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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

3. 4. 2009 - 18:57

Ein Sofa und zwei Teenage-Dramen

The Virgins und The Pains Of Being Pure At Heart

Das Schwarze Sofa

In Brooklyn steht ein Sofa. Dieses Sofa ist schwarz, aus Leder und darauf nehmen Tag für Tag jede Menge Hinterteile Platz - die Mehrzahl davon in Jeans gewandet.

Das Sofa gehört zum Inventar des Backstage Berreiches der Music Hall Of Williamsburg, die wiederum Teil des Veranstalter-Konglomerats The Bowery Presents zählt. TBP, die auch meinen akustischen Favouriten, den Bowery Ballroom in der Lower East Side, betreiben, versuchen in Sachen Indie und Artverwandtem als einer der wenigen unabhängigen Konzertanbieter New Yorks im kalten Schatten der beiden Majors Live Nation und A.E.G. Live zu bestehen und haben sich mittlerweile selbst ziemlich breit gemacht dies und jenseits des East River.

Die Schwarze Couch und Peggy von The Pains Of Being Pure At Heart

Radio FM4 / Christian Lehner

Die Schwarze Couch und Peggy von The Pains Of Being Pure At Heart

Die exquisite Programmierung der Music Hall Of Williamsburg führt mich immer wieder in den Backstage-Bereich der Venue, die vorher als 'Northsix' bekannt war und erst vor wenigen Jahren nach Vorbild des Bowery Ballroom umgebaut wurde.

So kam es vor einigen Wochen, dass ich innerhalb weniger Tage gleich zwei Mal die verwinkelten Gänge zu den Rock & Roll Gaststätten im obersten Stock hinaufgestiegen bin.

Getroffen und (auf dem Schwarzen Sofa sitzend) gesprochen habe ich dort zwei Bands, die nicht unterschiedlicher sein könnten, die aber eines eint: ein Faible für das Teenage Drama, also jenes Genre, das spätestens seit Beverly Hills 90210 als Fixpunkt der adoleszenten TV-Unterhaltung weltweit durch die Kanäle geistert.

Während die einen irgendwie in diese Welt rein wollen, scheinen die anderen direkt daraus entsprungen zu sein.

Drama No 1: The Virgins

The Virgins machen es der feinfühligeren Popwelt nicht schwer, sie zu hassen. Da wäre der Bandname, den man vermutlich nach einer massiven Planierungsaktion der Gehirnzellen für witzig, kreativ und superschlau erachtete. "The Virgins will always be associated with hot girls", wie Gitarrist Wade Oates etwas später die Existengrundlage seiner Band formulieren sollte.

The Virgins live @ Music Hall Of Williamsburg, Februar 2009

Radio FM4 / Christian Lehner

The Virgins live @ Music Hall Of Williamsburg, Februar 2009

Er und Sänger Donald Cumming sind born and raised New Yorker, die sich bei einem Fotoshoot kennengelernt haben. Beide stammen zwar nicht aus reichen Elternhäusern, sind aber mit den 'Rich Girls'- so ein Songtitel - und der Jeunesse des Big Apple bis auf die Straßen, die auf gläsernen Oberflächen gezogen werden, verbunden.

Die zwei Gelegenheitsmodels wirken wie aus dem Cast von Serien à la Gossip Girl oder dem Reality-Format The City. Speziell 'The City' erscheint durch die Besetzung mit ausschließlich paradiesisch hübschen jungen Dingern beiderlei Geschlechts wie eine Belangsendung der Beauty-Industrie.

In Zeiten der Bail-Outs und Lay-Offs, in denen sowohl die Wall Street als auch die Fashion Industrie bluten, nimmt sich die Serie besonders gruselig aus in ihrer offen zur Schau getragenen Sorglosigkeit jenseits von Beziehungsproblemen (obwohl sämtliche Protagonisten erst am Anfang ihrer "Karrieren" stehen und als Kellner oder Praktikantinnen jobben, also durchaus nicht nur sogenannte Trust Fund Kids sind, wie man den Nachwuchs der Reichen in den USA bezeichnet, wird niemals über finanzielle Fragen diskutiert. Edle Restaurants, Boutiquen, Autos, Lofts und Clubs sind voraussetzungsfreier Bestandteil der urbanen Infrastruktur von 'The City').

Debütalbum: 'The Virgins', erschienen Ende März bei Warner Music.

Warner Music

Debütalbum 'The Virgins', erschienen Ende März bei Warner Music

Donald und Wade entsprechen nun dem männlich/aggressiven Typus des gewiften Verführers, der in 'The City' vor allem in der Rolle von Adam abwechselnd für weiche Knie und dicke Tränen sorgt und immer wieder aufs Neue bricht, was er verspricht. Hach!

In den Songtexten der Virgins wird einmal mehr der Rock & Roll Topos vom Rebellen und Trickster aufgewärmt, der sich qua romantischer Eroberungen Zugang zu einer Gesellschaft/Clique verschafft, die ihm sonst verwehrt bleiben würde. Pimpern als Klassenkampf! The Virgins bedeutet eben genau das Gegenteil davon.

Kein Wunder also, dass dann 'Gossip Girl' und 'The City' tatäschlich einige Songs der Virgins als Soundtrack adaptiert haben. Das New York Magazine brachte jüngst eine große Modestrecke mit den drei Aufzeigern der dekadenten Früchtchen-Clubszene, während die sich um Seriosität Sorgen machende US-Musikpresse einen weiten Bogen um The Virgins zog und kaum Reviews zum selbstbetitelten Debütalbum veröffentlichte, das in den USA bereits im Sommer, in Europa erst Ende März auf Warner Music erschienen ist.

Dazu kommt, dass die Songs übers Extremflirten und Nachtschwärmen verdächtig nach einem Mix aus The Strokes und Kings Of Leon klingen. Angereichert mit ein bisschen Disco und Weißbrot-Funk meint der Pressetext der Plattenfirma zwar eine "uniqueness" zu erkennen, die sich beim Hören jedoch nicht so Recht einstellen mag.

Donald Cumming & Wade Oates von The Virgins auf der Schwarzen Couch

Radio FM4 / Christian Lehner

Donald Cumming & Wade Oates von The Virgins auf der Schwarzen Couch

Aber vielleicht machen es einem The Virgins einfach nur etwas zu leicht, sie zu hassen. So einfältig die Texte, so formelhaft die Songs, ein Gespür für Melodie und knackiges Songwriting kann man Cumming & Oates nicht absprechen (falls sie das Material tatsächlich selbst geschrieben haben). Und warum sollte man die hübsche Großmaulerei allein den Briten überlassen? Zumal – aus Sicht der New York Bubble – die beflissene, strebermäßge Experimentier-Attitüde vieler Bands aus Brooklyn bei all den fantastischen Ergebnissen bisweilen auch ordentlich nerven kann. Mit The Virgins kann man also getrost ein Weilchen in die Kiste hüpfen – we are still talking Pop here - aber bitte nicht aufs Verhüterli vergessen!

Drama No. 2 – The Pains Of Being Pure At Heart

Auch hier liest sich der Bandname zunächst wie eine Anmaßung. Als die beiden Sänger Peggy Wang und Kip Bergmann auf dem Schwarzen Sofa Platz nehmen, wird jedoch schnell klar, dass die vor zwei Jahren gegründete Band mit Homebase Brooklyn nichts zu verbergen hat. Kein bemühter Hipster-Sprech, keine Langeweile signalisierenden Posen oder Nasenbohrereien. "Our songs deal a lot with suburban themes about growing up, being bored and trying to rebel against it", so Kip, der dann hastig ergänzt: "but not in a way that would upset the family. I mean, why being rude and ugly when your mum is really nice!" Süß.

The Pains Of Being Pure At Heart auf der Schwarzen Couch

Radio FM4 / Christian Lehner

The Pains Of Being Pure At Heart auf der Schwarzen Couch

Mehr braucht es eigentlich nicht zum Verständnis dieser Band, die sich spontan auf Peggys Geburtstagsparty formierte und deren Namen anfangs sogar den engsten Freunden peinlich war. In den Songs werden Teenage Dramen verhandelt, die vom Erwachen der Liebe bis zum Verlust von Freundschaften (auch durch den Tod) reichen. Im Gegensatz zu The Virgins nehmen die Protagonisten der Songs häufig die passive Rolle des Ausgeliefertseins ein, den Gefühlen und Autoritäten gegenüber, auf die mit einer quälenden Sehnsucht reagiert wird.

Die Songs von The Being Pure At Heart hören sich dann auch an, wie man sich einen sehnsüchtigen Blick aus einer regennassen Fensterscheibe einer grauen Vorstadtsiedlung ausmalt.

Musikalisch wird tief in das Schatzkästchen des 80er Jahre Gitarren- / Dream Pop und der anschließenden Shoegaze-Periode gegriffen. Das Reverb auf der Sechssaitigen, also der Halleffekt, der viele Aufnahmen wirken lässt, als wären sie in einem Hangar großen Studio entstanden, dient den süßlich-verträumten Vocal-Parts als Polster-Meer, in das es sich ganz tief vergraben lässt, wenn die die nächste Ohnmachtswelle anzurollen droht.

Debütalbum: 'The Pains Of Being Pure At Heart', Ende Märze auf Slumberland Records/Fortuna Pop! erschienen

Radio FM4 / Christian Lehner

Debütalbum: 'The Pains Of Being Pure At Heart', Ende Märze auf Slumberland Records/Fortuna Pop! erschienen

Gleichzeitig tönt aus den Songs eine kindliche Unschuld, die teils wehmütig, immer aber ordentlich verklärend auf die Zeit vor dem großen Ärger verweist - dem Ärger mit dem Aufwachsen und den in Wallung geratenen Hormonen, dem Schwärmen und den aggressiven Avancen, die die wahren Gefühle korrumpieren, den Autoritäten und Verpflichtungen, allem, was einen halt so einen lieben langen Tag vom Glücklichsein fern hält.

Und weil dann ja genau das das wirklich Spannende ist, also das mit den Hormonen, dem Ärger und der Wallung, genau deshalb würden The Pains Of Being Pure At Heart am liebsten Musik für Teenage-Drama-Serien produzieren.

"Seriously one of our dreams is, if our songs were in one of this Coming Of Age TV-shows", erklärt ein aufgeregter Kip und Peggy fährt dazwischen: "'Gossip Girl'! And I whish 'Gilmore Girls' would still be around. OMG! I do love 'The City', it's my favourite show at the moment!".

Gitarrenkoffer der Pains Of Being Pure At heart

Radio FM4 / Christian Lehner

Bisher sind diesbezügliche Anfragen von Seiten der TV-Welt ausgeblieben und ich frage mich, ob die Musik von The Pains Of Being Pure At Heart vielleicht nicht doch eine Spur zu unschuldig ist für den Kampf und Krampf der harschen Eitelkeiten im TV-Format.

The Virgins, die Eroberer, oder The Pains of Being Pure At Heart, die Ausgelieferten, der Schwarzen Couch in der Music Hall Of Williamsburg war es natürlich herzlich egal, welches Teenage Drama auf ihr Platz genommen hat.

Hinweis: The Virgins geben am Sonntag, den 5. April, im Flex in Wien ihr Österreich-Debüt.