Erstellt am: 23. 4. 2009 - 15:39 Uhr
Liderflattern
Ich bin ja kein großer Freund des europäischen Gegenwartskinos. Vielleicht liegt es daran, dass einem in Wien in den einzelnen Programmkinos Woche für Woche die schlimmsten Konsensfilme der Alten Welt von toskanischen Sommerkomödien hin zu südfranzösischen Savoir Vivre-Lehrstücken um die Ohren und in die Augen gehauen werden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich nur ganz wenigen europäischen Filmkulturen – obwohl das immer schwierig ist zu behaupten, denn niemand kann den totalen Überblick haben – jene Eigenständigkeit und Originalität zuschreiben würde, die ich etwa im südostasiatischen Kino kontinuierlich finde.
Zu oft interessieren mich die Problem(chen) dieser Wohlstandsmenschen nicht, häufig öden mich die ewig gleichen Inszenierungskataloge irgendwo zwischen fahrigen Handkameras und langen, schwebenden Einstellungen an. Das Faux-Verité der dänischen Dogma-Bewegung, der Echtzeit-Sozialrealismus des zeitgenössischen rumänischen Kinos – überbewertete Bewegungen, hinter denen für gewöhnlich ein guter Film steht, an dem sich andere Regisseure orientieren.
Und dann gibt es jedes Jahr in Linz dieses kleine Festival, das sich ausschließlich dem europäischen Filmschaffen widmet – und jedes Jahr verlasse ich die Veranstaltung mit dem Wissen, dass es auch in Europa so etwas wie ein junges, kräftiges, angriffslustiges Kino gibt. Crossing Europe in Linz widerlegt meine Vorurteile; das funktioniert auch deshalb, da ich diesem Festival vertrauen kann. Natürlich landen auch hier Filme in der Wettbewerbssektion, aus denen ich schon nach zehn Minuten schreiend raus laufen möchte. Aber ich verstehe trotzdem, was andere darin sehen, wieso diese Arbeit relevant ist.
Bohemienetten
So geht es mir etwa mit dem Jugendfilm Unmade Beds, gedreht vom argentinischen Regisseur Alexis dos Santos ("Glue"). Die Geschichte des spanischen Burschen Axl, der sich in London zwischen verschiedenen Clubs und Wohnungen umher treiben lässt, die Nächte in verschiedenen Betten und neben verschiedenen Leuten verbringt. In einem großen "warehouse", das von einer nicht genau bestimmbaren Anzahl von Menschen belebt und befeiert wird, schläft nicht nur Axl und richtet sich seine Ersatzfamilie ein – sein Grundkonflikt ist, dass er seinen Vater schon lange nicht mehr gesehen hat, aber meint, ihn in London gefunden zu haben -, hier ist auch Vera zu Hause.
Crossing Europe
Dos Santos kennt sich aus in diesem Milieu, inszeniert die Jungmenschengeschichten rund um sexuelle und emotionale Experimente mit sicherer und lockerer Hand, lässt seinen "Unmade Beds" von diversen musikalischen Einspielungen (unter anderem von Daniel Johnston und den Tindersticks) angetrieben sein. So richtig gefangen nehmen tut mich das aber nicht; dafür geht mir die Bohemien-Romantik zu sehr auf den Geist, dafür schleppt mich dos Santos zu bruchlos durch die diversen Tanzschuppen und grind-schicken Wohnungen, dafür sieht mir sein "Unmade Beds" zu sehr nach Telekommunikationswerbung aus, durch die ja mittlerweile auch nur mehr schickes, alternativ aufgemascherltes Jungvolk tänzelt.
Schwuler Sex mit Ziege
Crossing Europe
Ehrlicher kommt da Rückenwind daher, der zweite Spielfilm von Jan Krüger ("Unterwegs"), in dem er sich wieder daran macht, die vom Mainstream empfohlenen schwulen Identitäten zu ergänzen um zwei Burschen, die sich zwar lieben, das aber nicht zum Hauptantrieb all ihrer Konflikte verkommt. Johann und Robin radeln durch die Wälder Brandenburgs, verlaufen sich irgendwann im Wald und landen auf einem alten Bauernhof im Nirgendwo, der von einer allein erziehenden Mutter und ihrem Teenager-Sohn bewohnt und bestellt wird. Es formt sich eine Art von Utopie aus: die zwei schwulen Jungs sind den Zuschreibungen der urbanen Lebensrealität aus der sie kommen, in der sie leben, davon geradelt und werden jetzt umwuchert von Naturgesetzlichkeiten. Wenn sie sich hier, zwischen Bodenbraun und Blattgrün lieben, dann blickt vielleicht eine Ziege ob des Gestöhns neugierig auf, das war’s dann aber auch schon.
Die Welt steht Kopf
Linz09
Beim Crossing Europe, da lauern freilich auch immer Entdeckungen: Regisseurinnen, von denen man zuvor noch nichts gehört hat wie etwa die lässige Norwegerin Inger Lise Hansen. Sie ist diesjähriger OK Artist in Residence und präsentiert beim Festival ein 45-minütiges Filmprogramm mit sechs ihrer Arbeiten von der Mitte der 90er-Jahre bis 2009. Zum ersten fällt positiv auf, dass Hansen, eine Avantgardistin, ausschließlich auf Filmmaterial dreht: ihre frühen verspielten Animationsfilme, in denen sie, die im Atelier des tschechischen Animationsgotts Jan Svankmajer gelernt hat, "inanimate objects" animiert und über die Leinwand rasen und tanzen lässt, sind mehrminütige Wunderstücke über die verborgenen und geheimen, die mysteriösen Seiten der Natur, die eben nur vermittels einer Kamera wahrgenommen werden können. Irgendwann hat sich Hansen dann entschlossen, die animierten Bewegungen aus ihrer Arbeitsweise zu tilgen und hat sich fortan gänzlich auf Landschaftsfilme konzentriert: die Kamera stellt sie kopfüber auf einen Schienenkonstruktion und baut daraus außerirdischen Alltagsansichten von Spitzbergen bis Linz, wo sie ihren letzten Film auf dem Dach eines Einkaufszentrums gedreht hat.
Ich bin jedenfalls energetisiert und angespannt, will wissen, was mich hier in Linz noch erwartet, was mich noch herausfordern wird. Selten hab ich mich so sehr auf europäisches Kino gefreut.