Erstellt am: 17. 4. 2009 - 18:00 Uhr
Gedanken zum Pirate-Bay-Urteil
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The Pirate Bay
Im Jahr 2004 war ich zu einer Podiumsdiskussion am Juridicum der Universität Wien eingeladen. Das Thema war Filesharing, eine Sache mit der ich bereits einige Jahre zuvor meinen Frieden geschlossen hatte. Nein, es würde mich nicht stören, wenn Menschen meine Songs gratis downloaden, gab ich zum Erstaunen eines anwesenden Musik-Lobbyisten und eines Jus-Professors bekannt. Schon im Jahr 2000 war eine Schönheitsfehler-Single Wochen vor dem Release zuerst auf einer Website, dann in Napster aufgetaucht.
Nicht Napster, die kommerzielle Bezahl-Website von heute, sondern Napster, die erste Filesharing-Software der Welt; 1998 programmiert von Shawn Fanning und jene Plattform, aufgrund der mp3 zum populärsten Audioformat wurde. Fanning wurde dann von diversen Musikkonzernen verklagt, die Filesharing-Plattform Napster wurde geschlossen, der Markenname an einen kommerziellen Musikanbieter verkauft.
Meinen persönlichen Ärger über den Leak der Schönheitsfehler-Single vor ihrem Release überwand ich, indem ich mir bewusst machte, dass mp3 und Filesharing derselben Technologie entspringen, die auch die Basis vieler meiner Musikproduktionen bildet: Sampling,Vernetzung, virtuell-analoge Synthesitzer, Harddiskrecording... digitale Technologien zu nutzen und gleichzeitig zu verdammen erschien mir ein wenig heuchlerisch, und mein Ärger verflog.
Das heutige Gerichtsurteil gegen die Pirate-Bay-Betreiber erinnert vielleicht an die Schließung von Napster - doch es gibt einen großen Unterschied: Im Gegensatz zu Napster lagern auf The Pirate Bay nicht Musikstücke, sondern Metadaten. Myspace speichert Musik auf den eigenen Servern. Youtube speichert Videos auf den eigenen Servern. Pirate-Bay speichert Links zu den Mini-Netzwerken (Torrents), die User untereinander knüpfen - es ist eine Suchmaschine. Das Urteil aber, das heute gegen die Pirate-Bay-Betreiber gefällt wurde, wird weitere Begehrlichkeiten der Unterhaltungs-Industrie wecken. Peter Sunde: "Der Richterspruch wird einen Standard setzen für Plattformen wie Google, wie Youtube, für alle. Wir verlinken nur Content, aber Google geht raus und holt sich den Content, kopiert ihn und legt ihn auf eigenen Servern ab, um ihn leichter verfügbar zu machen."
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EPA
Naturgemäß anders sieht das Andreas Manak, Rechsanwalt des Vereins Anti-Piraterie (VAP), der gegen Urheberrechtsverletzungen in Österreich vorgeht: "Youtube und Google haben ja ein sehr effizentes Abuse-System. Wer immer sich durch Material, das dort verfügbar gemacht wird in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt, kann das mit einem Abmahnschreiben beanstanden. Wenn bestimmte formale Kriterien eingehalten werden, dann wird das Material sofort gelöscht. The Pirate Bay dagegen hat Abmahnschreiben nicht nur ignoriert, sondern auch noch auf der eigenen Homepage veröffentlicht, mit zynischen und höhnischen Kommentaren versehen und behauptet, man verletzte ja gar keine Urheberrechte – was eine Scheinbehauptung ist."
Die Scheinbehauptung und die Provokationen sind Teile der Strategie von The Pirate Bay. Denn das Ziel der Organisation hinter der Suchmaschine ist die Schaffung öffentlichen Diskurses, der zu einer Reform oder im Idealfall zu einer kompletten Abschaffung des Urheberrechts führt, das man für nicht mehr zeitgemäß hält.
Das Internet wurde zur Verbreitung digitaler Information geschaffen. Vor allem große Firmen, die mit dem geistigen Eigentum einer großen Zahl von Kreativen handeln, wollen die Freiheit im Internet einschränken - etwa Mark Getty, Gründer der weltweit größten Bilddatenbank Getty Images, der einmal gesagt hat: "Geistiges Eigentum ist das Öl des 21. Jahrhunderts". Dafür sind Getty und seinesgleichen bereit, in den Krieg zu ziehen - Kollateralschäden nicht auszuschließen. In Schweden kündigen sich nach der heutigen Urteilsverkündung inzwischen erste Demonstrationen an; die Betreiber von The Pirate Bay hoffen auf breiten Widerstand gegen die zunehmende Reglementierung des Internet.
Berufung
Vom Netz genommen wird The Pirate Bay vorübergehend nicht, und die vier Verurteilten berufen gegen das Urteil. Sie wollen falls nötig auch vor den Verfassungsgerichtshof oder den Europäischen Gerichtshof ziehen. Vorher aber werden wir wohl einen Anstieg an Mahnklagen gegen Filesharingsites erleben, wie auch einen Anstieg von regionalen Sperren auf Videowebsites und gesperrten Nutzerprofilen auf Social-Networking-Sites.
Ich erinnere mich zurück: Einige Jahre bevor Myspace dank der Einbindung von Gratis-Musik die Welt erobern sollte, bot die Website mp3.com einen ähnlichen Service. Ich nutzte ihn, um unveröffentlichte Tunes unter die Leute zu bringen und landete drei Mal hintereinander auf Nummer 1 der Downloadcharts. Geld brachte das zwar nicht, internationales Feedback und das eine oder andere DJ-Booking im Ausland schon. Im Vergleich mit dem von Werbebanners und kommerziellen Musikangeboten verseuchten Myspace von heute erinnere ich mich mit ein bißchen Wehmut an die Urversion von mp3.com zurück.
Freilich erinnere ich mich auch an den Wunsch, zusammen mit den E-Mails von mp3.com-Usern aus aller Welt vielleicht auch den einen oder anderen Kontoeingang zu sehen. In diesem Sinn ist das Verhältnis zum Internet seitens vieler Musiker, Programmier, Designer oder Filmemacher ein gespaltenes. Der Ärger über Torrents oder kopierte Silberscheiben aber ist meist kurz und vor allem situationsbedingt: Es ist nicht ratsam, einen Musiker nach seiner Show um ein Autogramm auf der selbstgebrannten CD zu bitten.
Instinktiv aber wissen Künstler, dass menschliche Kultur immer auch eine Kultur des Kopierens und Imitierens ist, und dass gerade die Möglichkeit zur millionenfachern Reproduktion von Kunst auch deren Dekonstruktion und Evolution beschleunigt: Remixes, Neuinterpretationen und völlig neue Kunstformen entstehen gerade im digitalen Raum. Als Internetuser und Musiker frage ich mich: Wenn Filesharing die Unterhaltungsindustrie so sehr schädigt, wie kommt es dann, dass der am meisten downgeloadete Film ("Batman: The Dark Knight") gleichzeitig auch der mit dem größten Umsatz im Kino ist? Ich frage mich: Ist das traditionelle Geschäftsmodell der Unterhaltungsindustrie eher bewahrenswert, als ein Netzwerk, in dem die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte weltweit und nahezu simultan Information und Kunst austauschen kann? Dieses Netzwerk selbst ist ein zu schützendes Kulturgut.