Erstellt am: 19. 4. 2009 - 18:02 Uhr
Sternenstaub
2004 findet das Festival Crossing Europe zum ersten Mal statt, nachdem die langjährigen Leiter der Diagonale, Constantin Wulff und Christine Dollhofer in der Vorbereitungsphase für die Festivalausgabe 2004 ohne Angabe vom Gründen vom damaligen Kunststaatssekretär Franz Morak entlassen worden sind.
Man weiß, dass man dort in guten Händen ist. Nicht nur weil Festivalchefin Christine Dollhofer und ihr Team mit Elan, Herz und Hirn bei der Sache sind, sondern vor allem, da sie die thematische Klammerung des Crossing Europe-Festivals – mit seiner Fokussierung auf das junge europäische Filmschaffen – nicht als Aufforderung zur Programmierung von „political awareness“-Arbeiten missverstehen.
Ja, so eine große kulturelle Veranstaltung, die in ihrer Dimensionierung etwa der Diagonale um nichts nachsteht, in ihrer Ausrichtung einen breiteren, weil internationaleren, somit auch aufwändigeren und kostspieligeren Weg als das Festival des österreichischen Films einschlägt, muss immer auch gefördert werden. Es kann ja nicht jedes Jahr Linz09 sein, von dessen Budgetkuchen auch das „Crossing Europe“ ein Eckerl erhalten hat.
Crossing Europe
Umso wichtiger und exotischer wirkt dann der von der Chefin eingeschlagene Kurs, der kaum Konzessionen an Geldgeber und Fördereinrichtungen vorsieht, das Publikum und die diversen geladenen Gäste auch gern mal heraus fordert. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Eröffnungsfilms der Festival-Edition 2007: damals wurde der katalonische Regisseur Marc Recha – ein Sonderling und Exzentriker des Gegenwartsfilms – mit einer Werkschau geehrt, sein jüngster Film Dies d’Agost wurde gleich zum Festival Kick-Off gezeigt – und stieß auf breites Unverständnis. Der mehr lyrisch denn linear erzählte und organisierte Film provozierte starke Reaktionen, vereinzelt kam es sogar zu Beschwerden an Dollhofer.
Vom Feiern und Bangen
2009 zeigt sich Crossing Europe in Feierlaune: die Festivaldauer wurde – auch aufgrund des Linz09-Rahmens – um einen Tag verlängert, das erhöhte Budget im Kulturhauptstadtjahr ermöglichte auch bei der Filmauswahl eine größere Flexibilität. Aber es bleibt ein bitterer Nachgeschmack, da Direktorin Dollhofer weiß, dass die ihrem Festival zugestandenen Mittel für die nächstjährige Edition wieder auf den Stand von 2007 zurückfallen werden.
JCVD, gedreht vom jungen frankoalgerischen Regisseur Mabrouk El Mechri, darf man getrost als Sensation bezeichnen: die hintersinnige, aber gänzlich unironische Tragikomödie erzählt aus dem gescheiterten Leben eines Actionfilmstars, der im richtigen Leben von Bankräubern als Geisel genommen wird.
Crossing Europe
Ein Markenzeichen des Linzer Festivals – und gleichzeitig Zeugnis für die tonangebende Vielstimmigkeit – ist, dass am Eröffnungsabend nicht einer, sondern gleich vier Filme gezeigt werden. Maren Ades bei der Berlinale uraufgeführtes und ausgezeichnetes Beziehungsspiel Alle anderen und die österreichische Dokumentation Muezzin von Sebastian Brameshuber über einen Gebetsrufswettbewerb in der Türkei stehen neben dem mit Isabelle Huppert hochkarätig besetzten Drama Home der Schweizerin Ursula Meier (der auch eines der diesjährigen Tributes gewidmet ist) und dem zartbitteren Metafilm-Meisterwerk über den Ruhm und seine Schattenseiten JCVD mit Jean-Claude Van Damme in der Hauptrolle.
Berlinale
Im Wettbewerb
Herzstück des Festivals ist alljährlich die Wettbewerbssektion, in der in diesem Jahr elf Produktionen gezeigt werden. Darunter auch der zweite Spielfilm des Aacheners Jan Krüger, der bereits 2004 mit „Unterwegs“ bei Crossing Europe zu Gast war. In Rückenwind erzählt er, recht unaufgeregt, von einem Radwanderausflug eines jungen, schwulen Paars, die nach diversen Unannehmlichkeiten (kaputtes Zelt, gestohlene Fahrräder) in die dichten Wälder Brandenburgs eintauchen. Krüger setzt dabei mit seiner talentierten Kamerafrau Bernadette Paassen auch auf die Naturmacht, lässt das Baumgrün und das Bodenbraun leuchten und die zwei Jungs in eine andere Erfahrungswelt eintauchen. Losgelöst von den Zuschreibungen des Alltags, lassen sie sich treiben, lassen sich aufnehmen von der Umgebung und stranden zwischendurch in einem alten Bauernhaus, das von einer jungen Mutter und ihrem 16-jährigen Sohn bewohnt wird. „Rückenwind“ ist angeschoben von der Lust an der Ziellosigkeit, von einer Sehnsucht nach einem körperlichen und seelischen Freiraum, von der Suche nach eine „place to be“.
Crossing Europe
So geht es auch dem jungen Axl, der durch den zweiten Film des „Glue“-Regisseurs Alexis dos Santos geistert. Unmade Beds erzählt von den diversen Stationen auf der Lebensreise des spanischen Jungen, der sich in London von der urbanen Kultur aufsaugen lässt und jeden Morgen in einem anderen Bett, mal mit, mal ohne Beschläferin, aufwacht.
Im Panorama
In der „Panorama“-Sektion des Festivals versammeln sich auch arrivierte Filmemacher: die 61-jährige Französin Claire Denis (Trouble Every-day) zeigt dort ihre Familienstudie 35 Rhums und der russische Meisterfilmer Alexey German Jr., dessen „Garpastum“ 2005 zu Crossing Europe eingeladen war, erzählt in Paper Soldier die Geschichte vom Anfang der sowjetischen Raumfahrt, ist dabei aber vom historischen Drama weit entfernt. Sein aufregender, opulenter Diorama-Film besteht fast ausschließlich aus langen, ungeschnittenen Einstellungen, die sich nicht unbedingt auf einen Handlungsmittelpunkt festlegen wollen.
Crossing Europe
Weitere Höhepunkte des „Panorama“-Programms sind Ben Hopkins trotzig-komischer The Market – A Tale of Trades, der einen alteingesessenen türkischen Bazar-Verkäufer mit dem Einfallen des Turbokapitalismus herausfordert, Sylvie Verheydes charmantes und autobiografisch geprägtes Jungmädchenporträt Stella und Bohdan Slámas Geschichte von A Country Teacher, der sich in den 17-jährigen Sohn einer Freundin verliebt.
Blut, Brot und Spiele
Linz09
In der Schiene „Arbeitswelten“ feiert in diesem Jahr der neue Dokumentarfilm von „Crazy“-Regisseur Hans-Christian Schmid seine Österreich-Premiere: in Die wunderbare Welt der Waschkraft zeigt er den Weg von Schmutzwäsche-Ladungen aus einem Berliner Luxushotel nach Polen, wo sie von Niedriglohnarbeitern gereinigt wird.
In vielen Filmen des Programms drücken sich Problemlagen der Gegenwart aus, oft auf ungewöhnliche Weise: die im letzten Jahre neue eingeführte Reihe „Nachtsicht“ stellt ausgewählte Positionen zum europäischen Genrefilmschaffen vor und zeigt in diesem Jahr unter anderem James Watkins kontrovers diskutierten Thriller Eden Lake. Darin wird ein finaniell nach allen Seiten abgesichertes Durchschnittspaar in einem Waldstück von gewaltbereiten, verrohten Jugendlichen bedroht. Weitere Specials fokussieren unter anderem das junge türkische Filmschaffen oder zeigen in Kooperation mit Fantoche, dem internationalen Festival für Animationsfilm, ein Best of von gemalten, gezeichneten, gepixelten, gekneteten Kurzarbeiten.
Crossing Europe
177 Filme aus 33 Ländern umfasst das Programm des Crossing Europe-Festivals 2009. Es ist für jeden etwas dabei. Aber nicht alles wird jedem gefallen. Das ist die Stärke dieser Filmschau. Dass sie für ein Europa der vielen Identitäten, der tausenden Geschichten eintritt. Die alle nebeneinander Platz finden. Obwohl sie sich oft genug widersprechen. Man nennt das auch: Diskussion.