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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

15. 4. 2009 - 13:24

Watschen und gute Zusammenarbeit

Rund um die Londoner G20-Proteste vom 1. und 2. April sind neue Filmzeugnisse der Polizeigewalt aufgetaucht. Schützt die unabhängige Ermittlerkommission die Polizei?

Schwer zu sagen, was das hohlere Gefühl im Magen hinterlässt: Wenn man sich selbst beim ungerechtfertigten Zynismus ertappt (kommt vor) oder bei der eigenen Naivität.

Unlängst hab ich hier jedenfalls eine Story zum Tod des Trafikanten Ian Tomlinson bei den G20-Protesten in der Londoner City veröffentlicht, die unter anderem einen Link zu meiner alten Geschichte über die Hintergründe der öffentlichen Hinrichtung des unschuldig für einen Attentäter gehaltenen Brasilianers Jean Charles de Menezes enthielt.

Eine der Schlussfolgerungen meines Berichts aus dem 2005er-Jahr war, „dass jedes Land sowas wie eine Independent Police Complaints Commission“ haben sollte. Das kommt mir im Nachhinein betrachtet, gelinde gesagt, doch ein wenig blauäugig vor.

Prügel bei der Totenwache

Ich weiß schon noch, wie ich auf diese Idee gekommen war. Schließlich bin ich in Österreich aufgewachsen, wo – zumindest nach meiner Erfahrung – vor Gericht die Zeugenaussagen von Polizisten automatisch Faktenstatus annehmen, während in Großbritannien nicht nur jeder kleine Formalfehler seitens der Exekutive ein Gerichtsverfahren zur Einstellung bringen kann, sondern zusätzlich eben auch noch jene „unabhängige Polizeibeschwerdenkommission“ (IPCC) eingeschaltet wird, sobald irgendwo der Verdacht auf Missbrauch der Staatsgewalt aufkommt.

Polizist schreit Demonstrantin an

Guardian

Stills von der...

Die Sollbruchstelle dieses Systems liegt freilich im Wörtchen „unabhängig“. Nicht zuletzt, wo diese vermeintlich Unabhängigen ja vom selben Staat finanziert werden, dessen Exekutive sie zu untersuchen haben.

Im vorliegenden Fall hat die IPCC sich einstweilen jedenfalls nicht gerade als der bissigste aller Watchdogs hervorgetan. Letzten Donnerstag hatte ihr Vorsitzender Nick Hardwick in einem Interview mit Channel Four News behauptet, es gäbe keine Überwachungskamerabilder von jener Stelle, wo Ian Tomlinson von der Polizei attackiert wurde. In der Zwischenzeit hat sich diese Behauptung als unwahr herausgestellt.

Polizist watscht

Guardian

...auf der Guardian-Website...

Möglich, dass Hardwick – wie die IPCC sagt – einfach nicht voll in die Ermittlungen eingeweiht war, selbst wenn das nicht unbedingt für seine Kompetenz als Interviewpartner, geschweige denn als Chef sprechen würde. Man braucht sich aber nicht sonderlich in der City auszukennen, um zu wissen, dass es dort kaum einen Kubikzentimeter öffentlichen Raums gibt, der nicht von mindestens zwei Kameras zugleich abgefilmt würde. Ist die „gute Zusammenarbeit“ mit der Polizei, von der Hardwick im selben Interview sprach, am Ende gar ein bisschen zu gut?

Und ist ein Kontrollorgan, dem man nicht voll vertrauen kann, immer noch besser als gar keins?

Polizist holt zur Ohrfeige aus

Guardian

...veröffentlichten Polizistenwatsche auf der Totenwache für Ian Tomlinson

Channel Four News stecken derzeit selbst in rechtlichen Streitigkeiten über eine Kamera, die während der Demonstration zerstört wurde. In den aus der Kamera geborgenen Aufnahmen ist jedenfalls zu sehen, wie Tomlinson mit einem Knüppel geschlagen wird.

In der Zwischenzeit hat der Guardian, der die ersten Bilder des Vorfalls veröffentlicht hatte, ein weiteres filmisches Zeugnis angewandter Polizeigewalt ins Netz gestellt. Darauf ist deutlich zu sehen, wie ein Beamter eine Frau zunächst mit dem Handrücken ohrfeigt und dann in Ruhe seinen Knüppel zieht, um ihr einen gezielten Schlag auf die Oberschenkel zu verpassen. Der Polizist wurde inzwischen suspendiert. Makabrerweise fand dieser Zwischenfall bei der Todeswache für Ian Tomlinson am Tag nach dessen Tod statt.