Erstellt am: 11. 4. 2009 - 16:03 Uhr
Guerilla Gardening
Selbst Berlin wird langsam grün, die Bevölkerung scheint sich plötzlich verdreifacht zu haben, alle hängen vor den Cafés rum und strecken ihre blassen Gesichter in die Sonne. Und wer einen Balkon hat, gibt damit an, was bei ihm alles schon wieder wächst und grünt.
Warum auch nicht? Besingen nicht die Dichter seit zweitausend Jahren das Wunder der wieder erwachten Natur im Frühling? Und das Gärtnern in der Stadt ist ja seit ein paar Jahren in Kunst und Politik ein Thema. Dabei reicht es aber nicht, seinen Balkon zu begrünen - Guerilla Gardening ist der letzte Schrei. Dabei ist das Gärtnern als Protestform von Großbritannien ausgehend schon etwa seit dem Jahr 2000 ein subtiles Mittel politischen Protests und zivilen Ungehorsams. Die illegale Gemüseszucht auf Brachland wird auch in New York seit Jahren praktiziert, aber jetzt scheint der Trend endgültig in deutschen Städten angekommen zu sein. Beim Guerilla Gardening werden für die heimliche Aussaat von Pflanzen im öffentlichen Raum Samenbomben, sogenannte seedbombs genutzt. Die kann man dann vom fahrenden Rad aus auf Verkehrsinseln werfen oder beim Spaziergang unauffällig fallen lassen.
roesinger
In der aktuellen Ausgabe der Kunstzeitschrift Art wurde jetzt erörtert, ob Guerilla Gardening als neue Kunstform gelten kann. Nun ist ja die Performancekunst ein weites Feld, und die Idee von Kartoffelanbau auf Berliner Verkehrsinseln und Reisanbau zwischen New Yorks Wolkenkratzern hat etwas für sich.
Aber als Landkind steht man der großen Euphorie des urbanen Gärtnerns grundsätzlich ein wenig skeptisch gegenüber. Ein Zucchinibeet macht noch keine Selbstversorgung und ein Blumenbeet kann schöner aussehen als ein Kartoffelacker. Vielleicht stört aber auch nur der allzu sorglose Umgang mit dem Guerilla-Wort?
roesinger
Warum muss eigentlich den wieder entdeckten, altbekannten Kulturtätigkeiten jetzt immer ein Attribut aus dem revolutionären Sprachschatz vorangestellt werden? Wenn eine neue Generation plötzlich das Handarbeiten wieder entdeckt, heißt es Radical Knitting und Revolutionary Cross Stich.Und jetzt Guerilla Gardening.
Vielleicht weil es so herrlich nett und einfach und auch schick ist, etwa scheinbar Revolutionäres zu tun, das keinem wehtut, niemanden ärgert und keinerlei Risiko darstellt?