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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 4. 2009 - 16:57

Journal '09: 2.4.

Assoziatives zum Tod von Niki List.

Meine Freundin Christine bebte vor Ärger, ich seh's noch vor mir, als wär's gestern gewesen. Sie hatte gerade ihren Job als Regieassistentin geschmissen, mitten im Dreh und schimpfte über das Team und natürlich auch den Regisseur. So verdammt österreichisch, wie das alles laufen würde, sie hätte es nicht mehr ertragen. Christine hatte ein wenig internationale Erfahrung, sie war Assistant und Tonfrau in Australien oder Nicaragua gewesen, und mit dem sehr wienerischen Setting dieses Films konnte sie nichts anfangen. Das äußerte sie natürlich auch lautstark - und es ist nie gut, wenn sich Regisseur und Regieassistenz in die Haare kriegen.

Der Film, der da gedreht wurde, hieß "Müllers Büro" und wurde mit einer anderen Regieassistentin fertiggestellt, einer aus Niki Lists eingespielter Crew.
Er wurde ein unglaublicher Erfolg, wohl auch genau weil er so verdammt österreichisch war, die bizarr abgedrehte Anmutung einer ironisch hingeschmissenen Parodie hatte.

Joe, noch einen! aus Müllers Büro, gesungen von I Stangl. Die Szene spielt in der extra dafür umgebauten Blue Box. Das rechte Bürschchen in der Introszene ist der junge Andreas Vitásek. Links "Müller" Christian Schmidt, der schandbarerweise synchronisiert wurde, weil er zu sehr wienerte.

Bei Müller im Büro

Niki List, der vier Jahre davor mit dem heute völlig absurd daherkommenden New Wave-Postulat "Malaria" einen grandiosen Szene-Erfolg hatte und als DER Star einer neuen Szene galt, wurde danach von der Wucht des Erfolgs von "Müllers Büro" in die Lage gebracht für ewig genau nur darüber definiert zu werden (ähnlich wie Falco immer am Erfolg von "Amadeus" gemessen wurde). Für andere, wie Hauptdarsteller Andreas Vitásek, war es der Startpunkt einer ganz anderen Karriere. Für Christian Schmidt, den Müller, sollte es mit seiner Band, "Wiener Wunder" nicht wirklich so gut klappen.

Die vielen guten und die vielen kommerziell erfolgreichen Projekte seither hatte man fast durchgehend ausgeblendet - Niki List wurde in der öffentlichen Wahrnehmung und Zuschreibung zunehmend eins mit Müllers Büro, was dann zuletzt auch zu einem Musical und anderen Marketing-Aktivitäten führte.

Gestern Abend ist Niki List völlig überraschend gestorben.

Mama Lustig

Meine Mutter hat Müllers Büro sicher auch gesehen, zwar erst im Fernsehen, aber immerhin. Sie hat auch einen guten Grund angeführt: "Der wohnt im Nebenhaus. Weißt du das gar nicht?".
Wusste ich echt nicht.
Drei Häuser weiter war der weltberühmte Dichter Ide Hintze daheim, aber sonst wohnen in der engeren Nachbarschaft meiner Eltern kaum Stars.

Meine Mutter wusste das auch nicht unbedingt wegen Lists Regie-Stardom, sondern weil es im Nebenhaus eine betreute Einrichtung für Kinder mit Down-Syndrom gibt - mit einem schönen Spielplatz im Hinterhof, den man von Mutters Küche aus hört und auch ein bisserl einsieht. "Und der Niki List hat auch so eins", sagt meine Mutter, "weißt eh, das Kind aus Mama Lustig." Christian heißt der, und er war nicht nur in "Mama Lustig" als Kind, sondern auch in "Muss denken" als Teenager und in "Der Boss bin ich" als junger Erwachsener zu sehen, in einer sehr nahen und intimen Trilogie, die sich wohl besser als jede andere Doku in diese Welt einfühlte.

Meine Mutter interessierte dieses Thema und diese Auseinandersetzung natürlich mehr als mich, der ich als echter New Wave-Wurstl "Malaria" als wesentlich wichtiger empfand, und auch mehr als die Menschenmassen, die sich heute noch an Müllers Büro delektieren.

Malaria

Wenn man Müllers Büro jetzt ins Kino bringt, dann wird er wohl endgültig die 500.000 Grenze durchstoßen (als einer der eh schon drei erfolgreichsten österreichischen Filme aller Zeiten), die Klicks auf die Portionen, die auf Youtube (meist in musicalmäßigen Song-Performances zerstückelt) herumkugeln, gar nicht eingerechnet.

Wo Müllers Büro ein gaghaftes Kunst-Produkt war, eine Genre-Parodie, die sich auswuchs und trotz Camp-Ansatzes ein Massenpublikum anzog, war Malaria ein wahrhaft zentraler Impulsgeber für eine reale Szene Anfang der 80er; und auf seine Art ebenso wichtig wie die damals entstandenen Falter und Wiener, wie die Konzertreihen im Zwanzger-Haus oder Lokale wie die BlueBox. Die Malaria-Musik kam von Rosachrom, Minisex, Karl Gott, Ernste Jugend und Viele Bunte Autos, also aus der rund um den Nucleus der BlueBox entstandenen Szene - aus der sich auch Niki Lists Film-Crew zusammensetzte.

Und in die passte meine Freundin Christine eben nicht so recht rein. Aber auch Niki List wuchs ein paar Jahre später raus aus dieser am Autorenprinzip orientierten Avantgarde. List wurde zum Netzwerker und Hintergrund-Arbeiter. Spätestens als er Regie beim ersten "Werner-Beinhart"-Film führte, war's mit der Reputation als Underground-Filmer endgültig vorbei. List produzierte (u. a. für Wolfgang Murnberger oder den Schindel-Film "Gebürtig"), fertigte Werbung, Auftragsarbeiten, die bereits angesprochene Trilogie und machte halt, wonach ihm war.

Helden in Tirol

1998 versammelte er das Müllers Büro-Trio (Andreas Vitásek, Christian Schmidt, I Stangl) in einem Versuch da dran anzuschließen: "Helden in Tirol" war wieder eine Genre-Parodie, formal viel ausgereifter als Müllers Büro, aber nicht ansatzweise so erfolgreich. Vier Jahre später blieb Lists Realverfilmung des wunderbaren Nick Knatterton-Comic nach Probevorführungen stecken. In den letzten Jahren gab es dann die angesprochene Vermusicalisierung von Müllers Büro.

Die Lists wohnen schon länger nicht mehr neben meinen Eltern.
Ich werd' mir am Sonntag wohl trotzdem noch ein paar Geschichten abholen, die meine Mutter zu erzählen hat.