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Thomas Edlinger

Moderiert gemeinsam mit Fritz Ostermayer "Im Sumpf".

20. 4. 2009 - 15:47

Zurück zur Betoninsel

James G. Ballard ist tot.

"Als die Welt noch unterging" heißt ein pfiffiges Buch über Postpunk von Frank A. Schneider. Der Autor James G. Ballard war DER Mann für jene Zeit. Der Mann für die Katastrophen, die noch kommen sollten, dürften, müssten. Seien es individuelle Zusammenbrüche oder überschwemmte Kontinente.

Die Mythologie der nächsten fünf Minuten, wie James G. Ballard sein schreiberisches Unterfangen mehrmals bezeichnet hat, hatte den einstigen Underground-Science Fiction-Autor aus der britischen New Wave der 1960er Jahre am Ende gar bis ins Museum gebracht. Eine Ausstellung in Barcelona huldigte 2008 seine durch kafkaeske Realitätsverschiebungen gebrochene, zutiefst pessimistische und zugleich faszinierte Sicht auf die zerstörerische Moderne unter dem Titel "Autopsy of the new Millenium" mit diversen Objekten und Artefakten. Ballards von Technofetischismus und erkalteter Empfindungsfähigkeit geprägte Ästhetik des Desasters trug ihm aber schon lange zuvor das Adjektiv "ballardian" unter Fans und Kritikern ein, die etwa heute die Musik des Londoner Dub Noir-Produzenten Burial so beschreiben.

In den 1970er Jahren beschwor Ballard in zahlreichen "condensed novels" die Auswüchse von Zivilisation, Wissenschaft und Stadtplanung und ließ sie nicht selten in apokalyptische Szenarien kippen. Charakteristisch für seine surreale, gegen den Geist der Verwaltung gerichtete Haltung ist seine sogenannte Dystopie-Trilogie "The Concrete Island" (Die Betoninsel), "High Rise" (Hochhaus) und "Crash".

"Crash" (1973) schildert einer jener Ballard-typischen inneren, verhexten Landschaften, die in dem Fall von der Erotik von Autounfällen und der Lust am verletzten Fleisch bestimmt sind. 1996, nach Jahren erfolgloser Finanzierungsversuche für diesen sperrigen Stoff, sollte ein kongenialer Ballard-Leser namens David Cronenberg diese obsessive Vision einer katastrophischen Verbindung von Technofetischismus und sexuellem Fetischismus verfilmen.

JG Ballard: The Atrocity Exhibition

Radio FM4

Schon 1970 freilich erschien sein experimenteller, von Joy Division in einem Song erinnerte Schlüsselroman "The Atrocity Exhibition". Darin verbanden sich wissenschaftliche Sezierlust, sexuelle Perversion und den Blick auf die Obszönität der Massenmedien zu einer grimmigen Schizophantasie, die Kapiteltitel wie "Warum ich Ronald Reagan ficken möchte" oder eben "Crash" hervorbrachte.

Die Gründe für die radikale Unversöhntheit mit der Moderne waren bei Ballard durchaus biographisch. Zumindest ließ er in "Empire of the Sun", seinem 1987 von Stephen Spielberg verfilmten Kindheitsroman über den 2. Weltkrieg im Fernen Osten, und in seiner 2008 erschienenen Autobiografie "Miracles Of Life" daran wenig Zweifel. Der 1930 in Shanghai geborene Brite war ein gebranntes Kind des 20. Jahrhunderts. Zur Zeit des 2. Weltkriegs wurde das wohlbehütete britische Oberschichtskind vier Jahre lang in einem japanischen Kriegsgefangenenlager interniert. Nach seiner Rückkehr nach England 1946 starb seine Frau und Mutter von drei Kindern völlig überraschend 1964.

Von diesem Schicksalsschlag sollte sich Ballard laut eigener Aussagen nie mehr erholen. Stattdessen suchte Ballard den Schrecken der Politik, möglicherweise auch, um so seinen eigene Dämonen damit auszutreiben. Die monströsen Bilder der Napalmbomben im Vietnamkrieg brannten sich ihm, der sogar nichts mit dem Swinging London am Hut hatte, genauso ein wie die Ermordung John F. Kennedys oder die Screen Tests Andy Warhols, in denen der Künstler in unbarmherzigen Close-Ups das Starpotential seiner Entourage in New York auslotete.

"Der Ovid von Suburbia" (Emma Tennant) lebte seitdem sein Leben in der Anonymität von Shepperton in der Nähe des Londoner Flughafens Heathrow, unter dem beständigen Dröhnen der Flugzeuge. Und auch seine Literatur war und blieb von den Auswüchsen der Technik und den Deformationen des Natürlichen fasziniert. Schon 1962 bezeichnete er seine visionären Räume der Verwüstung als inner spaces, als Räume, in denen politische Monstrositäten wie 9-11 oder Naturkatastrophen wie der Hurrican Katrina sich nahtlos ins Bild fügen, wie Ballard in einem Interview in der "Zeit" meinte: „Ich glaube, die echten Hurrikane fangen an, stärker zu blasen. Und auch der Wind in unseren Köpfen wird von Tag zu Tag stärker. Ich kann Ihnen nur raten: Passen Sie auf sich auf!“

James G. Ballard ist nun im Alter von 78 Jahren in London gestorben. Er erlag den Folgen einer Krebserkrankung, wie seine Agentin Margaret Hanbury mitteilte.