Erstellt am: 23. 4. 2009 - 17:45 Uhr
Journal '09: 23.4.
Ich bin ja seit jeher innerlich tief gespalten, was die leidige Music-Piracy-Diskussion betrifft.
Komplette Unklarheit herrscht auch zum Thema ACTA, dem EU-Antipiraterie-Abkommen, das von zb einer furorartig agierenden französischen Regierung als Zensur-Maßnahme mißbraucht wird.
Zum einen stehe ich emotional und ideologisch ganz klar auf Seiten derer, die sie machen und schaffen, die Musik - und deshalb auch zu ihrem Recht auf Copyright, Verwertung und entsprechende Entlohnung. Dass dies seit ich denken kann, in einem lachhaften System voller Ungerechtigkeiten stattfindet, das eine Menge Pfeffersäcke und Zwischenhändler, die die Welt nicht braucht, mitfüttert, ist eine andere Sache, die es auszublenden galt, wenn man für die, die sich die Sounds, Beats und Worte aus der Seele pressen, um uns (die, die das nicht können) zu erfreuen, zu berühren, zu verstören, wenigstens ein Minumum herausholen will.
Zum anderen war dieses zunehmend pervertierte System der Musikproduktion irgendwann derart jenseits jeglichen Anstands, dass sich eine Gegenbewegung nachgerade bilden musste. Und da kommt die Kehrseite ins Spiel: Dass ich nämlich den anderen Ansatz, das Info- und Filesharing in einem halbwegs demokratisch organisiertem Netzwerk, das - wegen des Fehlens klassischer Motive wie etwa Grenzen oder Haptik - anderen Regeln folgt, genauso unterstütze.
Die Musikindustrie und die Piraten
Es ist absurd, ein altes, analoges Geschäftsmodell, das sich in seinen Grundzügen seit den Fuggern nicht geändert hat, ins digitale Zeitalter pressen zu wollen.
Genau das versucht aber die Nomenklatura, die längst nicht mehr nur aus der Musikindustrie besteht, sondern alle Geschäftsmodelle mit Kreativ-Leistungen betrifft.
Das ist ein armseliges Unterfangen, das lange Zeit ohne jeglichen kreativen Lösungs-Ansatz bestritten wurde, sondern sich damit begnügte, die alten Modelle neu aufzukochen. Modelle, die Digital Natives nicht nur nicht wollen, sondern gar nicht mehr verstehen können - was nebenbei bemerkt, wenn man eine der Triebfedern des Kapitalismus (give the people what they want) ernstnimmt, einen unverzeihlichen und saudummen Ideologie-Wechsel im Umgang mit dem Konsumenten darstellt. Da quatschen plötzlich urkapitalistische Systeme was von der Erziehbarkeit des Kunden, und begeben sich aufs Terrain der sonst von ihnen nur verlachten Gutmenschen (ein herrlicher Treppenwitz...).
Die einzige ernsthafte Bewaffnung, die die hilflosen Kreativ-Industrien (die sich ja niemals ernsthaft mit dem Erstellen von Kreativ-Produkten, sondern immer nur deren konventionellen Vermarktung beschränkt haben) ist derzeit (ich nehme die wenigen klugen Ansätze von Einzelnen, die in ihren Branchen klaren Minderheitenstatus haben, da explizit aus) die legistische.
Geschäftsmodelle unter Naturschutz
So ist es also kein Wunder, dass man den Filesharing-Kings dieser Tage, Pirate Bay, nur per Gesetz beizukommen glaubt.
Aber: Selbst wenn die Musikindustrie da final rechtbekommen sollte - ihr Problem ist damit nicht einmal ansatzweise einen Schritt näher an einer Lösung. Mit dem Niederklagen eines unliebsamen Outposts erreicht man nämlich nur, dass sich anderswo dutzende Andere mit neuen Ideen aufmachen, um der Musik-Industrie das Wasser abzugraben, das sie immer noch per Seilwinde aus Brunnen holen möchte, wo ringsherum das Second Life tobt.
Sie zappelt damit sogar hinter den eigentlich Betroffenen, den Musikschaffenden hinterher, die sich längst auf andere Geschäftszweige wie Konzerte, Merch, Abos, Direkt-Kontakt konzentrieren - weil sie einen kreativen Umgang gewohnt sind, und nicht wie ein kaum manövrierbarer Tanker ins Eismeer driften.
Das altbackene Geschäftsmodell mit rundum schützbarer und per Einzelexemplar verlegbarer Musik wird durch dieses Urteil (und auch sämtliche folgenden) nicht einen Tag länger funktionieren. Solange die Branche analog denkt, wird sie das 21. Jahrhundert nicht erreicht haben.
Im Rahmen der aktuellen Pirate Bay-Diskussion hat der Kollege Burstup hier in einer weitblickenden Analyse (die sich nicht nur an Auskenner, sondern auch für normale Hörer und natürlich die Vertreter der Industrie verständlich ist) die wesentlichen Eckpunkte klargemacht.
Dachte ich.
Die Anwälte und die Gesetze
Um dann vor ein paar Tagen ein Hörer-Mail eines im Lobbying für die VAP, dem Verein Anti-Piraterie tätigen Anwalts zu lesen, der sich auf eine Moderation von Dave Dempsey bezog, in der dieser eine ebenso industriekritische Position formuliert hatte. Natürlich muss sich ein Anwalt auf bestehende Gesetze beziehen - da in diesem Mail aber auch sowas wie ein Verstehen der anderen Herangehensweise durchschimmerte, hab' ich drauf geantwortet. Und dabei den zentralen Satz von Burstup zitiert:
Ist das traditionelle Geschäftsmodell der Unterhaltungsindustrie eher bewahrenswert als ein Netzwerk, in dem die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte weltweit und nahezu simultan Information und Kunst austauschen kann? Dieses Netzwerk selbst ist ein zu schützendes Kulturgut.
Meine Hoffnung auf einen aus dieser Denkaufgabe entstehenden Diskurs war allerdings verfrüht. Der Anwalt stellte zwar auch wichtige und richtige Fragen (die die Industrie aber - all ihren Think Tanks zum Trotz - seit Jahren anstehen lässt), wurde aber, sobald es um Pirate Bay ging, noch anwaltiger als davor, und verstärkte sein Bestemm auf bestehende Gesetze.
Wie gesagt: Kein Vorwurf - wie sollte er auch anders.
Was aus all dem klar wird: Die Juristen werden die Probleme nicht lösen, ihr Denken ist an die großen alten Geschäftsmodelle der letzten 700 Jahre gekoppelt, also zutiefst analog.
Die Richter und die Vollbremse
Ich hatte das alles fast schon wieder unter "ja, eh, wie erwartet halt" abgespeichert, als Kollege Dempsey heute die Meldung, dass der Richter im angesprochenen Pirate Bay-Prozess ganz vorsichtig gesagt eine gewissen Befangenheit zum Thema hat, weiterleitete. Der Mann arbeitete zuvor für eine Lobbying-Gruppe der Copyright Industrie.
Kein schönes, aber auch ein zu erwartendes Bild.
Und vielleicht auch erst seit Obamas Anti-Lobby-Policy überhaupt ein Thema. Davor hätte man derlei komplett abgetan, mittlerweile muss man sich zumindest scharfer Kritik aussetzen.
Was ich mich jetzt frage:
Wenn nun schon die mit der Sache befassten Anwälte nicht frei, lösungsorientiert und unabhängig von Kurzfrist-Interessen, die eine gesamte Industrie nicht befördern, sondern langfristige Totengräber-Arbeit leisten, wie soll es dann bei der noch weitaus strukturkonservativeren Richterschaft funktionieren?
Gesetzt den Fall, es gelingt einer Koalition der Gutmeinenden innerhalb der nächsten paar Jahre, sinnvolle Gesetze zum Thema Musik/Copyright/Rechte auf die Beine zu stellen, gesetzt also den Fall, in dieser dubiosen Welt von Finanz/Juristerei stellt sich digitales Denken ein - wie sollen die in einer juristischen Praxis funktionieren, die auch von der Person des Richters abhängig ist; also einer Berufsgruppe, die vergleichsweise gesellschaftlich komplett isoliert ist?
Der Ochs vorm neuen Tor
Als Bremser bei zu schneller hysterischer gesellschaftlicher Reaktion ist der Richter, der aufgrund persönlicher Eindrücke und Gesellschafts-Analyse Urteile fällt, schon wichtig. Als Ochs-vorm-neuen-Tor einer digitalen Welt kann das aber zu regelrechten Katastrophen führen.
Gestern hab ich von einem Richter gelesen, der in einem Randalierer-Prozess gegen einen Sportklub-Fan dessen Alkohol-Konsum mit dem Satz "Wer sich ein Fußball-Spiel der dritten Leistungsstufe ansieht, erträgt das wohl nur mit großem Bier-Konsum!" kommentierte.
Wenn ich sowas in einem Fußball-Journal äußere, werde ich (zurecht) verbale Prügel beziehen - wegen der Dummheit und Ignoranz, dem Nichtwissen und der Falsch-Beurteilung, und wegen der Überheblichkeit dieser Ansage, ihrer Entfernung vom wirklichen Leben.
Der Richter kriegt ein paar Lacher.
Und wird sein Unverständnis einer "neuen Welt" gegenüber dementsprechend pflegen und auch fürderhin einsetzen. Und in dieser Rolle den klassischen Bremsklotz in einer ohnehin schwierig zu führenden Debatte spielen. Wenn er nicht ohnehin aufgrund einer Lobby-Zugehörigkeit parteiisch ist.