz nach dem Modell des (Kabel-)Fernsehens funktionieren.

Interessanterweise klammert der Autor da das öffentlich-rechtliche Modell aus, das dann erst in These 9 durch die Hintertür wieder reinkommt. Hat aber vielleicht damit zu tun, dass er eine reine Print-Debatte führt - was mir wiederum zu kurz gedacht ist. Denn auch die Öffentlich-Rechtlichen sind mittendrin im Spiel, nicht nur, was ihre Netz-Auftritte betrifft. Für die hier angeführten Beispiele (Zeitungen, Bücher, Musik) stimmt's aber natürlich.

These 5

Es ist hochgradig peinlich, wie die Qualitätspresse sich hier zu Verklärern in eigener Sache machen lässt: (man) trennt nicht zwischen Kostenlos-Kultur und Urheberrechtsverletzungen, macht die Pirate Bay-Betreiber kurzerhand zu “Texträubern??, obwohl dies ganz sicher keine Hauptanwendung ihres Angebots ist. Statt zu differenzieren wird hier zur eigenen Selbstvergewisserung in der Krise grob verallgemeinert.

Das ist in Österreich deshalb besser, weil diese Diskussion hierzulande nur von Spezialisten und Mitdenkern geführt wird, während sich die Print-Medien (in Abwesenheit eines Gefahrenbewußtseins) überhaupt noch nicht dazu aufgerafft haben sich einzuklinken. Man will mit dieser ganzen bösen neuen Welt nix zu tun haben - und man bekommt diesbezüglich auch Rückendeckung von den Strippenziehern dahinter.
Ein wie Raiffeisen funktionierendes und denkendes Österreich blendet die Vorstellung einer Veränderung von außen nämlich einfach aus. Nicht aus denselben Gründen wie die Rechtspopulisten, die alles von außen kommende für Böse halten, sondern aus der weinseligen Provinz-Tradition des Reblausismus der Marke Figl, der Fremdes sofort assimiliert.

In einer Phase, in der Österreich (gefühlt, vielleicht auch real) seine östlichen Nachbarn ökonomisch unterwirft, ist es für diese Unterwerfer (und die dominieren und beherrschen auch Politik und Medien) undenkbar, dass neue Kulturtechniken Einzug halten können, ohne sie, die wirklich Mächtigen im Lande vorher um Erlaubnis gefragt zu haben.

These 6

Die Adaptionsverweigerung der Medieneliten in Deutschland wird langsam zum Problem. Dieses Land befindet sich in einem Ideenwettbewerb mit anderen Kulturen, was man eigentlich mit dem Netz anfangen kann. Hierzulande wird aber lieber über Google gemeckert als überlegt, in welchen Segmenten man Google herausfordern kann. So ist man tatsächlich nicht für die Veränderungen gerüstet.

Da hat Deutschland ein anders geartetes Problem als Österreich. Denn die Medieneliten von denen hier die Rede ist, die Hamburger Kaufleute von Zeit oder Spiegel, die Schirrmachers und Süddeuutschen in all ihrer prächtigen ethischen Unabhängigkeit, die gibts bei uns, im seit der Nazizeit um seine Intelligenzia erleichtertem Österreich ja nicht. Absichtsvoll, weil auch die Nachkriegs-Rückholung bewußt hintertrieben wurde, um die politische Verdummung vorwärtszutreiben.
Insofern stellt sich diese Frage in Österreich gar nicht, weil sie keiner zu stellen vermag.

These 7

Es gibt kein Recht auf die völlige Ignoranz neuer technologischer Mittel und die Nutzung überkommener Geschäftsmodelle: Die Medienindustrie ignoriert weite Teile der technologischen Potenziale des Internets, weil sie nicht zu ihrem Geschäftsmodell passen - etwa die Möglichkeit, Kinofilm-Premieren zugleich auch im Netz stattfinden zu lassen. Wer sich dem neuen Medium derart verweigert, ist an der Misere auch selbst schuld. Das einzig wirklich Erfolg versprechende Mittel gegen massenhafte Urheberrechtsverletzungen sind legale Angebote, die besser und bequemer sind als die der Piraten.

Die angesprochene Verweigerung ist in Österreich noch schlimmer als in Deutschland. Die (neben dem alles an die Wand spielenden ORF-ON-Seiten) einzige funktionierende Internet-Nutzung eines Mediums ist die Standard-Website. Aber selbst die entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als Imitation einer Web-Plattform, weil sie sich zu sicher 75% als Copy-Paste-Abalde-Station von Agentur oder Print-Meldungen versteht.

Was in einem Land, in dem Journalisten (und nicht die schlechtesten) von sich behaupten ein Weblog zu führen, indem sie eine Seite für ihre bereits veröffentlichten Print-Geschichten eröffnen, natürlich kein echtes Problem darstellt - weil sich auf einem derart tiefen Wissens- und Niveaustand alles nach unten nivelliert.

These 8

Das Urheberrecht muss in der Tat im Netz verstärkt geschützt werden. Produzenten haben ein Recht darauf zu entscheiden, wann und zu welchem Preis sie ihr Werk veröffentlichen. Das uneingeschränkte Herunterladen von Musik und Filmen hat nichts mit einer “technisch bedingten Nachhaltigkeit unserer Demokratie?? zu tun. Hier wird zusammengerührt, was nicht zusammen gehört. In einer sozialen Marktwirtschaft ist jeder auch für die externen Effekte seines Handelns verantwortlich. Das gilt nicht nur für Banker, sondern auch für Downloader.

Right. Daraus allerdings einen Freibrief für Zensurmaßnahmen abzuleiten, wie sie in Frankreich gerade abgelehnt und für Deutschland befürchtet werden, hat etwas chinesisches. Dazu sind im übrigen die Anmerkungen von WordPress-Chef Matt Mullenweg hier im FuZo-Interview mehr als interessant.

These 9

In der neuen Wissensökonomie des Internets wird die nicht- oder teilkommerzielle Produktion von Inhalten ein sehr viel größeres Gewicht haben. Daher handelt es sich hier auch um einen Kampf zwischen zwei Modi der Kulturproduktion: Zwischen kommerzieller und nichtkommerzieller Inhalteproduktion — und ihren unterschiedlichen Produktionsvoraussetzungen.

Das bezieht sich wohl auf ein künftig in allen möglichen Bereichen denkbares Wikipedia-Modell. Ist mir ein wenig zu vage angerissen. Wie ist das jetzt mit den Produktionsvorraussetzungen? Stellt die der Staat, die Gemeinde? Sind das freie Medien im Selbstausbeutungs-Modus? Oder geht es um Special-Interest-Publikationen, die nach Abo-System funktionieren?

These 10

Das Schlimme an dieser Internet-Debatte ist der insgesamt strukturkonservative Impuls weiter Teile der Wissensindustrie in diesem Land. Die Sache folgt einem normativ-autoritären Impuls, der leider verkennt, dass am Ende der Nutzer entscheidet, in welcher Medienwelt er leben möchte.

Klingt fast marxistisch, hat aber auch was von der primitiv-neoliberalen Definition von "Erfolg". Dass das, was da ist, dass das, was viele ansehen, auch gut ist, diese Art der Daseinsberechtigung rechtfertigt Millionen von Scheißhaufen für Milliarden von Fliegen.
Diesen naiv klingenden Satz kann man anno 2009 wohl deshalb sagen, weil die tatsächliche Abstimmung via Klick die virtuelle Hochrechnung der sogenanten Quoten oder die erfindungsreiche Aufschneiderei bei "Auflage"-Zahlen effektiv in den Arsch tritt.

Die 4 Phasen der Trauer
1 Nicht-Wahrhaben-Wollen, Schockphase
2 Aufbrechende Emotionen, kontrollierte Phase
3 Suchen, finden, sich trennen, Regression
4. Neuer Selbst- und Weltbezug, Anpassung

Meyer-Luchts Fazit: "Die Debatte zeigt tatsächlich vor allem eines: den Unwillen, sich auf die neue Wissensökonomie des Netzes einzulassen. Statt zu gestalten zetern die Vertreter der alten Medienelite. Dabei kann auch das Urheberrecht ihre alten Positionen nicht retten."

Komischerweise wäre ich froh, wenn in Österreich mehr gezetert werden würde. Das hieße nämlich, dass man bei den vier Phasen der Trauer über das Ende der analogen Epoche immerhin schon bei Punkt 2 angekommen wäre. Und das wär ja schon was.