Erstellt am: 3. 4. 2009 - 13:00 Uhr
Tschusch & Homo darf nicht sein
Von Ivan Brkic, Aleksandar Vrglevski, Daniel Shaked und Linda Rebrovic (Fotos)
In Moskau werden regelmäßig Gayparaden verboten. In Belgrad schaut die Polizei weg, wenn Homosexuelle von Hooligans verprügelt werden. Während im Westen der Berliner Bürgermeister öffentlich seine sexuelle Orientierung cool verkünden kann und das Schwul- und Lesbischsein zunehmend seine schockierende Wirkung verliert, leiden Menschen aus Südost-Europa und muslimischen Ländern weiter am Tabu-Thema "Homosexualität". Ihre größte Hürde: die Familie.
Bist du Schwul, oder was?
DasBiber
Der Artikel "Tschusch und Homo" und das Interview mit Mario Predanovic sind in der April-Ausgabe von biber. mit scharf erschienen.
Bojan S. ist Kroate und schwul. "Das verträgt sich nicht" zischt er zynisch und rührt nervös an seinem Cafè Latte. Je mehr er über seine Geschichte erzählt, desto wütender wird der Dreiundzwanzigjährige. Vor drei Jahren kam der Kunststudent nach Wien, um sein Designstudium fortzusetzen, obwohl er in Split recht erfolgreich unterwegs war. Eigenes Modelabel, sein Shop mitten im Zentrum war fast eröffnet. Mit seinem Partner war er seit fünf Jahren zusammen. Eines Tages stürmte sein Vater ins Zimmer, riss ihn am Kragen und schleuderte Bojan gegen die Wand: "Bist du schwul, oder was?", brüllte Vater Drago ihm ins Ohr. "Mein Sohn ist keine Muschi!" Wie und von wem er es erfahren hatte wollte Bojan gar nicht mehr wissen. Er packte seine Sachen, organisierte ein Visum für Österreich und verkaufte den Laden. Nach einem halben Jahr war er in Wien. Zu groß war der Druck der Familie, "normal zu werden". Heute ist der großgewachsene, schlaksige Blondschopf und Absolvent der Angewandten froh über seine Flucht: "Sie hätten mich nie in Ruhe gelassen. Am Balkan ist man doch nicht schwul!" Sein Freund ist ihm nachgereist, im Sommer stellt er seine zweite Kollektion vor.
Araber kommen mit Sonnenbrille
Daniel Andrei
"Migrant und schwul zu sein, ist oft nicht leicht, vor allem es offen zu zeigen", sagt auch Adam Wieczorkowski. Der gebürtige Pole ist in den 1990ern nach Wien gekommen und entdeckte schnell die türkische Partyszene für sich. "Aber ich konnte als schwuler Mann nicht das sein, was ich bin." Ab 1999 war er deswegen neun Jahre lang Mitorganisator von "Homoriental" – ein Club für schwule und lesbische MigrantInnen und Transgenderpersonen. Die Partygäste sind bunt gemischt. Serben kommen oft mit Tanten und Cousinen, manchmal sogar mit der Oma: "Da sehe ich eine starke familiäre Unterstützung. Das habe ich zum Beispiel bei türkischen Gästen nie erlebt." so Wieczorkowski. Auch für viele Homosexuelle aus arabischen Ländern ist eine große Überwindung, sich öffentlich zu zeigen: "Mehrere arabische Gäste sind immer mit Sonnenbrille ins Homoriental gekommen und haben sie dort nie abgenommen."
Tabuthema AIDS
Grozdana Pajkovic von der Aids-Hilfe Wien sieht bei Migranten noch viel Aufklärungsbedarf beim Tabu-Thema Homosexualität: "Viele homosexuelle Migranten verstecken sich, weil sie Angst haben, gesellschaftlich geächtet zu werden." Kommt Aids hinzu, wird gar nicht darüber geredet. Deswegen startete die Aids Hilfe 2008 eine Aufklärungskampagne in den Parks von Wien. "In Deutschland", so Pajkovic, "ist man in der ex-jugoslawischen und der türkischen Community schon viel weiter." Es fehle an positiven Vorbildern, daher plädiert die Aids-Expertin für Referenten mit Migrationshintergrund: "Die könnten es schaffen, ihre Leute in der Muttersprache besser zu informieren und aufzuklären."
Anzugsschwuchteln
Akzeptanz hat für Sabrina Andersrum mit dem Wohlstand der Leute zu tun. Vor allem nach den Balkankriegen hätten die Menschen einfach andere Sorgen gehabt, als sich mit Homosexualität im Land – gar in der eigenen Familie – auseinander zu setzen. "Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Gehälter niedrig. Da bleibt keine Energie für Toleranz."
Und die Homosexuellen unter ihnen haben es sich eingerichtet, so die Veranstalterin des "BalCanCan"-Events, ein Clubbing für Homosexuelle MigrantInnen. "Sie sind verheiratet, machen einen auf family." Statt mit den Jungs auf ein paar Bier zu gehen, trifft man die vermeintlichen Familienväter in Gay-Lokalen. Frau Andersrum bezeichnet solche "halben" Schwulen als "Anzugsschwuchteln": "Anzugschwuchteln zeigen sich meistens sehr homophob, haben aber am Wochenende ein Schwanz im Mund stecken".
Daniel Andrei / dasbiber
Interview in DasBiber: "Mein Freund outet sich, wenn seine Eltern tot sind!"
Mario Predanovic (Name von der Redaktion geändert) outete sich und floh zu seiner Tante. Seine Familie wartet noch heute darauf, dass er eine Freundin mit nachhause bringt.
biber: Wie hat deine Familie reagiert, nachdem sie von deiner Homosexualität erfahren haben?
Mario: Ich habe mich mit 18 per Telefon bei meiner Mutter geoutet. Zuerst meinte ich: „Mama, setz dich kurz hin. Ich muss dir was wichtiges sagen. Ich bin schwul!“ Daraufhin schrie sie los und das einzige, was sie über ihre Lippen bringen konnte, war: „Was werden die anderen von uns denken?“ Kurz darauf bin ich zu meiner Tante gezogen.
Und dein Vater?
Mein Stiefvater. Er wiederum hat’s von Anfang an total ignoriert und verdrängt. Die einzigen Verwandten die es akzeptieren konnten, waren meine Cousinen und Cousins in meinem Alter. Die haben bis heute kein Problem damit. Mein Freund wartet, bis seine Eltern tot sind, dann outet er sich erst.
Dein Outing ist jetzt zwei Jahre her. Was sagen deine Eltern heute dazu?
Sie versuchen es weiterhin zu verdängen. Sie hoffen noch auf ein „Wunder“. Eines Tages kam meine Mutter in mein Zimmer und meinte: „So, jetzt bist du nicht mehr schwul und suchst dir eine Freundin!“
Wann hast du bemerkt, dass du homosexuell bist?
Schon mit 14 hatte ich schon meine ersten Fantasien. Da fand ich plötzlich Männer, die ich im Fernseh sah, attraktiv. So habe ich mit 16 einen großen Schritt gewagt und einen Jungen gedatet. Kennengelernt habe ich ihn in einem so genannten „Gay-Chat“. Es war so ungewohnt und komisch anfangs, hat mir aber gefallen.
Bereust du dein Outing?
Total. Man sollte das als Homosexueller nicht tun, wenn man so altmodische Eltern hat. Und wenn man es tut, dann weit wegziehen von der Familie und sein Leben so leben wie man will.
Party-Tipps in Wien
Tiefer Graben 22, 1010 Wien
Stiegengasse 8, 1060 Wien
Multikulturelles Balkan-Clubbing (mixed) DJ-Acts mit Musik von Jelena Karleusa bis Shantel.
Währingerstr. 59, WUK, Nächster Termin: 21.5.2009
Wie reagieren Eltern deiner Freunde?
Kommt drauf an. Sie sind nett zu mir. Sie finden es „schade“, weil ich ja „so ein netter Burli bin“.
Was geht in der Homo-Szene am Balkan ab?
Es geht viel geheimer und versteckter zu. Die Homosexuellen am Balkan sind unauffälliger. Hier dagegen trifft man auf viele schrille und bunte Menschen. Für mich fast schon zu übertrieben und zu kitschig.
Hättest du es als Österreichischer Schwuler einfacher?
Ganz bestimmt. Hier ist das nicht so ein Tabu-Thema. Meine Eltern haben so getan, als wär’ das das Schlimmste der Welt. Ein Verwandter war damals drogensüchtig. Sie meinten, das wäre heilbar, aber ich nicht.
Wieso möchtest du im Interview anonym bleiben?
Meine Tante hat gesagt, wenn ich wieder so eine Show wie vor zwei Jahren wage, wirft sie mich hinaus. Sie möchten es einfach verdrängen.