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Rafael Reisenhofer Osnabrück

Lebt und studiert in Osnabrück

17. 4. 2009 - 15:00

PISA-Boykott-Boykott!

Warum eine Verweigerung der PISA-Studie durch SchülerInnenorganisationen kontraproduktiv ist.

Der Ursprung der Misere:
Bildungsministerin Schmieds Brief an die Österreichischen LehrerInnen mit der Ankündigung, die wöchentliche Unterrichtszeit um zwei Stunden zu verlängern. Mittlerweile wurde daraus eine.

Vor etwas mehr als einer Woche hatte die ÖVP-nahe Schülerunion erstmals aktiv und mit eigenen Forderungen in den aktuellen Konflikt zwischen Bildungsministerin Schmied und Lehrergewerkschaft eingegriffen, und für den Fall einer (inzwischen ja eingetretenen) über die Osterferien hinaus andauernden Fortführung des Streits mit dem Boykott der anstehenden Neuauflage der PISA-Studie gedroht. Nach dem neuerlichen Scheitern der dienstäglichen Verhandlungsrunde machte die von der Schülerunion dominierte BundesschülerInnenvertretung prompt ernst, und rief alle 5.000 an PISA teilnehmenden SchülerInnen in einem offenen Brief dazu auf, ihre Tests nicht auszufüllen und die Studie somit unbrauchbar zu machen. Bei dieser "treffsicheren Maßnahme", so Bundesschulsprecher Nico Marchetti im Interview mit Ö1, gehe es der SchülerInnenvertretung darum, "die Qualität in den Schulen zu sichern und zu verbessern".

Die BM Claudia Schmied nach einer Verhandlungsrunde von Lehrervertretern mit der Bildungsministerin in Wien.

APA/Georg Hochmuth

Unterrichtsministerin Claudia Schmied am Donnerstag, 16. April 2009, nach einer Verhandlungsrunde von Lehrervertretern mit der Bildungsministerin in Wien.

Treffsicherheit

Die Forderungen der Schülerunion:

  • Maßnahmen zur innerschulischen Qualitätssicherung und - verbesserung statt Feilschen um Schulstunden!
  • Keine zentrale Matura!
  • Einführung von mitbestimmenden Schulpartnergremien auf Bundes- und Landesebene.

Politische Kampfmaßnahmen beziehen ihr Erfolgspotential in der Regel daraus, dem Gegner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches erhebliches Kopfzerbrechen zu bereiten. Würden beispielsweise sämtliche Tankwarte Österreichs aus einer schlechten Laune heraus anstatt Benzin zwei Wochen lang nur noch überteuerten Orangensaft verkaufen, so dürfte man getrost mit entsprechenden Aufmärschen zürnender Fußgänger und einem schiefen Haussegen im Infrastrukturministerium rechnen.

Wer aber sollte an einem schülerseitigen PISA-Boykott ernsthaft Anstoß nehmen? Hatten doch in der Vergangenheit von der damaligen Ministerin Gehrer abwärts nahezu sämtliche Institutionen und Persönlichkeiten des Österreichischen Bildungswesens alle Hände voll zu tun, der besorgten Öffentlichkeit unsere desaströsen PISA-Ergebnisse mit einem zu hohen Immigrantenanteil oder statistischen Unschärfen zu erklären. Schönfärbereien, die sich Claudia Schmied nach erfolgreicher Torpedierung der Studie durch unwillige Schüler wahrscheinlich nicht ungern ersparen würde. Ebenso Lehrergewerkschaft und VertreterInnen der Elternverbände, die sich ihre Nachkommenschaft von Natur aus nur ungern schlechtreden lassen. Ganz im Gegenteil könnten kreative Köpfe noch auf die Idee kommen, den erfolgreichen Boykott als leuchtendes Beispiel gelebter Schul-Demokratie abzufeiern. Schauderhaft!

Qualität sichern

Herzstück einer jeden funktionierenden Qualitätssicherung ist die stete und gründliche Prüfung des betreffenden Produktes. Hinsichtlich öffentlicher Schulsysteme ist die PISA-Studie ungeachtet aller Schwächen mit Sicherheit eines der aufschlussreichsten und international renommiertesten Testverfahren. Diese - für jede Weiterentwicklung unabdingbare - Vergleichsmöglichkeit im Zuge eines über weite Strecken lächerlichen innenpolitischen Disputs nicht wahrzunehmen, wäre eine grobe Fahrlässigkeit und kann in keinster Weise im Interesse aktueller und zukünftiger Schülergenerationen liegen.

Die Ergebnisse der bisherigen Pisa-Studien

bifie

Die Ergebnisse der bisherigen PISA-Studien. Quelle: bifie

Qualität steigern

Die AKS ist gegen einen Boykott der PISA-Studie und wirft der Schülerunion einer aktuellen Presseaussendung parteipolitische Motiviation vor.

Um tatsächliche Reformen im Österreichischen Bildungswesen auf den Weg zu bringen, braucht es erheblichen politischen Willen und ein gehöriges Maß an Kompromissbereitschaft in den Reihen der Koalitionspartner. Dinge, deren Ursprung meist in großem öffentlichen oder internationalen Druck liegt. Einer der wenigen Impulse, der es tatsächlich vermochte, etwas Schwung in die über lange Jahre des Stillstands erstarrte Österreichische Bildungspolitik zu bringen, waren die besorgniserregend schlechten heimischen PISA-Werte und der darauffolgende öffentliche Aufschrei. Die Verkleinerung der Schülerhöchstzahl und das mit hohem Andrang belohnte Versuchsmodell der neuen Mittelschule - beides erste kleine Pflänzchen der Reform und Folgen der nicht bestreitbaren Notwendigkeit, etwas zu tun, unser Schulsystem wieder auf internationales Niveau zu bringen. Eine Notwendigkeit, die ohne die Resultate der bisherigen PISA-Studien niemals als solche erkannt worden wäre.

Boykott-Boykott!

Der Gesamtverlauf der Lehrerarbeitszeit-Debatte zur Nachlese.

Bei allem ehrlichen Verständnis dafür, politischen Forderungen mit konkreten Kampfmaßnahmen Nachdruck verleihen zu wollen - ein von der BundesschülerInnenvertretung initiierter Boykott der PISA-Studie wäre nicht viel mehr, als der von Politik und Öffentlichkeit verständnisvoll mitleidig belächelte Schnitt ins eigene Fleisch. Ein hoher Preis für eine trügerische Woche politischer Relevanz.