Erstellt am: 25. 4. 2009 - 12:22 Uhr
Spiritual Glitter-Demons
Wir haben am frühen Nachmittag schon eine kleinen Exorzismus mit dem Reverend Billy gemacht. David Pfister hat sich eine Portion Predigt abgeholt und FM4 gleich die ganzen Dämonen austreiben lassen. Guten Gewissens also begeben wir uns in einen Tag, der großen Wert auf "Performance" legt.
Chrome Hoof
Als ich während der Recherche erfuhr, dass Chrome Hoof ein 12-köpfiges Orchester ist, das zwei Genres verbindet, die seit tausend Jahren Spinnefeind sind, war ich hellauf begeistert. Ja, das ist die Band wo sich Doom-Metal und Glitzer Disko die Hand reichen. In ihren Space-Age Umhängen, Sternchen-Schminke, und mit Fagott unterm Arm legen sie los - eine wilde Prog-Rock Sause, die unterstreicht, dass das wirklich Blasphemie ist, was hier in der Minoritenkirche passiert. Ihre Inspiration kommt von der Metaphysik - und die Frontfrau tanzt, als würde sie einen Voodoo Zauber auf uns legen. Obwohl mir das ästhetisch sehr gut gefällt, gibt es aber doch zu wenig Variation in der Musik und der Show für mich. Aber, Milo, einer der Bandgründer gesteht mir nacher im Interview - das beste für ihn sei Acid Jazz, wo 10 Minuten lang das Gleiche passiert.
Florian Schulte
Reverend Billy
Bei einem nachmittäglichen Exorzismus haben sich Reverend Billy und David Pfister angefreundet, ich übergebe deswegen kurz an ihn:
Jedes Donaufestival hat seinen eigenen Aktionismus-Zampano zwischen Narretei und heiligem Eifer. Gut ist mir zum Beispiel noch Jean-Louis Costes mit seinem kotenden Mozart in Erinnerung. Dieses Jahr hat das Donaufestival Reverend Billy & The Stop Shopping Gospel Choir bekommen. Ein beseelte Truppe im Kampf gegen Größenwahnkapitalismus.
Florian Schulte
"Im Verbund mit den unglaublich beseelten SängerInnen des "Stop Shopping Gospel Choir" wird er dich lehren, dich von der Werbung abzuwenden, dich aus den Fesseln des Marketings zu befreien und die magische Kraft des Medienimperiums, das du in deiner Seele trägst, zu entblößen", so der Reverend selbst über seine Kunde.
Und die bringt er in klassischer amerikanischer Fernsehpredigermanier. Gemeinsam mit seinem eifernden Gospelchor predigt, sing und fanatisiert Reverend Billy lautstark gegen das kapitalistische Ungemach. Das hat ihm ein weltweites Starbucksverbot beschert.
Reverend Billy beginnt seine Andacht am Vorplatz des Messegeländes, schwadroniert und singt und heiligt die Festivalbesucher, dann zieht man in einer langen Prozession in die Kirche. Dort steigt dann die Teufelsaustreibung der von Konsumgütern verschmutzten Seele und die Dämonen werden aus den Kreditkarten ausgetrieben. Der Reverend predigt, seine Band singt beseelt wie ein gestandener Gospelchor und die Besucher kommen kontinuierlich in Laune. Aktionismus kann also wirklich richtig charmant, lustig und sinnvoll sein. So ein Happening zwischen Polyphonic Spree, Jim Jones und Naomi Klein hat das Donaufestival gebraucht. Allein mit Reverend Billy & The Stop Shopping Gospel Choir hat das Festival seinen selbstauferlegten Auftrag "Fake Reality" erfüllt.
Florian Schulte
Sunset Rubdown
Florian Schulte
Die große Halle eröffnen heute Sunset Rubdown, ein Export aus Montreal, der viel Gewicht mit sich bringt. Spencer Krug, der Frontman, tüftelt nebenbei auch noch bei den Indie-Helden "Wolf Parade", bei Swan Lake und bei Frog Eyes. Ziemlich vielbeschäftigt. Man merkt bei ihrem Set anfangs noch ein bißchen Schüchternheit und Demut, sobald die Nebelmaschine angeht, legen sie allerdings hemmungslos los. Spencer's Stimme ist sehr eindringlich, was er eben schon bei Wolf Parade bewiesen hat, was bei Sunset Rubdown, gepaart mit den wunderbar literarischen Lyrics aber eine neue Dimension bekommt. Da ist Pathos, da ist Leid - aber gekoppelt mit einer Manie und einer Dringlichkeit, die bis in die Knochen geht. Die Zeile "You were hoping for something more realistic/You were hoping for the head of the queen" ist mir hängen geblieben - auch wenn es geschrieben vielleicht gar nicht so stark rüberkommt - gesungen war es das allemal. Unser Interview wird dann ein bisschen zur Therapie-Sitzung, und Spencer erklärt, dass er sich schwer tut, etwas Ernstes zu schreiben, ohne nicht dann ein Element des Unsinns darüber zu streuen. Und umgekehrt muss er Banalitäten mit einer Seriosität aufwerten. Hmm... ein endloser Konflikt in seinem Kopf, der das Schaffen des Künstlers sicher nicht einfacher macht, das Resultat dafür aber um so spannender.
Florian Schulte
The Cesarians
Bitte, Herr Pfister:
Florian Schulte
Die Cesarians sind eigentlich eine Castingband; oder durch einen Unfall passiert. Das Ehepaar Justine Armatage und Charlie Finke hatten einen gemeinsamen Freund. Der stand sehr auf 30er-Jahre-Ambiente, Klezmer und Kurt Weill und weil er wusste, dass seine Freunde einen ähnlichen Musikgeschmack hatten, bat er sie, auf seiner Hochzeit zu spielen. Also fomierten sich die Cesarians und kamen den Wünschen ihres Freundes nach. Ihre eigene Vorlieben für Nick Cave, Lydia Lunch und Mark E. Smith reicherten sie mit Jaques Brel, Klarinette und Posaune an und fertig war der Dreigroschenopern-Wave.
Florian Schulte
Und das funktionierte so gut und viel viel raffinierter als bei den Dresden Dolls, dass sie jetzt auf der Donaufestivalbühne standen. Und den Cesarians gelang es, obwohl sie mit bewährten Gefässen arbeiten ihr musikalisches Schiff aufregend und nicht altbacken zu steuern. Sänger Chalie Finke legte einen intensiven Gestus an den Tag wie ich es seit Jarvis Cocker nicht mehr gesehen habe und dann ist der Mann auch noch mit einer Stimme gesegnet, die sich anhört, als hätte man Bryan Ferry das Marzipan aus dem Hals gekratzt. Und so spielte sich das Sextett durch eine herrlich desolate Welt aus siechender Erotik und Bunkerleidenschaft. Makabre Moritaten und Apokalypse für das heimlich größte Goth-Festival Österreichs.
Florian Schulte
Spiritualized
Florian Schulte
"Ich weiß nicht, wie ich bis jetzt ohne die leben hab' können", meint mein guter und sehr begeisteter Freund H. nach dem Spiritualized Konzert. Ich bin ebenfalls begeistert von der Darbietung des Herrn Jason Pierce: Er eröffnet sein Set mit einer Gospel Version von "Amazin Grace", und geht dann in eine Wand aus Noise über, von der er kaum wieder herab klettert. Spiritualized ist das Gegenspiel von Fragilität und Bombast. Mal spricht er sanftmütig zu uns, beichtet seine Schuld - mal ist das alles wieder vergessen, er tritt wortwörtlich in die Pedale und macht uns den dreckigen Rock.
Sein gesamtes, sehr langes Set ist ein einziger Spannungsbogen, und ich glaube das Wort atmosphärisch lag noch nie so auf der Hand wie hier - die ganze große Halle ist in die Welt von Spiritualized gehüllt. Man möchte die Hände zu dem grellen Bühnenlicht erheben, zu diesem getrübten Sonnenschein. Manche tun das auch. Ab und zu machen Spiritualized auch einen Abstecher in depressive Americana, so wie in dem wunderschönen "Lay back in the sun" - auch die schönen Momente bittersweet. Ich habe mich nie so mit der Geschichte des Jason Pierce befasst, man muss es auch nicht getan haben, um die Kraft dieser Musik erfassen zu können. In einem geflüsterten Wort stecken zwanzig Jahre ärgste Lebenserfahrung, da schwingen Dämonen und Erlösung in jeder Note mit. Das Set endet in einer Explosion aus Stroboskop und Lichter Spektakel - man hat vielleicht das Licht gesehen, jetzt sieht man nichts mehr. Dann verschwinden Spiritualized wieder, und wir fühlen uns als Kollektiv so, als hätten wir gerade etwas sehr Großes erlebt und mitgemacht. Ein hippie-esker Moment.
Florian Schulte
We Have Band
Und wie es das Lineup so will, muss an einem Freitag Abend natürlich noch eine Portion Disko-Mukke her. Dafür sorgen die britischen "We Have Band", die ihr Österreich-Debüt geben. Als ob sie in den Startlöchter gestanden sind, legen sie eineinhalb Minuten nachdem ich mich von der Spiritualized-Messe in die andere Halle geschupft habe. Für ihr hartes Los (was kann auf diese Show noch folgen?) fangen sie die Crowd gleich gut ein - wer kann schon zu später Stunde einer gut getimed-ten Cowbell widerstehen.
florian schulte
We Have Band sind beat-orientierter Elektro(clash). Mit einem Song der zum größten Teil nur aus "Ohh!" besteht auf keinen Fall eine Band die man noch groß analysieren sollte. Kann man nach Spiritualized auch nicht, aber wer sich seine Erleuchtung vorm Einschlafen noch abtanzen will, erhält hier die Möglichkeit dazu.
florian schulte
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