Erstellt am: 26. 4. 2009 - 17:24 Uhr
Kein Remmidemmi
4:41 Minuten brauchen Deichkind für "Remmidemmi". Eltern außer Haus, Kind allein mit Rasenmäher und Pool, auf die Pizza folgt die Party. Das Setting für die Party-Folge jeder Nachmittagsserie steht damit. Der Nachwuchs von 90210 sitzt am beleuchteten Pool und flirtet zaghaft. Der Nachwuchs in Sturmfrei sitzt am beleuchteten Pool und ist so schüchtern, dass er auf die eigenen Beine starrt, statt einander anzuschauen."Sturmfrei" ist der erste Film von Kameramann Hans und seinem Sohn Niko Selikovsky und weiter als Küssen will darin einzig die Nachbarin gehen.
Selikovsky
Frau Elser von nebenan ist auch die einzige Neuerung im vertrauten vorstädtischen Figurenkabinett. Hinter der Tujenhecke lebt eine alleinstehende Fünfzigjährige das Leben der anderen durch ein Fernrohr und wird nicht nur aufdringlich, sondern dem neunzehnjährigen Niko auch zudringlich. Niko Selikovsky spielt Niko, der lieb schaut und lieb ausschaut, der aber schüchtern ist und sich selbst so gar nicht als den Mädchenschwarm sieht, der er ohne Wimpernzucken sein könnte. Freunde von Niko spielen die Freunde von Film-Niko und am Erträglichsten macht das Teresa Blaschke – sofern die jungen Darsteller sich nicht ohnehin allesamt selbst spielen, doch das will ich ihnen mal nicht unterstellen.
Selikovsky
An der Erwachsenenfront agieren Adele Neuhauser und Wolfgang Böck wie man es von ihnen aus dem TV-Hauptabendprogramm gewohnt ist. Für die Überraschung sorgt Harald Krassnitzer. An österreichischen Tatort-Sonntagen, an denen er unter picknickenden greisen Bärtigen auf almberauschten Bergwiesen ermittelt, zwingt mich Krassnitzer zum augenblicklichen Sturz in andere Programme. Hier taucht Krassnitzer ebenfalls unerwünscht auf. Und zwar als Onkel, der an der Teenie-Party und vor allem am Blondie in der Runde Gefallen findet. "Nimm das Leben in die Hand", rät der Onkel, "und die Weiber". Ja, die Szene sitzt. Eine Fehlbesetzung ist die Nachbarin, die jeden ihrer Sätze in ein seltsames Hochdeutsch verpackt. Dabei hätte die Figur das Potential zu einer Schrulligkeit, die weit ins Unheimliche reicht.
Liselotte wird vom Pizzaboy eingecremt
Um einen Pool ließen sich Coming-of-age-Geschichten mit Tiefgang ansiedeln. Doch die Selikovskys wollen unterhalten. Sie seien Handwerker und keine Künstler, sagt Hans Selikovsky, der bei "Müllers Büro" und "Trautmann"-Folgen an der Kamera stand. Er wisse nicht, ob sich ein Jugendlicher die meisten österreichischen Filme von Haneke, Seidl oder Albert ansieht. Das mag eine berechtigte Frage sein. In "Sturmfrei" schiebt Niko eine Pizza in der Verpackung ins Backrohr, der Witz löst sich mit dem Tiefkühlgericht in Rauch auf. Gezählte drei Mal kichern die drei Dreizehnjährigen hinter mir. Die Handlung plätschert im Sekundenstil vor sich hin, erstmal wird die 750ml-Tube Sonnencreme ausgepackt, der obligatorische Pizzabote hat seinen Auftritt – und bis zum Finale schleppt sich die Poolparty artig dahin. Da wünscht man sich das Poolhaus in O.C. California zurück. Niko nuschelt und schaut mit gesenktem Blick, einmal das Blondie Angelina und dann Sophie an, der beste Freund Luke analysiert: "Ein Hund, zwei Knochen".
Keinen Schritt wagt man sich über das traute Idyll um den Gartenteich hinaus, einzig der Goldfisch darf um Luft schnappen. Einen optischen Ausbruch aus der Biederkeit erlauben sich die Selikovskys nur mit einer Kamerafahrt, die zu Beginn das Haus erkundet, indem sie dem Staubsauger folgt. Der wilde Traum von der feuchten Party wird nicht aufgeblasen wie das Plastikenten-Schwimmtier, das hätte am Ende ja noch lustig werden können. Die Botschaft für die dreizehnjährigen Besucher: Das gehortete Kondom wird noch länger unter dem Zirkel versteckt in der Schublade bleiben und das macht überhaupt nichts, das ist normal. Dagegen ist nichts einzuwenden - nur warum braucht man dafür 94 Kinominuten?
"Sturmfrei" gibt sich so angepasst wie die Walsh-Zwillinge. Die hatten doch auch einen Pool im Vorgarten, aber ich kann mich an keine einzige Pool-Party-Folge erinnern. Shannon Doherty und Co. dürfen 2009 wieder Milkshakes schlürfen. Und Tilly and the Wall in der ersten Folge der "Beverly Hills"-Reanimation "90210" stepptanzen. Samstagnachmittags sollte man weiterhin dringend an die frische Luft.