Erstellt am: 22. 4. 2009 - 19:49 Uhr
Goodbye Wildwuchs
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In der ehemalige Funkkaserne in der Domagkstraße im Münchener Stadtteil Nordschwabing ist seit den neunziger Jahren eine große KünstlerInnen-Kolonie entstanden. In elf Häusern der Kaserne, die in der dreißiger Jahren unter Hitler erbaut wurde, haben bis zu 350 KünstlerInnen verschiedenster Ausrichtung, Ausbildung und Nationalität nebeneinander gearbeitet und teilweise auch gelebt.
Die Stadt München, die mittlerweile Besitzerin des Geländes ist, wird dort nun eine Wohnhausanlage errichten. Ein Haus bleibt erhalten es wurde renoviert und bietet als städtisches Atelierhaus 100 Menschen Platz zum Arbeiten. Alle anderen Häuser, aber auch die großzügigen Grünflächen und Freiplätze sind dem Untergang geweiht. Bevor hier nur mehr eine riesige Baustelle sein wird, habe ich mich auf dem Domagkgelände noch einmal umgesehen und mit ansässigen KünstlerInnen gesprochen.
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Bei warmem Frühlingswetter komme ich auf das Gelände der ehemaligen Funkkaserne im Norden Schwabings: Leerstehende Gewerbehallen, ein aufgelassener Biergarten. Zu meiner Linken befinden sich die langgestreckten, symmetrisch angeordneten Kasernengebäude. Sie sind mit Graffitis bemalt, vor einem Haus sehe eine auf dem Kopf stehende Schaufensterpuppe, zwischen zwei anderen steht ein Chinesischer Pavillon auf der Wiese und Lampions hängen in den Bäumen.
Entstanden ist die Kunstkolonie 1993, als KünstlerInnen ein Gebäude zur Zwischennutzung mieteten. Und sie ist kontinuierlich gewachsen. Immer mehr KünstlerInnen haben sich in den Gebäuden angesiedelt.
Den Höhepunkt erreichte die Kunstkolonie etwa um 2003, erzählt Malerin Gotlind Timmermanns: "Zu dem Zeitpunkt, als ich hierhergekommen bin, waren das elf Häuser und 350 Künstler aus allen möglichen Sparten. Wir hatten mal eine Zählung, da sind wir auf 36 Nationen gekommen, die da waren. Das ist natürlich etwas ganz anderes, als wenn man ganz alleine vor sich hinmalt und keiner das merkt."
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Malerkollegin Isabelle Dyckerhoff beschreibt die Atmosphäre so: "Man kann sich austauschen, man sieht, was die anderen machen. Es sind ja nicht nur bildende Künstler hier, sondern auch Musiker, Theaterleute, Performer usw. Das ist ein bisschen so ein Schmelztiegel. In dem neuen städtischen Haus, da wird es dann schon nochmal ein bisschen 'ordentlicher'. Weil das war hier schon so eine 'Künstlerbohème'. Es war einfach eine nette Atmosphäre."
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Doch genauso lange wie es die Domagkateliers gibt, gab es schon Stimmen, die eine kommerzielle Nutzung des Geländes forderten.
"Dann kam schon der Kampf zur Erhaltung wenigstens eines Hauses. Das hat so zehn Jahre lang gedauert. In den verschiedenen Häusern gab es auch eigene Kunstvereine, die wiederum hatten einen Dachverein, der darum gekämpft hat, dass das erhalten wird." sagt Bildhauerin Maria Rucker.
Besonders intensiv waren dann die letzten beiden Jahre, meint Hau Chun Kwong, in denen die VetreterInnen der Kunstvereine mit der Stadt verhandelt haben. "Die Künstler sind wirklich fertig. Weil als Künstler sind wir keine Politiker. Und wir müssen da aber mitmachen, verhandeln, uns mitteilen etc. Dabei haben wir viel Nerven, Energie und Zeit verloren."
Der Kampf um die Häuser ist jetzt vorbei. Übrig bleiben wird von den elf Häusern nur eines: Das Haus mit der Nummer 50. Es sticht aus dem kreativen Chaos heraus: Das Haus ist hellgrau angestrichen, die Fronten aus Stahl und Glas reflektieren das Sonnenlicht. Bei dem hufeisenförmige Gebäude am Ende des Geländes zur Autobahn hin wird auch noch eifrig gebaut, Mischmaschinen und Betonsäcke stehen auf dem kiesbedeckten Innenhof.
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Zum einen ist man unter den KünstlerInnen zwar froh, nach dem langen Kampf doch immerhin ein Haus behalten zu können. Auf der anderen Seite stehen aber neue Probleme wie erhöhte Mieten, dass die neu renovierten Räume für manche Künstlerinnen nur eingeschränkt nutzbar sind und dass von den derzeit 250 KünstlerInnen nur 100 im neuen Gebäude einen Platz finden werden.
Denn für die Atelierplätze musste man sich nun bewerben, dabei wählte eine von der Stadt gestellte Jury die KünstlerInnen aus, die bleiben dürfen. Nach Kriterien, die nicht genau bekannt sind, wie Sebastian Lebmann vom Dachverein der Domagkateliers erklärt: "Es hieß: 'nach künstlerischen Kriterien'. Die eigentlichen Kriterien haben wir nicht erfahren, Eine Maßgabe für die Jury war wohl, den Charakter der Künstlerkolonie Domagkateliers soweit als möglich zu erhalten. Das ist ein bisschen schwammig ausgedrückt."
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Aber nicht nur die Rahmenbedingungen sind es, die für Diskussionen sorgen. Ganz allgemein hat man auch das Gefühl, dass der künstlerische Wildwuchs, der einen Hauch von Anarchie ins sonst so bürgerliche München brachte, nun behübscht und institutionalisiert werden soll. So meint auch Bildhauerin Hau Chun Kwong: "Jetzt müssen wir vielleicht ein bisschen brav sein. Wie das Haus so aussieht. Es ist total sauber, man darf nicht viele Sachen machen."
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Dennoch, die KünstlerInnen der Domagkstraße sind froh, nach einem zehn Jahre langen Kampf zumindest ein Gebäude gerettet zu haben und damit das Flair der Münchner Künstlerkolonie zumindest ein wenig zu erhalten.
Interessierte, die die Kunstkaserne in München noch erleben wollen, sollten bald vorbeischauen. Denn ab Juli wird die ehemalige Kaserne abgerissen und dann wird dort bis auf das Haus 50 nur mehr eine große Baustelle sein. Und die Domagkateliers nur mehr in ihrer Minivariante, konzentriert in einem Haus, existieren.
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