Erstellt am: 19. 4. 2009 - 22:58 Uhr
From Zero to Hero
Eigentlich wollte ich bloß ein simples Posting bei Boris Jordans aktuellem "Song zum Sonntag" hinterlassen, weil mir nach dem Lesen diverse Dinge im Kopf herumschwirrten. Aber dann merkte ich sehr schnell, dass meine herumwildernden Gedanken den Rahmen eines klitzekleinen Kommentars sprengen würden.
Also sitze ich hier und versuche auf den Punkt zu bringen, warum die harmlosen Reflexionen meines Kollegen einer ausführlichen Replik bedürfen.
Ich glaube, Boris berührt mit seinen Überlegungen zu den Yeah Yeah Yeahs und ihrer letzten Single "Zero" gewisse Bereiche, deren öffentliche Wahrnehmung für mich noch immer von kapitalen Missverständnissen begleitet ist. Ich rede vom Themenfeld Mode und Musik, vom vermeintlichen Gegensatz zwischen Schein und Sein, von Looks und Styles im Zusammenhang mit all den vielfältigen Sounds, die Menschen im weiteren Umfeld von FM4 lieben.
Universal Music
Auf dezente Weise spiegeln sich in den Worten von Boris gewisse Vorurteile wider, die von tatsächlich muffigen Kritikern und einer breiten Masse von doofen Indiepolizisten viel sarkastischer wiedergekäut werden: Dass nämlich eine Truppe wie die Yeah Yeah Yeahs, die offensichtlich so fixiert auf Äußerlichkeiten und Coolness-Gebote scheint, gar nichts von Wert, von Dauer kreieren kann, nichts Tiefgründiges oder gar Authentisches.
Denn die echten Größen, so erzählt man sich in Kreisen dieser Argumentierenden, die sch+++en auf die Optik, auf dermaßen flache Banalitäten wie das Aussehen, auf den ganzen modischen Müll. Die produzieren Musik aus dem Herzen only, am einsamen Lagerfeuer, in der isolierten Künstlerkaschemme, mit dem Laptop im Besenkammerl, prinzipiell über sämtliche modische Trivialitäten erhaben.
Ich bin stets aufs Neue erschüttert, wie sehr solche unglaublich dummen Kontrastbilder - vom fashionablen Gockel und dem sensiblen Verweigerer - gegenwärtig noch immer verbreitet sind.
Und ich nehme Boris J., von dem ich ja auch weiß, dass er etliche Poptheorien und Subkultur-Manifeste verschlungen hat, jetzt noch einmal explizit aus, wenn ich ein wenig Gift in die Richtung der Falschversteher-Fraktion verspritze.
Mick Rock
Pop, um den geht es hier im weitesten Sinn, und nicht um Neue Musik, Jazzhochschulen-Jazz oder den Klassikbetrieb (die eigentümlichen Stylinggesetze in diesen Bereichen sind eigene Artikel wert), ist schon immer in ein Spiel mit Looks, Zitaten und Querverweisen verstrickt.
Spätestens seit den Fifties und dem Rock'n'Roll-Urknall bildete sich ein hochkompliziertes und extrem spannendes Referenzgewusel aus Riffs, Akkordfolgen, Frisuren, Schuhspitzen, Haarlängen, Melodiefolgen.
Das klingt mehr als bekannt und abgedroschen? Natürlich, keine Frage. Ich möchte jetzt hier auch keineswegs den Rahmen sprengen mit historischen Abläufen oder Exkursen zur Geschichte des "Cool". Alles, was ich sagen will: Der Umgang mit der Optik, dem Image, der Inszenierung funktioniert(e) in der Geschichte des Pop im besten Fall auf eine lustvolle, freiwillige und befreiende Weise, die Generationen veränderte.
Genau diese Binsenweisheit ignorieren die Puristen, Schwarzweiß-Denker und Hüter der reinen Künstler-Lehre aber. Für sie sind Bands wie die Yeah Yeah Yeahs nicht mehr als Gaukler und Täuscher, die dem Druck irgendeines ominösen Molochs Mode gehorchen.
Dabei sind die wirklich Großen aus dem Pop-Universum - lasst mich schnell Namen wie David Bowie, Lou Reed, Grace Jones, Public Enemy, Blondie, Patti Smith, Sex Pistols, Johnny Cash, Siouxie Sioux, George Clinton, Rolling Stones, Beatles, Roxy Music, Tricky, Bob Dylan, Iggy Pop oder Prince droppen - gar nicht denkbar ohne ihren individuellen Style, ohne herrliche verwegene modische Torheiten.
Die unzähligen schönen Wilden und Paradiesvögel des Rock'n'Roll, Sixties-Pop, House, Hip Hop, Techno, Electro oder R'n'B beeinflussten nicht selten im Gegenzug die Laufsteg-Looks ihrer Zeit, bis es zu einem gegenseitigen Austausch kam - der bis zum heutigen Tag, siehe Karen O und die Designerin Christian Joy, anhält.
Roxy Music
Eines verbindet die genannten Ikonen mit sämtlichen zeitgenössischen Popfiguren, die auch nur irgendetwas zu sagen haben: Bevor sie sich in Schmetterlinge verwandelten, waren sie irgendwann Freaks und Geeks, die in einem nerdigen Kokon steckten.
Die Geschichte des Pop ist abseits von Klängen und Geräuschen stets auch eine Geschichte der Transformation, eine Saga der Maskierungen und Tarnungen, die von Nullen erzählt, die sich in (Super-)Heldinnen und Helden verwandelten.
Es ist eine Story, die von der Eroberung bestimmter Zeichen und Symbole und der Umwertung modischer Werte genauso handelt wie von der Musik selbst.
Sämtliche bewussten, radikalen Gegenreaktionen, von den zerschlissenen Alltags-Klamotten des Noise-Rock und Grunge, von Bands wie Hüsker Dü und Nirvana bis zum Waldschrat-Auftreten eines Will Oldham, sind auch Teile dieses Spiels, entstanden als Reaktion auf einen gewissen sozialen und visuellen Kontext.
Denn gerade ein kluger Geist wie Oldham weiß, im Gegensatz zu vielen seiner Fans, dass man zwar ein verschrobenes Statement liefern, sich aber den Mechanismen der Mode nicht wirklich entziehen kann.
Universal/Geffen
There is no escape. Die Mode erlaubt keine Fluchtmöglichkeit. Das ist auch außerhalb des Pop so. Und das ist zugegeben der wirklich fiese Aspekt der Mode. Weder schmuddelige Rucksacktouristen noch Bauarbeiter auf dem Weg zur Arbeit, weder Hausfrauen noch Politiker oder Indie-Einsiedler können entkommen.
Alles ist immer irgendeine Art von Mode, sagt Karl Lagerfeld sinngemäß. Alles ist dechiffrierbar, einordenbar, auch als totaler Verweigerer in Hauspatschen trägst du eben Verweigerer-Mode.
Vielleicht ist es diese universelle Wahrheit, die manche Falschversteher einfach nicht wahrhaben wollen und die sie doppelt erzürnt. Weil ihnen selber auch kein Ausweg aus der Sache bleibt, sie als Fan-Nerds und Kritiker-Nerds aber neidisch auf den souveränen Umgang vieler Musiker-Nerds mit fashionablen Codes blicken.
Ein billiger, untergriffiger Gedanke, stimmt schon. Aber ist eine solche Plattheit nicht auch erlaubt, wenn es gegen ein simples Weltbild geht, das eine bestimmte Optik mit Gehaltlosigkeit gleichsetzt? Gerade die fantastischen Yeah Yeah Yeahs beweisen, dass alles gleichzeitig möglich ist: Oberfläche, Euphorie, Schönheit und Tragik, Wehmut, Tiefe. Herzblut und Haarlack.
You're zero? We can be heroes, just for one day.
XL Recordings