Erstellt am: 27. 4. 2009 - 23:00 Uhr
Journal '09: 27.4.
Geheimer Sub-Titel: ... und was das mit Jürgen Klinsmann zu tun hat.
Ich erlebe, vor allem in den letzten Monaten, durchaus etliche Diskussionen, Workshops, Debatten, Gespräche etc rund um den ORF - und zwar durchaus über die aktuelle den politischen Engriffen geschuldete Oberfläche hinaus.
Am Rande darf ich hier auf die aktuelle Initiative von sos-orf aufmerksam machen, ohne weiteren Kommentar, weil sich das für einen Mitunterzeichner nicht geziemt.
Dabei ist eines auffällig, und weil ich grade eben wieder aus so einer ein paar Stunden miterlebten Parallelwelt hinaustauche, und es dort wieder einmal erlebt habe, möcht ich es thematisieren. Und zwar das, was ich den Furor der Hemmungslosigkeit nennen möchte, wenn vom Fernsehen die Rede ist.
Es ist nämlich recht egal, wie g'scheit oder blöd die Menschen sind, wie vorgebildet oder unwissend, wie branchenkundig oder -fern: wenn ein bestimmtes Medium auftaucht, dann verliert praktisch jeder die Beißhemmung, die man jedem anderen Professional gegenüber einfach hat.
Und das ist nicht einmal böse gemeint.
Es passiert den Besten.
Die tolle Zeitschrift "Fleisch" hatte vor nicht allzu langer Zeit eine Umfrage, die sie unter Fernsehleuten gemacht hatte, als ORF-Befragung verkauft - und selbst diesen kritisch denkenden Menschen fiel es nicht auf; dass ihnen, wenn es ums Mit-/Rein-/Quer-/-Quatschen, wenn es ums Fernsehen, nein, wenn es ums ORF-Fernsehen geht, der Verstand plötzlich in die Hose plumpst.
Aus dem Unterleib
Dann geht der innere Marboe, den wir scheinbar alle ins uns tragen, mit uns durch, und wir werden zu Unterleibs-Programmplanern, die alles besser wissen, die auf Hinweise nicht nur nicht reagieren, sondern sie instinktgeladen wegwischen wie ein Bröserl vom Wirtshaustisch.
Heute war's wieder genau so.
Im Rahmen einer umfassenden Beschäftigung mit einem der zentralen im ORF-Gesetz vorgeschriebenen Themen der Öffentlich-Rechtlichkeit, dem Sport nämlich (der von Filetierern gern rausreklamiert werden würde, wie die Unterhaltung auch), hatten die im Rahmen einer Art Workshops angetretenen Seher/Hörer/User genau gar kein Problem was die Radio-Berichterstattung betrifft, sprachen ganz normal und umgänglich über Emotionalität bei Live-Einstiegen, waren auch bei den schriftlichen Medien wie Online oder dem Teletext voll von vernunftgetriebenen Einwürfen, die Punkte wie journalistische Qualität oder zeitgerechte Updates betraf.
Sobald es allerdings um das Fernsehen, nein, das ORF-Fernsehen ging, setzte der Verstand einer aus 50 Menschen bestehenden, zufällig gewürftelten Gruppe kollektiv aus.
Es war nicht einmal ansatzweise möglich dieselben Kriterien wie bei Radio/Internet anzuwenden - wenn von der TV-Berichterstattung, nein, der ORF-TV-Berichterstattung, vor allem und in erster Linie der Live-Berichterstattung die Rede war, setzte eine Projektions-Flut, ein Zuschreibungs-Irrsinn ein, der vergleichbare Absurdidäten wie die x Millionen ÖFB-Teamchefs locker in den Schatten stellt. Denn die haben zumindest akzeptiert, dass sie nur 11 Spieler aufstellen könnten, wenn sie am Ruder wären.
Raserei
Alle, die von der kollektiven Programmplaner-Raserei ergriffen sind (also alle), gehen hingegen (um beim Teamchef-Bild zu bleiben) mit gut 33 Spielern, die noch dazu mit technisch unerlaubten Hilfsmitteln (und teilweise auch mit Dopingmitteln) ausgestattet sind, auf den Platz.
Der Hinweis darauf, dass Sportrechte, vor allem in den drei Hauptsportarten des TV-Österreichers (Fußball, Ski, Formel 1 - dahinter kommt lange nichts) einerseits viel Geld (bei zunehmend geringeren Budgets) kostet und der Lizitations-Politik ausgesetzt sind, nützt gar nichts. Ebensowenig der Verweis dass die Forderung nach einer Art Quote für Randsport/Jugendsport/Breitensport (zutreffendes anzukreuzen) ein verlogener ist, der den eigenen Konsuminteressen zuwider läuft.
Ich denke das hat damit zu tun, dass die meisten Menschen die meisten Medien durchaus als journalistisch eigenständig betrachten - und sie auch so wollen. Selbst öffentlich-rechtliches Radio, selbst ihr Ö3, ihr FM4 oder ihr Ö1.
Praktisch alle Menschen jedoch sehen genau ein Medium, nämlich das Fernsehen, genauer "das ORF-Fernsehen" nicht so, sondern als großes Lobby-Instrument, und zwar als eines, das gefälligst sofort auf das Individuum zugeschnittete Inhalte zu präsentieren habe.
Das ist so kindisch, das es schon wieder was hat - da darf man über die Abstimmung per Fernbedienung gar nicht lachen.
Die Medien, die schnell und beweglich sind - derzeit vor allem das Web und das Radio - denen traut der Konsument im wesentlichen.
Dort funktioniert das inhaltliche Outsourcing, da verläßt man sich. Da ist das Mitredenwollen vergleichsweise unterentwickelt.
Just das unbeweglichste aller Medien,
das, das unglaublichen technischen Aufwand und viele Vorläufe braucht, das Fernsehen jedoch, soll auf Zuruf, auf Fingerschnippen dem individuellen Programmplaner (bei einer 50er-Gruppe sind das 50 grundverschiedene Richtungen, das nur zur Diversität dieser Einstellung) funktionieren.
Just das Medium, das zwar in der Spitze die wirklichen Massen befriedigt, in der Breite aber deutlich hinter den anderen Medien zurückbleibt.
Jeder Hinweis auf die Absurdität dieser Haltung prallt ab wie an einem Teflon-Cape. Das Fernsehen, nein, das ORF-Fernsehen, ist die Lobby-Anstalt der persönlichen Bedürfnisse - also eine Bedürfnis-Anstalt.
Im Rahmen der heutigen Debatte kam einmal das Argument, es wäre doch nicht gut zuviel über die aktuellen Doping-Geschichten zu berichten. Die Bösen bekämen da zuviel Zeit gewidmet und man würde den entsprechenden Sportarten (zb Rad) den Zulauf der (abgeschreckten) Jungen verwehren.
Der Planer-Furor der unabsichtlich Beißenthemmten sprach sich also für eine Zensur durch quasi höheres Interesse aus: die dem ORF-TV zugeschriebene Lobby-Verantwortung wäre wichtiger als die journalistische Pflicht.
Eine Pflicht, die den anderen Medien unbenommen ist.
Sport = Politik
Wer jetzt lacht, und sich an einer Zufallsschnittmenge der Bevölkerung, die immer für allerlei Albernheiten abputzen möchte, der sei darauf hingewiesen, dass sich all das exakt auch über die machtpolitischen Zuschreiber und Einflußnehmer sagen läßt.
Das was der (in Obrigkeits-Hörigkeit und Lobbyismus) eifrig geschulte Österreicher da im sehr breiten und populären Sportbereich anstrebt ist genau dasselbe, was die derzeit an einem neuen ORF-Gesetz herumbastelnden Regierungs-Politiker machen: auch ihnen ist die Lobby-Rolle der ORF-TV-Berichterstattung (in dem Fall die der politischen Information) wichtiger als die journalistische Pflicht.
Wie das mit der Kontrolle der Zeitungen geht, erzählt heute Ex-Standard-CR Gerfried Sperl in einer wirklich erschütternd bitteren Kolumne.
Die von anderen Medien (wohl wieder dem Radio, dem von ihnen unterschätzten, weil ihnen noch unbekanntem Netz, und auch den eh auch schon großteils kontrollierten Zeitungen) ruhig erfüllt werden darf.
Nur fürs Fernsehen, nein fürs ORF-Fernsehen gelten andere Regeln. Die der Enthemmung.
Das ist in der Vorstellung vom großen Politiker ebenso wie in der des kleinen Mannes ein Selbstbedienungsladen, in dem jederzeit gefuhrwertk werden kann. Dieser Denk-Tradition entsprechend kann das ORF-Fernsehen gar nicht zur Ruhe kommen, ist sowas wie die Erfüllung eines Auftrags gar nicht möglich. Dazu müßten sich die hysterischen Breiverderber-Köche nämlich ebenso nobel zurückziehen wie aus den anderen Medien.
Und diesem Instinkt, diesem Verlust von Hemmung nicht nachgeben.
Sonst droht ihnen ein ewiges Uli Hoeneß-Schicksal der Unzufriedenheit, ein ewiges Hinterherlaufen hinter den eigentlichen Ansprüchen.