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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 4. 2009 - 20:35

Journal '09: 18.4.

Taz-stutzig.

Es ist immer wieder ein guter Maßstab beim Ausmisten: dafür wie ernst ich's meine, und auch dafür wie konzentriert ich bin. Jemand wie ich, der das Anhäufen von Printmedien formal, inhaltlich und auch architektonisch perfektioniert, sieht sich beim immer wieder fälligen Aussortieren mit schnellen Entscheidungen konfrontiert - die nur auf klare Kriterien gestützt erfolgen können.
Und während andere Tagblätter in solchen Fällen fast automatisch in den Bereich "pro Altpapier" wandern, lässt mich praktisch jede den kurzen Okay-Musterungsblick durchlaufende Ausgabe der Berliner Tagesszeitung, die nicht nur in Fach- und Fankreisen liebevoll "taz" genannt wird, stutzig.

Denn während andere erste Seiten, Titelseiten (bei Tageszeitungen verbietet sich der Begriff "Cover" ja eigentlich) bereits nach recht kurzem Abstand in sich kaum noch verständlich oder nachvollziehbar sind, hat fast jeder taz-Titel einen weiteren Nachhall. Mit "Terror über den Wolken verhindert", "Der Klimapolitik einheizen" oder "worse than we thought", um die ersten ersten Headlines, die ich zufällig aus einem Stoß gezupft habe, kann man ohne Kontext (und auch weil die Text/Bildschere eine große ist) genau nix anfangen.

Gestatten, "die tageszeitung", auch taz genannt

Taz-Cover von Samstag, 18.4.09

taz

Das heutige taz-Cover, bewußt unspektakulär.

Bei der taz muss ich nicht auf die jetzt schon legendäre Klinsmann/life of Brian-Montage vom letzten Wochenende zurückgreifen, es reicht auch hier die zufällige Stichprobe: "Der große Zocker" funktioniert eher nur mit den atomleuchtenden Augen von Ahmadinedschad drunter, aber ein Titel wie "Neues vom Video-Laden" bräuchte keinen Osama, und das Bild eines knappen Hitler-Bärtchens unterstreicht den Titel "NDP-Verbot: Maulwürfe vermehren sich wie Karnickel" (das behandelt das problematische Thema der sogenannten V-Männer) nur zart. Und die böse Ironie von "Kofi Annan verkündet Patentrezept gegen Aids" ist ein natürlicher Reinzieher ins Pharma/Medis/Entwicklungsländer-Thema, das sich in keiner anderen deutschsprachigen Headline finden würde, weil man ja allerorts Angst vorm sperrigen Thema hat.

Es gibt aber, das weiß das kollektive Handeln der taz, keine sperrige Themen, sondern nur sperrige Umsetzung.

Die taz kann nun beides: süffige Themen nicht wie ein banaler Spiegel abbilden, sondern mit einem zusätzlichen Dreh hinterfragen, womöglich sogar hinterfotzig; und sperrige Themen durch einen simplen Dreh süffig zu machen.

Sperriges süffig machen

Da können sich alle anderen hinten anstellen, und zwar weit hinten.
Deshalb sind die Lobreden auf die heute 30 Jahre alte taz auch alle mit einem leicht falschen Lächeln vorgetragen: Weil nämlich alle wissen, dass sie da über das formal beste Tageszeitungs-Projekt deutscher Sprache reden und sich also besser kein blödes Gerede leisten sollten.

Deswegen ist alles, was man an Kritik hört mit der Ideologie der taz verknüpft. Und da hat sich in 30 Jahren natürlich einiges angesammelt. Ich habe, bei einer der anfangs angsprochenen Ausmistereien eine ganze längere Jahrgangs-Phase von tazzen entsorgt, in der mir die Überbetonung von Friedens/Umwelt-Themen in einer anstrengend-basisdemokratischen Art und Weise die Lust am Taz-Blättern genommen hat. Aber auch da, immer wieder, blüht dazwischen die Ironie, die Lust am Aufwühlerischen, der von Ernsthaftigkeit beseelte spaßige Umgang mit den wichtigen Themen des Lebens.

Die taz ist auch Berlin

Das darf man nämlich nicht vergessen: dass die taz nur im alten Berlin, dieser Insel der Freaks, diesem Terrain des Risikos, diesem Outpost der Experimentalisten entstehen konnte. Dass weder die Desillusionierung der Lehmann-Generation, oder Mauerfall, Wiedervereinigung, noch Regierungs-Umzug und Umbau der Stadt diesem Experiment etwas anhaben konnte, sondern all das (und auch die ökonomische Armut samt ihrer kulturellen Stärke) die taz (inhaltlich) immer stärker und besser machte.

Natürlich ist auch die Einmaligkeit der inneren Struktur ein Hingucker, ist das Genossenschafts-System der taz ein Dauer-Thema, auch und vor allem anlässlich eines solchen Jubiläums. Denn an diesen Ungewöhnlichkeiten, sowohl den formalen, strukturellen als auch den offensichtlichen, inhaltlichen lässt sich leicht reiben - und somit von allerwichtigsten ablenken.

Dass es nämlich Modelle wie die taz sein werden, die überleben werden; nicht nur, weil sie sehr früh das Potential eines Web-Auftritts erkannt haben, sondern weil die Analyse, die spezielle Aufbereitung die Gegenwart des Journalismus sein sollten und die Zukunft des Journalismus sein werden - und nicht das schwachbrüstige Copy-Pasting, die langweilige Übernahme der allgegenwärtigen PR und das bieder-brave Sich-Rausnehmen aus dem behandelten Thema.

Gelebte Zukunft

Die Taz hat genug von alledem auch im Blatt, keine Frage - so wie alle, die an sich Großes leisten, auch viel an Schwachigkeiten mitschleppen, das liegt in der Natur der Sache, entspricht auch dem Konzept "Mensch" recht gut - aber sie ist das aktuell beste Role Model für gelebte Visionen. Deshalb klappts auch mit der Leserschaft, die sich verbunden fühlt, deshalb klappts auch mit andauernden Verbesserungen (wie wieder nach der heutigen Ausgabe), deshalb klappt auch mit dem szeneinternem Ansehen, deshalb sind die taz-Experten auch meist die ersten Ansprechpartner von Außen.

Weil das medienmacherische Denken sich eben nicht im bloßen Abhaken von Themen erschöpfen kann, sondern mehr benötigt; sowas wie eine fiktionale Qualität. Das dem von blaßgrauen Fadsätzen, die es für Qualitätsjournalismus hält, Begeisterten, die in einer Jahre hinterherdenkenden Branche hinterherleben, begreiflich zu machen, wäre mit einem zielgerichteten täglichen Blick in die taz eigentlich machbar, Herr Nachbar.