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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

19. 4. 2009 - 11:40

Rausch mit Bröseln

Das Kiffen und das Kino blicken auf eine wechselhafte, spannungsgeladene Beziehung zurück: es kam zu Ausgrenzungen und Diskriminierungen, Beleidigungen und Verbrechen. Jetzt ist aber alles wieder gut, denn Österreich hat seine erste offizielle Stoner Comedy: Contact High

Einige sagen: ein guter Film ist wie eine Droge. Andere sagen: ein Drogenrausch ist wie ein guter Film. Man kann festhalten: zwischen dem Laufbild und diversen bewusstseinsverändernden Substanzen (was auch immer man darunter subsumieren mag) besteht ein gewisses Nahverhältnis, vielleicht sogar eine gegenseitige Liebe.

Mit Michael Glawoggers zweitem Teil seiner geplanten Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll-Trilogie (der erste Streich war Nacktschnecken, der dritte befindet sich gerade in Planung), benannt nach dem Phänomen des Contact High, tastet sich jetzt auch das österreichische Kino vor in die Grau- und Buntzonen des sinnbefreiten, sinnerweiterten Drogenfilms. Genauer: der Kifferkomödie. Ein Genre, das sich in der heute bekannten und beliebten Form eigentlich erst in den späten Siebziger-Jahren als massenwirksam bestätigt hat, nachdem Richard „Cheech“ Marin und Tommy Chong als Stoner Comedy-Duo „Cheech & Chong“ in Nordamerika erfolgreich kalauerten und 1978 mit Up in Smoke zum ersten Mal auch auf der Leinwand zu sehen waren.

Die von Lou Adler inszenierte Komödie etablierte den „state of mind“ der beiden dauerdichten Protagonisten als „state of the art“ des Spaßfilms, meißelte damit auch die Formel für alle folgenden Kifferfilme in Granit: es sind Erzählungen von kontinuierlichen, aber ziellosen Bewegungen, ausgehend von der Vermutung, dass Menschen unter Marihuana-Einfluss grundsätzliche Alltagsbewältigungsmechanismen wie die räumliche und zeitliche Verortung seiner Selbst verloren haben.

DÖF in Drogomysl

Auch Max Durst (Theater im Bahnhof-Mann und „Nacktschnecken“-Star Michael Ostrowski) und Hans Wurst (Raimund Wallisch), die Kumpels aus „Contact High“, bewegen sich ohne anzukommen, sollen im polnischen Ort Drogomysl (!) eine Tasche unbekannten Inhalts abgreifen und nach Österreich transportieren. In derselben Mission unterwegs sind der schwule Autowerkstattbesitzer Harry (genial besetzt mit Detlev Buck) und der langhaarige Choleriker Schorsch (eine Paraderolle für Georg Friedrich): müßig zu sagen, dass keines der beiden Paare an ihrem Ziel ankommen wird.

Zwei Männer liegen im Gras

Luna Film

Detlev Buck (im Hühnermantel) und Georg Friedrich (liegend, leidend) in "Contact High"

Vor allem, da Regisseur Michael Glawogger, auch ansonsten ein beständiger Flexibilisierer etablierter Erzählgangarten (man blicke nur auf seine rauschhafte, musikalisch aufbereitete Arbeitsweltendokumentation Workingman’s Death), große Freude am Manipulieren von Wahrnehmungswelten zeigt: in „Contact High“ steht die Leinwand mehrfach Kopf, läuft die Welt rückwärts, tanzen Bullenschweine (im wörtlichen Sinn) in Diskotheken. Zudem spielt das Drehbuch, das der Regisseur gemeinsam mit Hauptdarsteller und „Partner in Dementia“ Michael Ostrowski verfasst hat, geschickt mit Sprachflüssen und Rhythmen, wenn die Figuren beginnen, in deutsch-englischer Kauderwelsch-Kunstsprache zu palavern, zu reimen, zu dichten.

Kiffen gegen den Mainstream

„Contact High“ muss sich aufgrund seiner inszenatorischen Wucht – fotografiert wurde der Film von Attila Boa und Wolfgang Thaler in überbetonten, unnatürlichen, ziemlich trippigen Farbpaletten – und der (selbst für das Subgenre der Kifferkomödie) radikalen Hakenschläge und Losenden seiner Erzählung nicht vor vergleichbaren internationalen Produktionen verstecken. Denn was in den Spätsiebzigern mit der kometenhaften Karriere von Cheech & Chong begonnen hat, ist mittlerweile zum Unterhaltungskulturklischee geworden: der Pothead fehlt in kaum einer Teenie-Serie, in kaum einer auf ein jugendliches Publikum schielenden Komödie, wird aber für gemeinhin als Idiot vom Dienst in die Ecke gestellt und für nicht gesellschaftsfähig erklärt.

Zwei nackte Männer

Centfox

Ashton Kutcher und Seann William Scott verlieren Kleidung, Auto und Verstand in "Dude, where's my car?"

In den 2000ern ist es dann vor allem im US-amerikanischen Kino (aber auch in Deutschland: man denke nur an Lammbock mit Moritz Bleibtreu) zu einer Renaissance des Kifferkinos gekommen: Regisseur Danny Leiner lieferte mit Dude, where’s my car?, famos besetzt mit Seann William Scott und Ashton Kutcher, eine pointierte und ausgesprochen verspielte Komödie ab, deren situationskomische Genialität und inszenatorische Gewitztheit von den meisten Kritikern übersehen worden ist.

Die Stoner Comedy gilt immer noch vielen als „eine Art von Kino“ für „ein gewisses Publikum“: eventuell tauglich für einen sinnentleerten Sonntagnachmittag, aber das war’s dann auch schon. Dass die Kifferkomödie allerdings per Definition und selbst in ihrer noch so polierten Variation die Grundfesten der Leistungsgesellschaft, das geschmeidige Funktionieren im Spätkapitalismus, eben die Abfolge von Arbeit, dann Geld, dann Vergnügen unterwandert, wurde und wird für gewöhnlich ignoriert.

Höhenflüge

Danny Leiner jedenfalls hat mit Harold & Kumar Go To White Castle nicht nur eine weitere, sondern eine der besten Kifferkomödien der letzten Jahre inszeniert. John Cho (der den jungen Mr. Spock in J.J. Abrams „Star Trek“-Film) spielt und Kal Penn geben das multiethnische Doppel, das es nach zu vielen Bongzügen nach Burgern der Marke „White Castle“ gelüstet. Auf dem Weg in den Fast Food-Schuppen begegnen sie nicht nur rassistischen Schlägertrupps, verrückten College-Studenten, einem mannshohen Weed-Päckchen, sondern auch „Doogie Howser“ Neil Patrick Harris und einer schwarzen Raubkatze. „Harold & Kumar“ ist eine geniale Renovation der „Cheech & Chong“-Vorlage, die sich nicht nur an bewusstseinsverändernden Ästhetiken aufgeilt, sondern unzählige Spitzen gegen die Heuchelei in der US-Gesellschaft reitet und darüber zu einem griffigen Gegenwartskommentar wird.

Harold and Kumar

Constantin

Harold und Kumar sind am Ziel ihrer Träume angekommen: die White Castle-Burgerbude

„Harold & Kumar“ ist wie schon „Ey Dude, where’s my car?“ jedenfalls in den USA zu einem veritablen Kassenerfolg geworden: die Kifferkomödie ist im Zentrum der Aufmerksamkeitsmaschine angelangt. Dort, wo sie eine lange Zeit gar nicht hin durfte, vielleicht auch gar nicht hin wollte.

Assassin of Youth!

Vor allem in den Dreißiger Jahren sind in den USA reihenweise sozialhygienische Aufklärungs- und Erziehungsfilme – am bekanntesten: Reefer Madness - produziert worden, die vor den negativen Auswirkungen von Marihuana auf Körper, Seele und Gesellschaft warnen wollten.

Reefer Madness

Public Domain

Ohne Rauch geht's auch: Szenenbild aus dem Aufklärungsfilm "Reefer Madness"
Cartoon All-Stars to the Rescue

ABC/CBS/NBC

Ein Aufklärungsfilm für Kinder aus den 90ern: Garfield, ALF und Daffy Duck warnen vor Drogen

In den Sechziger Jahre hinein wurde der Konsum von weichen Drogen in Filmen vorwiegend bis ausschließlich in Verbindung gebracht mit Verbrechern und sonstigen schädlichen Subjekten. In den Folgejahrzehnten änderte sich der Einfluss von Rauschmitteln auf die Laufbildproduktion aufgrund bekannter gesellschaftlicher Bewegungen beträchtlich: ganze Filme wurden im LSD-Rausch (hallo, Dennis Hopper!) gedreht, das Kiffen gehörte nach und nach zum guten Ton. Es hat allerdings bis 2007 gedauert, bis das Konsumieren von Haschisch den Buben aus den Händen gerissen und einer weiblichen Hauptfigur zugestanden worden ist: Komödiengöttin Anna Faris wankt im hervorragenden Smiley Face von Queer Cinema-Vorreiter Gregg Araki vollkommen zugedröhnt durch ihre Nachbarschaft.

Jetzt hat also auch Österreich seine erste offizielle Kifferkomödie: und was für eine! Denn „Contact High“ kann es sich erlauben, ein paar Schritte weiter zu gehen als die Filme aus Hollywood, surrealer, verrückter, kompromissloser zu sein. Spätestens wenn Sven Regener singt „Don’t bogart that joint, my friend“, summe ich mit, bin ich ganz drin in diesem Rausch. "Pass it over to me."