Erstellt am: 4. 4. 2009 - 19:49 Uhr
Journal '09: 4.4.
Der "wichtige" Jahrestag ist ja der 8. April.
Denn da kam die Nachricht über die Agenturen, abends war das, ich weiß das noch, weil der Spiegel natürlich Recht hat mit dem Satz, dass man noch weiß, wie man diese Nachricht erfahren hat, so klischeemäßig das auch klingen mag.
Am 8. April hat man ihn gefunden, an einem Ort, den ich mir jetzt - wie wohl alle anderen, die nicht ortskundig sind, oder sich Bilder der "cabin", in der's passiert ist, genau angeschaut haben - natürlich wie in Last Days bei Gus van Sant gesehen, vorstelle.
Da haben die fiktiven Bilder die realen längst überlagert.
Auf den 5. April hat man sich dann rückwirkend (mittels Schätzung) als Todestag geeinigt, es war ja niemand zugegen, der Zeugenschaft ablegen könnte - also ist es irgendwie nie passiert, oder doch geräuschlos wie das Einhandklatschen im Wald, das ja auch nicht existiert, wenn es keiner hört.
Hohe Todesfeiertage
Insofern ist mir der 5. April kein hoher Todesfeiertag; manchmal, wenn ich es rechtzeitig weiß, denk ich am Abend des 8. April an den Abend des 8. April damals, und an die folgende lange Nacht, in der in einem langen, windigen Outdoor-Gespräch dann der letzte Baustein für das Bekenntis zum unerbittlichen Einsatz um ein heute wichtiges Medium auf den Weg zu bringen gelegt wurde.
Aber das hat dann schon alles weniger mit Cobain zu tun.
Über den wissen die Nachgeborenen viel mehr als die Zeitgenossen.
Ich hab' das nicht nur in den ersten 5, 6, 7 Jahren an den Jubiläumstagen gemerkt, als die, die von Nirvana (aufgrund ihres jugendlichen Alters) wohl erst posthum so richtig eingenommen wurden, heftige öffentliche Würdigung einforderten (auch via FM4-Zimmerservice, aber nicht nur).
Allerdings ist dieser Strom nie abgerissen; und die Forderer werden nicht älter, sie halten den Altersschnitt. Der unfreiwillige Verführer Cobain, der Typ, der genau diesen Teil seiner Wirkung immer so heftig hinterfragt hat, ist immer noch eine Honigfalle.
Muster-Vorbild
Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sich (rocknroll-technisch) seit '91 (Nevermind) nicht so viel getan hat, dass sich die Grauzone zwischen Alternative und Mainstream (zumindest der via Medien) immer noch an Cobainschen Maßstäben orientiert: Figuren wie Fallout Boy schminken sich nach an die Spiegel geklemmten Cobain-Fotos, Aufreger-Karrieren wie die von Doherty oder Winehouse laufen nach seit Cobain bekannten Mustern ab.
Damit geht natürlich eines Hand in Hand: die nachträgliche Übergewichtung des Privaten, die optische Überlagerung durch Nachlass-Bilder oder Filme, die Nachahmungs-Taten und Blaupause-Karrieren verstellen logischerweise den Blick der heutigen, jungen Nirvana/Cobain-Forscher auf die tatsächliche Wertigkeit dieses zwischen '87 und '93 agierenden Unternehmens gegen die Popkultur-Gewohnheiten.
Das ist nicht deshalb wichtig, weil die damalige Sicht der Dinge eine richtigere war, sondern weil oft der Fehler gemacht wird, nachträgliche Zuschreibungen einzuberechnen und dann inhaltliche Forderungen aus heutiger Sicht und mit heutigem Wissen zu stellen.
Posthume Geraderückungen
Heute wäre all das nämlich nicht möglich, unter heutigen Medien- und Musik-Umständen würde ein heutiger Cobain gänzlich anders handeln, handeln müssen.
Aber unter diesen Absurditäten leiden sowieso alle, die keine Möglichkeit zur Geraderückung haben, also die, die sich komplett zurückgezogen haben, oder die Toten.
Das ist wiederum eine Gruppe, der's eigentlich wurscht sein kann. Wiewohl Novoselic oder Courtney (von anderen wie Chad Channing erst gar nicht zu reden) heute noch unter diesen Zuschreibungen leiden - ihre Reaktion (totaler Rückzug, defensive bzw. totale Offensive) könnte unterschiedlicher nicht sein. Geschafft sich zu lösen hat es Dave Grohl, der allerdings auch nie ein enger Freund war.
Das, was Cobain in die Musikwelt eingebracht hat, wird niemand, der heute Nirvana entdeckt, ohne historische Hilfe wahrnehmen können - zu selbstverständlich ist das alles bereits.
Und auch die von Nirvana bewusst betriebene Offenlegung der Destruktivität des Musik-Biz ist heute (zum Zeitpunkt ihres Zerfalls) kein wichtiges Thema mehr.
Die Ausbeutung jeglicher Jugendkultur durch sofort ansaugenden Mainstream und auch das Ende des Glaubens an die ewige Dauer der Postmoderne - all das hat Cobain entscheidend mitgetragen; und all das ist heute 15 Jahre nach seinem Tod nicht sehr zeitrelevant, sondern common sense.
Bleibt: die Verzweiflung des Individuums
Die ist ewig, die hat poetische Kraft, die ist ein Motor für alles, was wir künstlerischen Ausdruck nennen.
Und genau hier habe ich, 15 Jahre später, seltsamerweise immer noch Hemmungen, die Augenzeugen-Berichte vom Münchner Abend des 1. März (als Nirvana ihre Tour abbrechen mussten) allzu ausführlich auszubreiten. Nicht nur, weil sie keine weiteren Auswirkungen auf Cobains Schaffen hatten (auf die dort bewusst gesetzte OD, den nachfolgenen Suizid-Versuch samt kleinem Koma in Rom folgte eine Kurz-Entziehung daheim, eine Flucht und nur Tage später der Schuss aus der Schrotflinte), sondern auch weil es nur der finale Akt eines Stückes war, für dessen Kernszenen ich eben keine Augenzeugen aufbringen kann.
Das fiele dann unter "spekulative Hochrechnung" und davon gibt's (auch seit fast 15 Jahren) schon zuviel. Und ich weiß, wie ich reagiere, wenn ich Überschriften wie "Cobain murdered!" oder ähnlichen Exploitation-Schas sehe: Ich blättere angewidert weiter.
Immerhin, fällt mir grad ein, ist mir zumindest schon lang keine Papparazzi-Scheiße über Cobains Tochter mehr aufgefallen; und ich hab' sogar ihren Namen vergessen - ein gutes Zeichen.
Der "wichtige" Jahrestag
ist also der 8. April. Und ich weiß noch gut, wie ich, eher zufällig, die damals noch nicht via Internet oder lauten, weltweit konzertierten Breaking News, sondern über die stummen Kanäle der Nachrichtenagenturen ankommende Botschaft des zu Erwartenden, des irgendwie Befürchteten, empfangen habe und dann weitertragen musste, über einen längeren Weg quer durchs Funkhaus - nicht um es sofort rauszuschreien (es war nach der damaligen Sendezeit, die News kamen dann in den folgenden Nachrichten zur vollen Stunde - heute alles nicht vorstellbar, damals, im weniger aufgeregten Medien/Zuhörer-Klima, eine Selbstverständlichkeit), sondern um es der Augenzeugin mitzuteilen.
Es ist eine üble Sache, der Überbringer einer wirklich schlechten Nachricht zu sein. Es macht ein richtig mieses Gefühl im Magen.
An einzelne Songs, an Konzerteindrücke, an Interview- oder Fernsehbilder, an das Gefühl hier was Großes zu entdecken, zuerst für sich und dann festzustellen, dass es allen anderen auch so ging, und zu wissen, wie selten sowas passieren würde - an all das erinnert mich der Todestag nie.
Das ist an andere Assoziations-Ketten gekoppelt.
Und das ist gut so.