Erstellt am: 23. 4. 2009 - 10:30 Uhr
Wir wissen, warum sie hier sind
Alle Fotos: Flo Wieser
Kein Wunder, dass das A-Thema hier am Donaufestival Sonic Youth ist: Schon bei meiner Ankunft am Nachmittag höre ich den Soundcheck und bekomme Herzflattern. Beim Warten vor der Minoritenkirche hört man inmitten der vielen Fans schon den Schlachtruf "Sonic Youth, oida". Dass das verschlafene Krems einmal zum New Yorker Noise-Tempel wird, hätte sich wohl niemand gedacht. Aber zumindest für einen Abend ist es das.
The Church of Kim and Thurston
Die Eröffnung – Thurston und Kim geben eine ihrer seltenen Performances unter dem Namen "Mirror/Dash" – ein Kunstprojekt, das eher zufällig von Thurston gegründet wurde. Er hat vor einigen Jahren eine Anzeige für sein neu-gegründetes Label "Ecstatic Peace" geschalten, musste sich ein paar Bands einfallen lassen, erfand "Mirror/Dash" … und der Rest ist Geschichte. Manchmal denken sie sich ein Konzept vor ihren Performances aus, heute war angeblich alles auf Intuition aufgebaut. In der Minoritenkirche haben sie es dann geschaft, gespenstische Stimmungen einzuläuten. Wenn die geisterhaften Wasserfarben-Malereien von Kim Gordon einen Soundtrack hätten, wäre es wohl dieser.
Florian Wieser
Mit Präzision und Vorsicht experimentieren die beiden auf ihren Gitarren – Thurston, der Stärkere, lässt aus seinem Instrument Sirenen erklingen. Kim, schlägt nicht eingängige Richtungen in ihren Melodien ein, wagt sich ab und zu ans Mikrofon. Songs sind das keine, sondern Soundscapes – der Beweis, dass Akkorde überbewertet sind. In ihrem einstündigen Set schließen Mirror/Dash keinen Kreis, die flüchtige Mini-Zugabe schlägt sogar noch weitere Seiten auf. Es ist auf subtile Weise berauschend – Mirror/Dash nehmen das "Ich" aus der Musik und geben den Tönen einen neuen Raum, eine neue Fläche - ohne Vorurteile oder Plan.
Florian Wieser
Aber wirklich, es soll hier nicht nur die Wohngemeinschaft Gordon-Moore thematisiert werden. David Pfister war währenddessen bei ...
No Neck Blues Band
Florian Wieser
Lange zerschwurbelte Bärte wie aus Großvaters Wurzelbaukasten, Fantasy-Tätowierungen und kauzige Hüte. Ich sehe die No-Neck Blues Band beim Interview und denke mir "Krautrock" und "Black Metal". Und so soll es dann auch sein. Das New Yorker Kollektiv hat sich eine Welt aus brennender Psychedelic gebraut. Die essen sicher Mushroom-Suppe zum Frühstück. Eine Vielzahl von Instrumenten vom Cello bis zu Percussion-Teilen dienen der No-Neck Blues Band als willige Gefäße, um vorsätzlich misshandelt zu werden, sodass ein infernalischer Zwergenblues entsteht. Das Cello wird zum Schlagzeug und mit dem Mikrokabel webt sich der Sänger wie in einem Spinnennetz ein. Dann grunzt er ein paar hässliche gutturale Urschreie in Burzum-Manier. Sehr schrullig; und natürlich gibt es dieses Spektakel eine Spur ernsthafter, zum Beispiel bei "Nurse With Wound". Es ist aber schön und gut, dass neue junge Protagonisten auch das Bedürfnis haben, derartige Grillouts zu bauen.
Florian Wieser
Fennesz
Florian Wieser
Ich meld mich für den Herrn Christian Fennesz wieder zu Wort. Vor einigen Jahren habe ich es gepflegt, einen Sommer lang zu den Klängen von "Venice" einzuschlafen ... und auch hier und heute merke ich, wie meine Lider schwer werden. Nicht weil es langweilig ist, aber Fennesz' Klangwolken umgeben einen und man möchte dieses Soundspektakel nur mit geschlossenen Augen genießen. Wahrscheinlich weiss Fennesz das, liefert keine großen Gesten auf der Bühne und lässt uns einfach zuhören. Seine Musik erinnert mich immer an die Bewegung von Wasser, an das Krachen von Wellen an Klippen. Immer wieder versucht eine Klarheit durch den Lärm durchzudringen - der Sound gibt ein Gefühl von Freiheit. Trotzdem scheint es mir wie ein Stück klassische Musik komponiert und arrangiert zu sein. Die Köpfe werden auf die Schultern der Liebsten gelegt, alle hören aufmerksam zu. Ist hier Romantik in der Luft?
Sonic Youth
Florian Wieser
Ich finde es so fantastisch dass Thurston Moore und Lee Ranaldo Pickerln auf ihren Gitarren haben. Dass Kim Gordon ein viel zu kurzes Kleid anhat. Das Mark Ibold Pavement-Fan-Herzen höher schlagen lässt. Es gibt kein Alter, (Sonic) Youth ist anscheinend für immer. Gleich am Anfang ein kleiner Gruß an Frau Lynch, Ex-Kollegin (Death Valley 69), die heute Abend zeitgleich in Wien gastiert. So viel New York No Wave in einem Land!
Das Set ist druckvoll, hart, laut, wummernd - es muss kein Eis gebrochen werden. Publikum und Band sofort beim ersten Schlag dabei. Hände über den Kopf, hunderte von Zuschauer mit einem permanenten Grinser. Die Helden sind in der Halle, und wir lassen sie es spüren. "Claiming the Snake" vom neuen Super-Album (das 16te!) dann als Song "about making love...with Jesus Christ". Kim tanzt ihren Hippie-Shake bevor sie uns den "Sacred Trickster" macht, die neue Single die mir so gut gefällt. "Levitate me!".
Florian Wieser
Während wir auf der doppelten Ladung Bass schweben, wird ein "Kool Thing" angestimmt - Lee Ranaldo haut sich (fast) in die Menge. Ähnlich ausgelassen die Stimmung beim lang ersehnten "100%" - übrigens auch eine Metapher für die Leistung der Band heute Abend. Der 51-jährige Thurston wird sofort zum 13-jährigen Skater, wenn er eine Gitarre umgeschnallt hat. Lee setzt sich für den Song übrigens seine weißen Kurt-Cobain Sonnenbrillen auf und ein 90s-Flashback beutelt mich.
Florian Wieser
Die zweite Zugabe endet in einem Noise-Drone Fadeout. Wie in ein Schneckenhaus ziehen sich die Klänge langsam wieder zurück. Ich weiß jetzt, es gibt keine Regeln, nur Rock 'n' Roll. Ich schließe mich den Worten des jungen Mannes hinter mir an: "Don't try and intellectualize it."
Und das, das war erst der Anfang.
Setlist Sonic Youth Donaufestival 22.4.09
Schizophrenia
World Looks Red
Cross the Breeze
Tom Violence
Calming the Snake
Eric's Trip
Antennae
Rocket
Sacred Trickster
No Way
Hey Joni
Kool Thing
-
100%
Teenage Riot
-
Brother James
Expressway