Erstellt am: 16. 4. 2009 - 19:05 Uhr
Journal '09: 16.4.
Über ein prägendes Schul-Erlebnis von großer widerständischer Kraft. Und was das mit jüngst Erlebtem (im Rahmen der aktuellen ORF-Debatte) zu tun hat. Und warum das noch nicht reicht.
In der Oberstufe hatte ich eine Klassenkollegin namens Barbara. Barbara war ein stilles Mädchen, unauffällig in Kleidung, Verhalten und Ansprache, eine Vorzugsschülerin, deren Klugheit man unter einer gehörigen Portion Naivität aber durchaus vermuten konnte.
In der 7. Klasse änderte sie, angespornt durch einen überehrgeizigen Philosophie-Lehrer, der uns mit Existenzialisten, aber auch Castaneda vollstopfte und versuchte aus vorsichtigen Schülern (die in einer konservativen Schulumgebung nicht allzuviel probierten) lebensfroh-riskante Experimentierer zu machen, sehr plötzlich ihr Verhalten um 180 Grad. Aus der stillen, braven, folgsamen Barbara wurde innerhalb weniger Tage (was der ganz konkrete Auslöser war, ich weiß es nimmer...) die mutige Sprecherin der Klasse.
Renitenz, jung
Barbara begann, zumindest einmal am Tag, angesichts von Situationen, in denen sich die an Schulen ja speziell institutionalisierte Verlogenheit manifestierte, aufzustehen und zu appellieren. Schon bei ihrer ersten kleinen Ansprache redete sie mehr als den gesamten Jahren zuvor, und wir, die anderen, ebenso überraschten, applaudierten ihr - obwohl ihr Thema eine Schieflage in der Klassengemeinschaft war. Aber erstens hatte sie recht und zweitens waren alle begeistert, dass sie, die bislang quasi Stumme da etwas angestoßen hatte.
In den nächsten Tagen ging das weiter, Barbara wagte sich immer tiefer vor, begann in ihren zunehmend sprachlich brillianter werdenden Exkursen einzelne Lehrer, interne Strukturen aufzublatteln, als sinnlos und menschenfeindlich zu entlarven und bot auch Lösungen an (die zwar ein wenig naiv waren, aber durchaus einen verfolgbaren Kern in sich trugen). In der zweiten Woche von Barbaras Reden traten unsere Lehrer bereits mit Respekt oder gar Angst in unsere Klasse - jederzeit konnten sie von einem der mittlerweile berühmten Barbara-Monologe erwischt werden. Niemand traute sich nämlich was dagegen zu sagen: dazu war Barbaras record als Musterschülerin zu sauber, dazu waren ihre Ansagen auch zu korrekt, ihre Vorschläge zu richtig, dazu war sie vielzusehr Jeanne d’Arc.
Auf dem Höhepunkt ihrer sprachlichen Macht riskierte Barbara die direkte Konfrontation mit dem schlimmsten Monster, der paranoiden und gleichzeitig grausamen Französisch-Lehrerin, deren widerliche Handlungen sie auf eine fast zarte und mitleidige Weise ansprach - und dergestalt für alle Zukunft verunmöglichte.
Dieser letzte Kraftakt führte zu einer brutalen Neutralisierung: zwar ging die Französisch-Bestie nach ihrem Nervenzusammenbruch in einen Erholungsurlaub, aus dem sie gebrochen und nur kurz zurückkam (ehe sie in die - inhaltlich überfällige - Pension geschickt wurde), aber auch Barbara wurde abgezogen. Sie bekam eine "Behandlung", die aus ihr längerfristig dann wieder das ruhige brave Mäuschen machte.
Die heilige Barbara
Ich erinnere mich an eine ganz furchtbare "Barbara gehts wieder gut und sie lädt alle ein!"-Geburtstagsparty, die ihre Eltern Monate später organisiert hatten, bei der wir alle gute Miene zum bösen Spiel machen mußten. Ihr Vater war übrigens, erschreckenderweise, ein sehr bekannter Pädagogik-Professor.
Ich habe aus diesem furiosen aber auch erschreckendem Zwischenspiel meiner Schulzeit eine Menge mitgenommen. Es hat mir bestätigt, dass die Macht des Wortes eine hohe ist, aber auch gezeigt, dass es auch um den haushaltenden Einsatz geht. In dem Moment, wo Barbaras direkte, poetische Analyse in ein prophetisch-esoterisches Fahrwasser kippten, in dem Moment, wo sie sich durch das Zurschaustellen von allzu großer persönlicher Verwundbarkeit angreifbar machte, wurde das von den Schul-Mächtigen brutal ausgenützt. Denn das Überschreiten von gesellschaftlich klar gezogenen Grenzen der verbalen Zumutbarkeit wird hart bestraft - sofern man sich nicht via Kunst oder sonstwas Narrenfreiheit erworben hat.
Mein inneres Maß-System, was in welcher Situation der deutlichen offenen Ansprache von Dingen, wie stark zumutbar ist, ist in Barbara-Einheiten definiert. Die meisten halten wenig aus, sind schon bei mittleren Stufen völlig überfordert und flüchten sich sofort in formale Ablehnung, um die inhaltliche Auseinandersetzung zu vermeiden.
Da bei denen, die prinzipiell zu sowas wie Auseinandersetzung fähig sind, immer auch was von Inhaltlichen hängenbleibt, bin ich (wenn nötig) immer mit einem hohen Barbara-Wert in wichtige Situationen gegangen (denn die Sofort-Abblocker erreicht man eh nicht. Mit nichts.). Im Bewußtsein des Risikos, egal ob privat oder beruflich.
Renitenz, alt
In jüngster Zeit mußte ich wieder öfter an die alte Barbara-Epidsode denken. Weil ich nämlich zuletzt einige Situationen miterlebt habe, in denen zuvor ruhige, brave, bestenfalls ironisierende Menschen in wahrheitsschleudernde Mutigsprecher.
Das hat mit den aktuell im ORF grassierenden Golden-Handshakes zu tun. Dabei handelt es sich nicht, wie ich gestern in einem der (gegenüber Politiker- und Verleger-Interessen buckelnden) hoffärtigen Schmierblätter gelesen habe, um einen finanziell superbegünstigten Ausstieg in die Pension (wie man es in einem repetativ-belastendem Job vielleicht noch argumentieren könnte), sondern um etwas, was von aktiven Journalisten als unverfrorener Angriff auf ihre Arbeit aufgefaßt wird - der noch dazu von inhaltlich ahnungslosen Kaufleuten und jedem kreativen Potential verständnislos gegenüberstehenden Berufsfernen entworfen wurde. Wer (nur zum Beispiel) als langjähriger, hochqualifizierter und seine Profession liebender Ö1-Journal-Experte (also als eine der unbestritten besten Fachkräfte des Landes) überfallsartig mit einer (absurden) politischen Umständen geschuldeten Pensionierungs-Drohung konfrontiert ist, reagiert natürlich anders, als jemand, der die Rente als Befreiung von der Arbeit wahrnimmt.
Das hat nun den von mir angesprochenen Neben-Effekt. Menschen, die jahrelang zwar ihrer Fachmann/frauschaft nachgegangen sind, sich aber zur Gesamtlage nicht weiter geäußert haben (und wenn, dann keinesfalls öffentlich), finden in den letzten Tagen harte, wahre, unbarmherzige Worte zur Lage ihrer "Schule" (in diesem Fall der Medien).
Wahrheit satt
Ich erlebe in den letzten Tagen mehr Barbara-ähnliche Ansagen, wahrheitssatte Monologe und konfrontative Auftritte als in den Jahren zuvor.
Der Beginn der letzten Resolution des ORF-Redakteursausschuss:
"Die ORF-Journalistinnen und -Journalisten verwehren sich gegen alle Versuche, die finanzielle Krise des ORF zum Anlass zu nehmen, das wichtigste Medienunternehmen des Landes stärkerer Kontrolle der parteipolitischen Macht zu unterwerfen.
Sie schließen sich den Alarmrufen gegen wachsenden politischen Druck auf öffentlich-rechtliche Medien in ganz Europa an. Es darf zu keiner "Berlusconisierung" der europäischen Medien-landschaft kommen. Im Gegenteil, erst recht in Krisenzeiten sind unabhängige öffentlich-rechtliche Medien noch wichtiger für eine lebendige Demokratie.
Die ORF-Journalistinnen und -Journalisten warnen eindringlich davor, dass Regierungsparteien versuchen, es zu einer Tradition zu machen, über Gesetzesänderungen stärkeren Einfluss auf den ORF zu nehmen. So wenig die Politik sich in Personalentscheidungen und die journalistische Arbeit des ORF einzumischen hätte, so sehr sollte sie endlich erledigen, wofür sie verantwortlich ist: ordentliche gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Nicht "nur" für den ORF, sondern für die gesamte österreichische Medienlandschaft."
Natürlich hat das damit zu tun, dass es a) ein offeneres Debattenklima im Medienbereich per se (auch weil die Bedrohung aus allen Winkeln eine so große ist) gibt, dass b) ein um Eckhäuser offeneres ORF-interenes Diskussionsklima gibt als zu Bacher/Zeiler/Lindner-Zeiten (wo eine strikte interne Überwachung herrschte), und c) das offenere Ansprechen der zunehmend unverfrorener als unpolitisch bezeichneten und deutlich politischer (that is: parteipolitischer) agierenden Kontroll-Organe (z. B. des Stiftungsrat) möglich ist.
Es hat auch damit zu tun, dass es im Gegensatz zu beispielsweise Deutschland oder England keine funktionierende Debatten-Kultur im dafür zuständigen Feuilleton gibt. Wo SZ, FAZ, Times oder Guardian als zwar ideologisch gefärbte, aber medienstrukturell unabhängige Einmahner agieren, ist die jüngst erfolgte österreichische Versammlung der sich sorgenden Chefredakteure nichts anderes als ein weiteres verlags/politisch besetztes Gremium mit klaren Interessenslagen (die in der Hoffnung auf die Filetierung Kapital schlagen wollen).
Wenn Falter-Chefredakteur Thurnher da (wie gestern geäußert) an eine unabhängige Handlungs-Kompetenz seines Pendants Fleischhacker glaubt, dann ist das naiver als meine Barbara jemals war.
Das alles aber hat in den letzten, diesbezüglich eh schon bewegten Monaten nicht zu einem wirklichen Aufstehen geführt - erst jetzt, bei einer unabsichtlich passierten, eher patscherten Drohgebärde gegen den beurflichen Ethos einiger, stehen die auf und reden Tacheles.
Leuchtraketen gegen reine Machtpolitik
Da stellen ideologisch klar positionierte Direktoren der machtpolitischen Elite, die an nichts als Redezeiten und Kontrolle der Nachrichten-Elemente interessiert sind, und denen restliche, von gutmeinenden Konsumenten geführte inhaltliche Debatte, völlig powidl ist und nur zur Instrumentalisierung dient, ein verheerendes Urteil aus, da klagt der hochdekorierte Hauptabteilungs-Leiter die Mechanismen der völlig jenseits von fachlichen Kriterien, in rein politischer Schieberei bestellten Stiftungsräte ein, dass es kracht, da stehen jene, die sich jahrelang nur in ironischen Randbemerkungen genügt haben, mit satten und deutlichen Analysen auf. Derzeit noch hauaptsächlich intern und halböffentlich - nur die, die immer schon Scheißmirnixe waren, sagen es auch in Medien-Interviews deutlich - womöglich bald auch noch öffentlicher.
Denn nur mit sehr klaren Leuchtraketen (als die sich die Rettet den ORF-Bewegung womöglich in erster Linie versteht, zumindest sehen es einige der Unterzeichner so) ist es möglich einer rein machtpolitisch argumentierte Bereinigung derzeit allzu kritischer Strukturen zu entgegnen.
Und so sehe und höre ich derzeit eine Menge Barbaras aufstehen und unerwartet leuchten. Das ist, mit all den vorhin schon besprochenen Einschränkungen, eine gute Sache - auch weil heutzutage das mit der "Behandlung" eben nimmer so leicht geht wie in den 70ern.
Einzig eines ist schade. Und schlecht.
Dass es scheinbar immer einer Extremsituation bedarf um die Wahrheit zum Leuchten und Menschen dazu zu bringen, sich zu exponieren. Entweder als Erleuchtungsschub der Jungen, denen man die Erfahrung absprechen kann, oder als letztes Aufbäumen der Alten, die sich deswegen trauen, weil sie wissen, dass man sie nicht mehr lange hören wird.
Wild horses und lame ducks
Wirklich wichtig ist die klare und deutliche Ansage im Bereich dazwischen, zwischen den Jungen und den Alten. Aber dort existiert sie nicht.
Wirklich glaubwürdig kommt ein wahres Wort nämlich nur von dem, der mit dem Ansprechen auch was zu verlieren hat. Das spürt man, glaub ich, instinktiv.
So schön es ist, wenn sich Pensionäre wie Peter Huemer und Gerd Bacher jetzt hinsetzen und an Gesetzes-Text-Vorschlägen basteln - das kanns nicht sein (und nicht nur, weil Bacher schon das letzte Gesetz mitverbockt hat), dass die Rentner, die nicht nur technologisch den Anschluß bereits verpaßt haben, Definitions-Macht für die Zukunft ausüben (das ist ja, als würde man einen von der Geschichte Überrundeten - wie Hans Krankl - zum Trainer machen ... hoppla, falsches Beispiel ...).
Wenn sich nur die noch oder bald Machtlosen trauen aufzustehen, einzufordern und Risiko zu nehmen, dann ist es kein Wunder, wenn nix passiert. Weil sich, die, die könnten, auf Mauschel-Politik beschränken, weil sie Angst um aktuelle Machtpositionen haben, deshalb wird die aktuelle Lage so wenig wahrhaftig diskutiert, deshalb wird - auch im Medienbereich, auch intern - soviel gelogen.
Es braucht Barbaras, ganz viele, aber eben nicht nur Schüler, und Fast-Pensionäre.