Erstellt am: 9. 4. 2009 - 20:51 Uhr
Journal '09: 9.4.
Herbert heißt natürlich nicht Herbert, das ist ein Anonymisierungs-Tool. Es herrscht eh schon viel zu viel Nicht-Anonymität in der neuen, so sozial vernetzten Welt.
Herbert kann seine Aufgeregtheit nicht verbergen. "Ich sag's dir..." wiederholt er immer wieder und zappelt hibbelig, lässt seine Blicke immer wieder in die Umgebung gleiten, tastet die Vorbeihastenden ab, "der Frühling, echt arg... ", sagt er und nachdem er kurz ein paar Floskeln über den plötzlich spürbaren Frühlings-Blüten-Duft, das traumhaft milde Wetter und die schlagartig aufgeblühten Menschen verloren hat, kommt er zum Punkt: "Diesmal ist's so arg wie lange nicht mehr."
Denn: Kaum ist Herberts Frühling da, ist Herbert der unerwartete Hauptdarsteller seiner eigenen Daily Soap, einer, die ihm jeden Tag neue Wirrnisse und neue Menschen in das Setting schickt, als wär's ein Drehbuch für eine Telenovela. "Und das echt erst seit ein paar Tagen!", seit es umgeschlagen hat, wettertechnisch. Sagt Herbert, und glaubt es auch. Vor allem, weil er sich so überrumpelt fühlt von dem, was ihm da passiert.
Herberts Liste
Zuerst war da vorige Woche eine lange nicht gesehene alte Bekannte aufgetaucht, in einem der Social Networks, in denen sich Herbert (wie fast alle Menschen seiner Umgebung seit dem Winter) so umtut. Und hat allerlei in Aussicht gestellt, was auch schon damals ganz gut geklappt hatte. "Einfach so!", sagt Herbert.
"Einfach so", sag' ich, "einfach eine aufgewärmte G'schicht. Ja, ganz was Neues".
Dann war er in einem Chat an eine Frau aus seiner Branche geraten, mit der er jetzt (noch durch eine Bundesländergrenze abgesichert) heiße Botschaften austauschen würde, die bald auch zu mehr führen könnten. "Na schau", sag' ich, "eine Chat-Balzerei, wui."
Na, wart ab, sagt Herbert und packt den nächsten Finger seiner Hand an. Da war dann nämlich noch diese Kollegin im "Office", mit der er seit wenigen Tagen (eben seit diesem alles verändernden Frühling) bei jeder Begegnung Funken schlagen würde.
Ein Büro-Flirt, wahrlich auch eine Weltpremiere - denke ich mir, weil ich merke, dass es gar keinen Sinn hat, hier laut zu kommentieren.
Friendfinder
Ja, und dann wäre über einen "Friendfinder" eine alte Uni-Flamme wieder aufgetaucht. Und die ist über Ostern in der alten Heimat und es würde ein Date geben dieser Tage. Herbert greift sich an die Brust, so aufgeregt ist er. Ja, alte Flammen können noch heiß brennen.
Und während er sich mit der einen was ausmacht, mit der anderen herumschäkert und bei der dritten Vorfreude hegt, funkt ihn eine Ex-Freundin seinen kleinen Bruders an, die ihn und seine Fotos, die er so stolz austellt im Social Network, gefunden hat und schöne Worte dazuschreibt. Worte, die Herbert natürlich auf sich umdeutet, weil er derzeit der gefragteste Typ auf dem Planeten ist. In seiner Daily Soap. "Irre, oder?", sagt er und wartet gar nicht ab, dass ich was Ironisches drauf sage. Denn: Einen hat er noch.
Ob ich wisse, in wen er rein"gebumpt" sei, jetzt knapp vor einer halben Stunde? In sein G'spusi von vor zwei Jahren. "Die natürlich sofort wieder alles Erdenkliche in Aussicht gestellt hat?" frag ich nach. Janeinvielleichtwurscht, winkt Herbert ab: allein die prickelnde Atmosphäre, die auch hier geherrscht hatte, würde ihm rechtgeben.
Dieser Frühling ist seiner; und er ist irre.
Social Networking
Ich zeichne eine Stricherl-Listen-Statistik auf eine Serviette. Schau, sag' ich, vier von diesen sechs wahrlich unpackbaren Erlebnissen sind via Web 2.0 passiert, zwei sind real: Ein Büroflirt und eine Zufallsbegegnung. Beides Dinge, die dir auch sonst passieren oder zumindest passieren können, wenn du es zulässt.
Und die vier Heavy Flirts über die Social Networks, ihre Chats und anderen Tools - die sind nicht echt?
Gute Anmerkung, Herbert, sag' ich und stocke.
Echt sind sie schon.
Und sie sind auch kein Zufall.
Aber sie haben wohl weniger mit dem Frühling per se zu tun, als mit der Tatsache, dass seine User sie erstmals in dieser neuen Umgebung erleben.
Facebook, Twitter und die anderen gehen nämlich, zumindest in Österreich, zumindest bei der großen Mehrheit seiner User, in den ersten Frühling, wo die Lust rauszugehen sich mit der Lust zu schnuppern und Leute zu treffen, paart und sich daraus ganz logisch eine aufgeganselte Stimmung entwickelt.
Die Chat-Pionierzeit
Ich erinnere mich und Herbert an den ersten Frühling der damals völlig neuen Chat-Kultur zu Beginn des Jahrtausends.
Auch damals hat die neue Form sozialer Interaktion übers neue Medium im zweiten Schritt, der mit dem Beginn der Freiluft-Saison zusammenfiel/-hing, dazu geführt, dass bis dahin durch den Austausch von Kennenlern-Ritualen aufgeganselte Leute sich im echten Leben trafen und massiv übereinander herfielen. Eine echter Power-Chatter hatte drei-fünf Verhältnisse gleichzeitig zu haben, sonst war er/sie es nicht.
Die Social-Network-Welle trifft jetzt auf ein ein wenig älteres Publikum, Leute ab 25, 30, 35, die es also nicht so anarchisch wild treiben werden wie die Early Adopters damals, sondern alles dezenter angehen - trotzdem schlagen da die Triebe recht fest aus, stärker als z.B. letzten Frühling, der noch ganz ohne diese Netzwerke auskommen musste, wo die Möglichkeiten, sich mit dem Beginn der schönen Jahreszeit so viele Optionen wie nur möglich aufzumachen, vervielfacht wurden. Und weil viele Optionen und viele Flirts sicherer machen, strahlen mehr Menschen mehr aus, was wiederum andere anlockt usw. - ein Perpetuum Mobile des Frühlingserwachens quasi.
Neues Spielzeug
"Du meinst also, dass es nicht an mir, sondern an den Umständen liegt?", sagt Herbert und klingt dabei gar nicht beleidigt, eher ein bisserl erleichtert. "So nach dem Motto: Das neue Spielzeug ausreizen und als große Dating-Suchmaschine benützen?" Schon, oder?
Denn das Uni-Sweetheart war ja wohl auch die letzten Ostern daheim - und da war er nicht auf ihrer Rechnung. Das Missverständnis mit der Freundin des Bruders wäre ohne die mittlerweile nötige Selbstdarstellungs-Pose gar nie passiert, der Sex-Talk mit der Kollegin in der anderen Stadt auch nicht und das Auftauchen von Exen wird durch Such-Funktionen wie bei Facebook oder StudiVZ natürlich massiv begünstigt.
"Soweit ich mich erinnere", sagt Herbert, ehe er aufbricht, um eine weitere Folge seiner Personal Soap zu erleben, "war es damals, im Chat-Wahnsinn so, dass das nur eine Saison wirklich heiß war. Das heißt dann wohl, dass ich mich ranhalten muss, wenn ich wieder so eine unwiderbringliche Premiere-Saison erleben will."
Seh ich auch so. Nächstes Jahr, Herbert, ist es zu spät. Da wird es dann wieder einen ganz normalen Frühlings-Beginn geben, einen ohne neu zu schreibende Regeln, einen ohne wilde Improvisation. Oder es gibt da einen anderen, einen neuen Verstärker, von dem wir jetzt noch gar nichts wissen. Zur Not bleibt eh noch der süße Blütenduft.