Erstellt am: 14. 4. 2009 - 21:45 Uhr
Journal '09: 14.4.
Manchmal, vor allem in Zeiten, wo die Fliehkräfte des Medien-Betriebs nicht ganz so stark in Kraft sind (also rund um Feiertage, wenn die wichtigen Windmacher allesamt stiller sind), passiert es mir ja, dass ich recht komplett in sehr spezielle Themen eintauche und dem akribischen Nerd in mir Ausgang gebe.
Etwas, was vor allem in ungeraden Jahren, wenn es meine tägliche Zielsetzung ist, möglichst viel Rohmaterial an sonst Unterrepräsentiertem oder zuwenig aus einem anderen Blickwinkel Gedachtem zur Verfügung zu stellen und es so schnellkochtopfmäßig wie möglich aufzubrutzeln, fast unmöglich ist.
Manchmal, wie die letzten Tage ergibt es sich, zufällig, von selber: wenn es drum geht vollständige Überblicke aufzubereiten, wenn es drum geht, alles (oder: alle) miteinzubeziehen, dann geht der Anreisser-Gestus des tagesaktuell Arbeitenden/Denkenden automatisch in die fast wissenschaftlich anmutende Entrückung über.
Das Glücksgefühl der Akribie
Wenn sich dann über der mikroskopisch genauen Beschäftigung mit kleinteiligen Faktensammlungen, die erst in ihrer Gesamtheit Sinn machen, eine kontemplative, fast zenbuddhistische Stimmung ergibt, dann kommt bei mir ein Flashback nach dieser Art des journalistischen Zugangs auf.
Ich find mich dann wieder in Gefühlserinnerungen an alte Musicbox-Sendungen, für die ich schon einmal zwei, drei Wochen in eine eigene Welt getaucht bin, auf der Suche nach einer möglichst intensiven Beschäftigung mit Spezial-Objekten in allen möglichen Bereichen, wurscht ob jetzt Musik, Kino, Medien oder, dann auch im Privaten, mit Menschen.
Im wissenschaftlichen und dokumentarischen (auch im privaten) Kontext ist das immer noch das Optimum, für Spezial-Medien auch eine Gegenwart (und das special interest-Medien ein Teil der Zukunft sind, darüber herrscht auch Einigkeit).
Ausklinken fürs Thema
Trotzdem kam mir heute, nach zwei Tagen, in denen die Nachrichtenlage-Außenwelt nicht weit vorgedrungen ist, was komisch vor. Und zwar in dem Moment, als mich einzig die Meldung "Vanek kann bei der WM für Österreich spielen" verleitet hat, mich weiter zu beschäftigen, während ich die echt wichtigen Themen gar nicht mehr wahrgenommen habe.
Das passiert leicht, wenn man sich ausklinkt um spezialistisch zu agieren. Und irgendwann geht der Blick für die Umgebung verloren, irgendwann filtert man dann alles, was das kleine Feld nicht betrifft aus. Und das ist fatal.
Das ist ein Problem an dem Menschen, die in sehr speziellen Feldern sehr genau arbeiten, oft leiden. Und irgendwie stellt das dann auch einen Widerspruch zu der optimalen Herangehensweise für Journalismus dar – wohlgemerkt, nicht dem Special-Interest-Journalismus, sondern dem alltäglichen Gebrauchs-Journalismus.
Wieso ich da aktuell ein so genauer Bild davon habe?
Mir ist per Klo-Lektüre ein Glaubensbekenntnis untergekommen.
Es geht so: „Warum wird man Journalist? Weil man verändern will. Weil man bewegen will. Weil man sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden will. Weil man unterhalten will. Zum Nachdenken anregen. Oder einfach Dinge beim Namen nennen will. Weil man will, dass die Schwachen eine Stimme bekommen und gehört werden. Weil man aufregen will. Dass Menschen verstanden werden, die sonst keiner versteht. Dass einfach was passiert. Denn Journalismus ist nie Stillstand, sondern immer Bewegung."
Diskurs-Drive
Das hat Drive, auch wenn man schon während des Lesens in Betracht ziehen muss, dass der Autor es nie und nimmer halten kann, und im Rahmen des Mediums, dessen aktueller Ausgabe er das vorangestellt hat, scheitern wird.
Andererseits: ein deutliches Bekenntnis für die Bewegung, die schnelle, das ist glaubwürdiger als die zunehmend nicht mehr realistische Versicherung sich stets mit wissenschaftlicher Akribie einer Sache, nein: jeder Sache anzunehmen. Das geht in einem klar abzusteckendem, in einem endlichen Rahmen – das ist allerdings in Bezug auf komplexe Zusammenhänge und deren Sichtung praktisch immer gelogen.
Später, als ich dann bei einer semiöffentlichen Diskussion zu Medien-Fragen die Anmerkungen eines Print-Chefredakteurs zum Thema Diskurs-Qualität höre, bin ich geneigt diese offen auf das Einfache reduzierten Ansagen des News-Chefredakteurs als wirklich relevanten Maßstab herzunehmen.
Denn der andere CR, der vom Qualitätsblatt mit Anspruch, nimmt sich zwar durch das Aufstellen von Kriterien für Qualitätsjournalismus wichtig, erfüllt aber wenig davon selber.
In einer Debatte zum Thema Öffentlich-Rechtlichkeit stellt er offensiv die Unkenntnis des ORF-Gesetzes aus. Und die selbstgestellte Diskurs-Aufgabe, derer sich die Qualitäts-Printmedien rühmen, wird nicht nur verhindert (wenn die aktuelle Ideologie des eigenen Produkts Thema ist), es folgt auch ein Plädoyer eine wesentliche Debatte (die aktuelle um den ORF) doch eher im ORF selber zu führen als im (letztlich für Kulturfragen dieser Preisklasse zuständigen) Feuilleton, also dass gedankliche und dann auch praktische Outsourcing von demokratiepolitischer Verantwortung.
Da stellt sich jemand, der wöchentlich den Gourmet mimt, hin und argumentiert wie ein Gourmand. Doppelt enttäuschend.
In diesen Momenten
kann ich mit denen, die reich-ranickiesk nach den wert- und gehaltvollen, nur von wahren Spezialisten erarbeiteten Werken rufen, nichts anfangen; wenn sie sich nämlich durch die eigene Unzulänglichkeit, den bereits schlampigen Zugang desavouiren.
In diesen Momenten ist mir die flapsige Unbedarftheit des Boulevards, der an die schnelle Befriedigung des Kunden denkt, um einiges lieber. Weil dort, in der Befriedigungs-Sucht-Maschinerie nicht so viel gelogen und gepost wird, was das Wollen betrifft.
Da stellt sich keiner als Wohlmeiner und Wohltäter aus, als Diskurs-König – bloß um den dann in seiner Praxis weitestgehend zu verhindern oder auszulagern, da kommt eine offen an ökonomischen Interessen orientierte aber praktische Nachbarschafts-Hilfe-Charta zum Tragen. Eine, die täglich neu passiert.
In diesen Momenten weiß ich, warum ich der kleinen "Mad Scientist"-Verlockung in mir so gern widerstehe, warum – um bei einer Sport-Metapher zu bleiben – das Kurzpassspiel das Effektivste ist (und das sag ich nicht nur, weil es Xavi, Iniesta, Messi und Co grade so wundervoll zelebrieren), warum das tägliche Anreißen (in all seiner dadurch möglichen Redundanz) einfach bedeutsamer ist, als die fatale Langsamkeit des Sammeln, Abwarten und Sich-Verlassen auf andere Diskurs-Nehmer.
Und ich bin mir sogar recht sicher, dass ich mit dem nämlichen Chefredakteur dann, wenn er sein Problem mit den neuen Medien (die er alle zusammen für "das Internet" hält) überwunden hat (und das wird bald sein, weil es bald nötig sein wird) gar nicht so weit auseinandersein werde.