Erstellt am: 7. 4. 2009 - 11:29 Uhr
Snowbombing 2009
...the nearby Tux Glacier: where you can [...] gaze fuhrer-like over three countries (Austria, Italy and Germany)...
Die PR-Texter wissen, wie man Österreich in England verkauft. Und der Betrachter schließt messerscharf: Es ist Snowbombingzeit und das Selbstmordtal (copyright ein der Redaktion namentlich bekannter, teilzeitgriesgrämiger Exiltiroler) Zillertal wird zur Partyhochburg.
radio fm4 / Heinz Reich
Was ist ein Snowbombing eigentlich?
Snowbombing: das erhält der Festivalalchemist, wenn er nicht ganz astreine Proben von Schulschikurs, Musikfestival, Springbreak und Massenmaturareise zusammenpantscht. Was in der Theorie noch einen durchaus bedrohlichen Beigeschmack hat (halbkomatöse Hooligans mit Jägermeisterverschlüssen auf der Nase, anyone?), gehört in der Praxis aber zu den besten Festivalerfahrungen, die man nur haben kann. Das hat mit der überaus intelligenten Begeisterung zu tun, mit der die englischen Middleclasskids die Herausforderung Snowbombing in Mayrhofen angehen. Und mit der wahrscheinlich einmaligen Kombination von Piste am Tag und Piste in der Nacht.
radio fm4 / Heinz Reich
Rave On!
Der Schlussauftritt von 2 Many DJs am Freitag ist so eine Nacht, die du nie wieder vergisst. Der erste wunderschön warme Tag seit geschätzten sieben Monaten. Der frische Geruch von Schnee und Kälte liegt noch in der Luft - und du betrittst eine Waldlichtung, die in blauen und violetten Tönen fluoresziert. Die Bühne hat ein Tiroler Holzdach, die tausenden britischen FestivaltouristInnen haben ihre schönsten Ausgehuniformen und Verkleidungen an. Dann entern Stephen und David Dewaele die Bühne, legen mit ihrem Hey Boy, Hey Girl Remix los und dann fast zwei Stunden auf.
2 Many DJs knallen ein Set voller Superhits hin, das nicht ein einziges Break lang cheesy, prollig oder daneben daherkommt. Ein Pop-Set als Kunstwerk, ein britischer Rave im Tiroler Wald. Fatboy Slim, für den die beiden belgischen Soulwax-Mitbegründer last minute eingesprungen sind, weine ich keine Träne nach. Obwohl die sehr unbürokratische An- und Absagenpolitik beim Snowbombing durchaus seine Tücken hat. La Roux ist vom Line Up verschwunden, die Filthy Dukes haben ihren Auftritt kurzerhand von Dienstag auf Sonntag vorverlegt, dafür sind plötzlich die Noisettes aufgetaucht und haben dann vor zehn Menschen gespielt, weils keiner sonst gewusst hat.
radio fm4 / Heinz Reich
Mayrhofen ist super!
Den Snowbombern ist das naturgemäß eher egal. Schließlich haben die meisten von ihnen ein Komplettpaket gebucht, bestehend aus Anreise per Bus oder Bahn, Schipass für eine Woche, Unterkunft und Eintritt für alle Partys in den verschiedenen Locations. Die kleineren Artists treten für ein Taschengeld und gratis Schiurlaub auf, was auf den Pisten und in Mayrhofen zu interessanten Begegnungen führt. Skream vergisst seine Schuhe in der Gondel, Kissy Sell Out verletzt sich bei einem Hindernis im Snowpark, Cassette Jam scheitern am Zigarettenautomaten, der nur österreichische Bankomatkarten akzeptiert, Lindström schlendert mit seiner Frau zum Shoppen durch den Ort, Beardyman (Bester Live-Act! Ich schwöre! Der soll so schnell wie möglich wieder ins Land kommen!) sieht das FM4-Mikrofon und legt eine Freestyle-Beatboxing-Einlage hin.
Snowbombing ist ein exklusives Festival. Anreise und Unterkunft sind teuer, dafür ist man nah an den Artists dran und auch die Locations sind schnuckelig intim. Stell dir einmal eine kleine, holzvertäfelte Kneipe vor, in der große Namen wie DJ Zinc auflegen. Oder ein riesengroßes Iglu am Berggipfel, wo Bands spielen und sich die Discokugel dreht. Surreal ist nur ein Hilfsausdruck für diese Szenerie.
Wo sind die ÖsterreicherInnen?
Abgesehen von einigen locals (vermutlich Bürgermeisterstöchter), die man am andersfärbigen Festivalbändchen erkennt, sind die Briten hier unter sich. Snowbombing findet fast schon traditionell unter Ausschluss der österreichischen Öffentlichkeit statt. Schade eigentlich, denn die Engländer bringen regelmäßig Acts mit, die sonst nie oder selten nach Österreich kommen. (Mr. Hudson, Ladyhawke oder Dizzee Rascal haben etwa ihre Österreichpremiere gefeiert.)
Vielleicht liegts an den 100 Euro, die so eine Festivalwoche in den Zillertaler Alpen kostet. Vielleicht liegts aber auch daran, dass man zwar gern über Festivalmonopolisten und immer gleiche Lineups schimpft, aber erst recht nirgends hingeht, wo (zumindest am sogenannten österreichen Markt) kein Geld für Werbung ausgegeben wird.
radio fm4 / Heinz Reich