Erstellt am: 6. 4. 2009 - 18:13 Uhr
Bitterfotze
Ich bin erst dreißig und schon so verbittert. Ich bin richtig bitterfotzig. Das war nie so geplant. Ich habe wie alle anderen von der Liebe geträumt. Aber ein Verdacht, der vielleicht eine Einsicht ist, hat sich allmählich in mir ausgebreitet, und er macht tiefe, eitrige Wunden: Wie sollen wir jemals zu einer gleichberechtigten Gesellschaft kommen, wenn es uns nicht einmal gelingt, mit demjenigen gleichberechtigt zu leben, den wir lieben?
Das denkt sich Protagonistin Sara auf ihrem Flug nach Teneriffa, zu dem sie aufgebrochen ist, um dem scheußlichen Jänner in Schweden zu entfliehen. Aber nicht nur der grauen Kälte entflieht sie, sie lässt auch ihren zweijährigen Sohn bei ihrem Mann zurück, weil sie endlich wieder einmal Zeit für sich braucht. Zeit, um zu schlafen und um nachzudenken. Zeit, die sie nicht mehr hat, seit sie Mutter ist.
Kiepenheuer und Witsch
Der Gedanke an das Alleinsein, das mich erwartet, lässt mich breit lächeln. Gleichzeitig nagt das schlechte Gewissen an mir, alle uralten Tabus. Warum wirken egoistische Frauen nur so schrecklich unanständig, während Egoismus bei Männern völlig normal ist?
Denn Sara bemerkt, dass sie schief angesehen wird, dafür, dass sie ihren zweijährigen Sohn für eine Woche alleine bei seinem Vater lässt. Dass die Leute sie fragen, ob in ihrer Ehe etwas nicht stimmt, ob mit ihr etwas nicht stimmt. Und das, obwohl umgekehrt ihr Mann Johan sie und das kleine Baby bereits wenige Wochen nach der Geburt für drei Monate allein ließ.
Die Einsicht, wie schuldbeladen die Mutterrolle ist, mit welcher Selbstverständlichkeit alle möglichen Forderungen gestellt werden, verglichen mit der Vaterrolle, lässt mich neidisch und bitterfotzig werden. Ich möchte auch Mann sein und erleben, wie es sich anfühlt, wie die ganze Gesellschaft Beifall klatscht, weil ich knapp zwei Monate Elternzeit nehme, während niemand auch nur eine Augenbraue hebt, wenn meine Frau die restlichen zwölf nimmt.
Sara denkt also in Ruhe nach, alleine auf Teneriffa. Dabei beschreibt sie nicht nur ihren Alltag als junge Mutter. In verschiedensten Episoden werden auch Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter beschrieben. Ein abwesender Vater, eine Mutter, die Hausfrau ist und sich stumm aufopfert, die vom Vater gequält wird bis die Eltern sich scheiden lassen. Erste sexuelle Erfahrungen als Jugendliche, die dem jungen Mädchen sehr schnell zeigen, dass sie vor allem Beute für die Jungs zu sein hat und nicht Jägerin. Der Studienbeginn und die Möglichkeit, erstmals selbstbestimmt zu leben. Erfahrungen als junge Journalistin, das Anstoßen an der gläsernen Decke, die männlichen Kollegen, die auf der Karriereleiter an ihr vorbeiziehen.
Saras Gedanken kehren früher oder später immer zum Thema Zweierbeziehung zurück. Zentrales Thema ist hier immer wieder die Unfähigkeit der Männer zu kommunizieren, während die Frauen versuchen die Kommunikation aufrecht zu erhalten. So beobachtet Sara im Buch die Paare rund um sich herum, im Hotel in Teneriffa:
Die Frauen in diesem Frühstücksraum sind alle ihren Männern zugewandt, mit dem Körper und dem Blick. Die Männer sitzen entweder abgewandt oder schauen geradeaus. Bisher habe ich kein einziges Paar gesehen, wo der Mann der Frau zugewandt ist. Sogar wenn sie sich gegenübersitzen, ist sein Blick irgendwo weit weg, am Horizont, während ihre Aufmerksamkeit bei ihm ist. Ständig bereit zu lächeln oder etwas zu erwidern.
Aber Saras Analyse ist nicht nur auf individuelle Beobachtungen beschränkt. Immer wieder werden statistische Tatsachen eingeflochten, es wird aus den Werken feministischer Größen wie Erica Jong oder Suzanne Brögger zitiert. Dadurch thematisiert Sara in ihren Überlegungen zur Ungleichheit auch die dahinterliegenden gesellschaftlichen Strukturen. Die angebotene Lösung bleibt aber auf der Ebene der Einzelnen:
Manchmal denke ich, die einzige Möglichkeit, Gleichberechtigung zu erreichen, ist, das Verhalten und die Starallüren der Männer zu übernehmen. Das ist nicht lustig, aber vielleicht eine notwendige Maßnahme. Dass Frauen wirklich die Verantwortung abgeben müssen, sich gestatten genauso schlampig, vergesslich und egoistisch zu verhalten wie ihre Männer.
Der Roman endet nicht sehr radikal. Revolution wird keine angezettelt, auch wenn Sara sich eine wünscht. Aber sie kehrt aber zurück zu Mann und Kind und beschließt weniger bitter zu sein. Gleichzeitig will sie nicht aufhören zu kämpfen. Denn:
Vor bestimmten Geschehnissen kann ich jedoch nicht die Augen verschließen. Will ich nicht die Augen verschließen. Aber vielleicht kann man Teilzeit-Bitterfotze sein? Halbtags?
Reaktionen
Leif Hansen
Erschienen ist "Bitterfotze" im Verlag Kiepenheuer und Witsch. Dieser hat vor über einem Jahr Charlotte Roches "Feuchtgebiete" abgelehnt. Mit "Bitterfotze" soll dieses Versämnis nun scheinbar wieder gut gemacht werden. Allerdings ist die Publikation der deutschen Übersetzung des Romans auch nicht ohne Diskussionen vor sich gegangen: So ist es bei der Besprechung zu dem Buch angeblich so heiß hergegangen, dass ein männlicher Kollege beleidigt die Sitzung verließ und Stunden nach dem Meeting immer noch kleine Grüppchen auf den Gängen des Verlags über das Buch diskutierten.
Autorin Maria Sveland sagt im Interview mit dem Verlag, sie habe erwartet, nach dem Erscheinen des Buches "verbittert" und "Fotze" genannt zu werden. Deswegen hat sie sich gleich selbst so bezeichnet. Und sie meint auch, eine Bitterfotze sei das Gegenteil von einer weiblichen Märtyrerin. Nämlich eine Frau, die die Schnauze voll hat und die ihrem Ärger Luft macht.
Dabei ist das Buch gar nicht so provokant, wie von der Kritik gefeiert. Das Spannende sind weniger die von Sara geschilderten Episoden, denn diese sind eigentlich nicht rasend originell und gehen über eine eher stereotype Kritik heterosexueller Paarbeziehungen nicht hinaus. So erinnert etwa der Vorwurf an die Männer, dass sie nicht kommunikationsbereit sind, an Ratgeberliterauter à la "Frauen können nicht einparken". Und auch die präsentierten Tatsachen, etwa, dass Ehen leichter kaputtgehen, wenn die weibliche Partnerin erkrankt, während sie im umgekehrten Fall erstarken, kennen wir bereits.
Das Spannende an dem Buch ist also, dass eine junge Frau, die eigentlich bekannte Dinge ausspricht, solche starken Reaktionen auslösen kann. Weil sie damit das Selbstverständnis der westlichen Welt, nämlich doch ach so gleichberechtigt zu sein, untergräbt. Und weil ebendieses Bild oft dafür benutzt wird, um kritische Stimmen mundtot zu machen. Und dagegen kämpfen sie weiter an, die Bitterfotzen unter uns.